Eine Rakete steigt aus dem Gazastreifen auf.
Samstagfrüh wurden Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert.
AFP/MOHAMMED ABED

Tel Aviv - Nach massiven Angriffen aus dem palästinensischen Gazastreifen auf Israel hat die israelische Armee am Samstag den Kriegszustand erklärt. Das Militär reagierte damit auf Überraschungsangriffe militanter Palästinenser mit Hunderten von Raketen sowie das Eindringen bewaffneter Kämpfer aus dem Gazastreifen nach Israel. Laut dem israelischen Sender "N12 News" wurden bisher unter Berufung auf Gesundheitsbehörden mindestens 22 Menschen in Israel getötet. Sie sind Einsatzkräften zufolge durch Schüsse getötet worden, berichtete der Rettungsdienst Magen David Adom. Laut dem israelischen Gesundheitsministerium wurden rund 545 Menschen in Israel verletzt.

Hamas erklärt Beginn einer "Militäroperation"

Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas erklärte in der Früh den Beginn einer "Militäroperation" gegen Israel. Man habe beschlossen, israelischen "Verbrechen" ein Ende zu setzen, sagte Hamas-Militärchef Mohammed Deif. Mehr als 5.000 Raketen seien abgefeuert worden. "Das ist der Tag der größten Schlacht", sagte Deif. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sagte später, dass die palästinensischen Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung gegen den "Terror der Siedler und Besatzungstruppen" hätten.

Die Palästinenser-Miliz Islamischer Jihad ist nach eigenen Angaben mit Kämpfern an dem Hamas-Angriff beteiligt. Laut Hamas-Kreisen seien auch Israelis in den Küstenstreifen entführt worden. Dafür gab es aber von Seiten der israelischen Armee zunächst keine Bestätigung. Laut einem Bericht des TV-Senders Reshet werden 13 israelische Geiseln in der südisraelischen Stadt Ofakim von palästinensischen Kämpfern festgehalten.

Israelische Medien berichteten, dass Bewaffnete in der südisraelischen Stadt Sderot das Feuer auf Passanten eröffnet hätten. In mehreren Städten im Süden Israels gebe es Feuergefechte zwischen palästinensischen Angreifern und israelischen Sicherheitskräften. Dabei wurde der Präsident des Regionalrats der israelischen Grenzorte nordöstlich des Gazastreifens getötet. Ofir Liebstein sei "bei einem Schusswechsel mit Terroristen" getötet worden, teilte der Regionalrat von Shaar Negev mit.

Netanjahu: "Wir sind im Krieg und wir werden gewinnen"

Israel reagierte auf den Hamas-Angriff mit Gegenangriffen und der Operation "Eiserne Schwerter". So führt die israelische Luftwaffe nach Angaben eines Sprechers Luftschläge auf Hamas-Ziele im Gazastreifen aus. Ein Zeuge berichtet von Explosionen im Gazastreifen und in Gaza-Stadt. Die Hamas müsse für ihren Angriff die Konsequenzen tragen, man sei "im Kriegsmodus", hieß es seitens der israelischen Armee. Verteidigungsminister Yoav Gallant habe der Einberufung von Reservisten zugestimmt.

"Wir sind im Krieg und wir werden gewinnen", sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Video-Botschaft. "Unser Feind wird einen Preis bezahlen, wie er ihn noch niemals kennengelernt hat. Er wollte im Verlauf des Tages Sicherheitsberatungen mit Vertretern des Verteidigungsministeriums und der Armee abhalten.

Ein Militärhubschrauber in der Luft von unten.
Ein Militärhubschrauber über Ashkelon.
EPA/ATEF SAFADI

Gallant selbst erklärte: "Die Hamas hat heute Morgen einen schweren Fehler begangen und einen Krieg gegen den Staat Israel begonnen." Israelische Soldaten kämpften "an allen Stellen, an denen eingedrungen wurde". Er rief die Bürger dazu auf, den Anweisungen der Behörden Folge zu leisten.

Laut Richard Hecht, einem Sprecher der israelischen Armee, wurden mehr als 2.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert, berichtet "Haaretz". Israel werde über Land, See und Luft angegriffen. Demnach gebe es momentan Kämpfe an verschiedenen Orten im Umkreis des Gazastreifens, sagte Hecht. Darunter seien zwei Militärbasen, der Eretz-Übergang zum Gazastreifen sowie mehrere Ortschaften.

Eine Person in israelischem Gebiet nahe dem Gazastreifen sagte zu "Haaretz": "Wir werden abgeschlachtet". Die Armee sei seit sechs Stunden nicht zu sehen gewesen. Der israelische Polizeichef Kobi Shabtai sagte, dass es mehrere Kriegszonen gebe. "Wir bewegen uns von der einen zur anderen", sagte er.

Warnsirenen in mehreren Städten

In verschiedenen Städten Israels hatten in der Früh die Warnsirenen geheult, wie die Armee mitteilte. Auch in Tel Aviv war Raketenalarm zu hören. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben. Israel feiert gerade das jüdische Fest Simchat Tora (Freude der Tora).

Der Rettungsdienst Magen David Adom teilte mit, eine etwa 60 Jahre alte Frau sei bei einem direkten Treffer nahe Gedera tödlich verletzt worden. Zwei Menschen hätten bei den Angriffen aus Gaza schwere Verletzungen erlitten. Laut Rettungsdienst wurden weitere Menschen im Süden und in der Küstenebene in Krankenhäuser gebracht.

Eine Frau steht in einem beschädigten Zimmer in Ashkelon.
Eine Frau steht in einem beschädigten Zimmer in Ashkelon.
REUTERS/AMIR COHEN

Auch in der Küstenmetropole Tel Aviv wurde nach Armeeangaben ein Haus getroffen. Es war zunächst unklar, ob es dabei Verletzte gab. Der Rettungsdienst rief wegen eines Mangels an Blutkonserven zu dringenden Blutspenden im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv auf. Sanitäter berichteten außerdem von Verletzten bei den Raketenangriffen im Bereich der Ortschaften Ashkelon, Gedera und Javne.

Internationale Politik verurteilt Angriffe scharf

EU-Ratspräsident Charles Michel hat die Angriffe militanter Palästinenser auf Israel scharf verurteilt. Die "wahllosen Angriffe" gegen Israel und seine Bevölkerung hätten unschuldigen Bürgern Terror und Gewalt angetan, schrieb er auf X, ehemals Twitter. "Meine Gedanken sind bei allen Opfern." Die EU sei in diesem schrecklichen Moment solidarisch mit dem israelischen Volk. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von "Terrorismus in seiner verabscheuungswürdigsten Form".

Ähnlich äußerte sich Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) auf X. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schrieb dort: "Ich verurteile den Terrorangriff der Hamas auf Israel und unschuldige Zivilisten seit heute morgen auf das Schärfste. Israel hat das Recht, sich gegen solch heimtückische und massive Attacken zu verteidigen. Raketen auf wehrlose Zivilisten abzufeuern, ist brutaler Terror und niemals ein Mittel zur Lösung politischer Probleme. Die Sicherheit Israels ist für Österreich nicht verhandelbar. Unsere Gedanken gelten den Opfern und ihren Familien."

Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verurteilte die Angriffe aus dem Gaza-Streifen auf Israel. "Gewalt und Raketen gegen Unschuldige müssen sofort aufhören. Israel hat unsere volle Solidarität und das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen Terror zu verteidigen", schrieb sie auf X. Auch Frankreich, Großbritannien, Spanien und die Niederlande verurteilten die Angriffe.

Aufsteigender Rauch in Ashkelon.
Auch Ashkelon wurde von Raketen getroffen.
REUTERS/ILAN ROSENBERG

Russland steht nach eigenen Angaben in Kontakt mit beiden Seiten und auch mit arabischen Ländern. "Es versteht sich von selbst, dass wir immer zur Zurückhaltung aufrufen", zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Vize-Außenminister Michail Bogdanow.

Ägypten warnte vor den Konsequenzen einer Eskalation der Lage. Gefordert sei "maximale Zurückhaltung", erklärte das Außenministerium der staatlichen Nachrichtenagentur des Landes zufolge.

Die pro-iranische, libanesische Hisbollah-Miliz bezeichnete den Hamas-Angriff auf Israel als Zeichen gegen eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel. Der Hamas-Angriff sei eine "entschlossene Antwort auf Israels anhaltende Besatzung und eine Botschaft an diejenigen, die eine Normalisierung mit Israel anstreben", teilte die Islamisten-Miliz in einer Erklärung mit. Sie verfolge die Lage im Gazastreifen genau und stehe in "direktem Kontakt mit der Führung des palästinensischen Widerstands". Mehrere arabische Staaten hatten zuletzt eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel eingeleitet. Die Hisbollah hat selbst mehrere Kriege mit Israel geführt.

Ein Mann bringt sich in Ashkelon in Sicherheit. Hinter ihm Feuer.
Ein Mann bringt sich in Ashkelon in Sicherheit.
REUTERS/AMIR COHEN

Zugespitzte Lage

Der massive Angriff aus dem Gazastreifen kam unerwartet. Die Lage besonders im besetzten Westjordanland hatte sich allerdings zuletzt wieder zugespitzt. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der Armee getötet worden.

Die Sicherheitslage in Israel und dem Westjordanland ist seit langem angespannt. Seit Jahresbeginn wurden 27 Israelis, eine Ukrainerin und ein Italiener bei Anschlägen getötet. Im selben Zeitraum kamen mehr als 200 Palästinenser bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen oder nach eigenen Anschlägen ums Leben.

Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Die Palästinenser beanspruchen diese Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.

Aufsteigender Rauch in Ashkelon.
Aufsteigender Rauch in Ashkelon.
REUTERS/AMIR COHEN

An der Gaza-Grenze war es im vergangenen Monat mehrfach zu gewaltsamen Protesten gekommen. Dabei wurden auch Sprengsätze auf Soldaten geworfen, mehrere Palästinenser wurden durch Schüsse verletzt. Die israelische Luftwaffe griff angesichts der Vorfälle mehrmals Posten der im Gazastreifen herrschenden militanten Palästinenserorganisation Hamas an.

Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen nach Uno-Angaben unter sehr schlechten Bedingungen. Die von EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird. (APA, red, 7.10.2023)