"Die üblichen Verdächtigen hätten gerne eine Technokratenregierung an der Stelle meiner demokratisch gewählten Regierung. Die Linke hat dafür bereits eine Ministerliste", erklärte Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in diesen Tagen. Welche düsteren Hintermänner außer der Linken sonst noch zu den "üblichen Verdächtigen" zählen, die an dieser Verschwörung beteiligt sein sollen, hat Meloni nicht verraten.

Giorgia Meloni
Giorgia Meloni macht Italiens Schuldenlast zu schaffen – die Schuld sieht sie beim politischen Gegner.
REUTERS/JUAN MEDINA

In ihrer Rechtskoalition und den ihr nahestehenden Medien bestehen aber keine Zweifel, wer da angeblich die Regierung stürzen will: die internationalen Finanzmärkte, die Banken, die "poteri forti" – also irgendwelche obskuren "starken Mächte", die im Hintergrund ihre Fäden ziehen. Die klassischen Feindbilder aller Rechtspopulisten auf diesem Globus.

Der Grund für Melonis Nervosität ist der sogenannte Spread – ein Gespenst, das die italienische Politik in zyklischen Abständen immer wieder mal beschäftigt. Gemeint ist der Zinsaufschlag, den die Käufer von italienischen Staatsanleihen im Vergleich zu den deutschen Bundesschatzbriefen verlangen, die unter den Investoren als sicherere Schulden gelten.

Gradmesser für das Vertrauen

Der Spread ist ein Gradmesser für das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte in die Solidität der Haushaltpolitik der Staaten. In Italien ist dieses Vertrauen in den vergangenen Tagen (wieder einmal) gesunken: Der Spread stieg mehrfach bis an die 200-Punkte-Marke, auch jetzt wieder. Das heißt: Die Anleger verlangen auf italienische Staatsanleihen inzwischen eine um bis zu zwei Prozent höhere Rendite als auf die Bundesschatzbriefen.

Und das kann ins Geld gehen: Der Schuldenberg Italiens ist während und nach der Pandemie noch einmal stark angestiegen und beträgt nun schon fast drei Billionen Euro; das sind über 140 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Zum Vergleich: Deutschlands Schuldenquote beträgt 66 Prozent. Ein Zinsanstieg von einem einzigen Prozentpunkt wird mittelfristig den Schuldendienst Italiens um 30 Milliarden Euro erhöhen (mittelfristig deshalb, weil die Staatsanleihen in der Regel mehrere Jahre Laufzeit haben und nicht alle auf einmal durch neue Schulden abgelöst werden müssen).

Finanzminister Giancarlo Giorgetti hat in dem vergangene Woche vorgestellten mittelfristigen Finanzplan vorgerechnet, dass sich die Zinslast bereits im nächsten Jahr um 14 Milliarden Euro erhöhen wird. Bis 2026 wird sie sich im Vergleich zu 2020 auf über 100 Milliarden Euro verdoppeln. Das ist fast gleich viel, wie Italien für das öffentliche Gesundheitswesen ausgibt.

Erinnerung an Berlusconi 2012

Das ist zwar schade um das viele Steuergeld, aber insgesamt ist ein Spread von 200 Punkten noch nicht alarmierend. Als Meloni vor einem Jahr die Amtsgeschäfte von ihrem überparteilichen Vorgänger und Ex-EZB-Chaf Mario Draghi übernahm, lag der Wert sogar noch etwas höher. Und die Differenz ist weit entfernt von den 575 Punkten, die im November 2012 erreicht worden waren: Damals war Silvio Berlusconi Regierungschef gewesen und musste unter dem Druck des Spread zurücktreten, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit Italiens zu vermeiden. Berlusconi wurde damals vom ehemaligen EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti abgelöst, der einer Techniker-Regierung vorstand. Und genau dieser Präzedenzfall ist der Alptraum von Giorgia Meloni.

Italiens Schulden steigen zwar munter weiter, und Finanzminister Giorgetti sieht auch für das nächste Jahr ein Defizit von über vier Prozent der Wirtschaftsleistung vor – aber von einer Krise wie 2012 scheint Italien derzeit noch weit entfernt: Mit dem ersten, vorsichtigen Staatshaushalt ihrer Regierung hatte Meloni gleich nach ihrem Amtsantritt viele Bedenken und Zweifel der Anleger zerstreut, und Giorgetti steht auch im Hinblick auf das Budget für 2024, so gut es mit den hohen Zinsen eben geht, auf der Bremse.

Die Opposition sprach denn auch in Bezug auf Melonis Verschwörungsängste von der "Paranoia einer Regierungschefin, die mit ihrem Latein am Ende ist und nicht mehr weiß, wie sie die Löcher im Staatshaushalt stopfen und gleichzeitig die teuren Wahlversprechen einlösen soll".

Der frühere Finanzminister Giulio Tremonti doppelte nach: "Es gibt kein großes Komplott, es gibt nur einen großen Schuldenberg", sagte er in dieser Woche. Er weiß, wovon er redet: Tremonti war im Jahr 2012 Berlusconis Finanzminister gewesen. (Dominik Straub, 6.10.2023)