Bewohner von Erdbebengebiet in Afghanistan suchen nach Überlebenden
Am Samstagmorgen hatten mehrere Erdbeben innerhalb von wenigen Stunden mehr als ein Dutzend afghanische Dörfer zerstört.
AP/Ebrahim Noroozi

Kabul – Nach der verheerenden Erdbebenserie in Afghanistan schwindet die Hoffnung auf die Rettung von Überlebenden. Am Montagmorgen hat zudem ein weiteres Beben der Stärke 4,9 den Nordwesten des Landes erschüttert. Das Epizentrum lag 33 Kilometer nordwestlich der Provinzhauptstadt Herat, teilte die US-Erdbebenwarte USGS am Montag mit. Die Grenzprovinz nahe dem Iran war Samstagfrüh von mehreren Erdstößen verwüstet worden, die beiden schwersten hatten laut der US-Erdbebenwarte eine Stärke von 6,3.

Video: Erdbeben-Opfer in Afghanistan auf sich allein gestellt
AFP

Ein Arzt in der Notaufnahme der Provinz Herat berichtete, es seien zunächst keine Verletzten gemeldet worden, das neue Beben sei aber "ziemlich intensiv" gewesen. "Die Menschen haben in Eile ihre Häuser verlassen und Schutz in Parks, Freiflächen und Gärten gesucht", sagte er. Die Menschen stünden unter Schock, und die psychische Belastung sei hoch. Viele hätten die Nacht ohnehin schon im Freien verbracht.

Die Hilfsorganisation Care zeigte sich besorgt über die Situation der Frauen und Mädchen. "Ihre Freiheit war bereits vorher erheblich eingeschränkt, und sie haben daher nur einen erschwerten Zugang zu wichtigen lebensrettenden Diensten", teilte Reshma Azmi, stellvertretende Länderdirektorin von Care Afghanistan, am Montag mit. Die Menschen benötigten dringend Unterstützung. Seit mehr als zwei Jahren sind in Afghanistan die Taliban wieder an der Macht. Das Land ist wegen seiner repressiven Politik, die vor allem Frauen und Mädchen diskriminiert, international politisch isoliert.

UN-Hilfsgelder in Millionenhöhe

Helfer und Ärzte, die am Wochenende in die Katastrophengebiete geeilt waren, berichteten von einem großen Ausmaß der Zerstörung. In zahlreichen Dörfern nordwestlich von Herat seien Häuser dem Erdboden gleichgemacht worden, sagten Augenzeugen am Sonntag. Das Ministerium für Katastrophenhilfe bezifferte die Zahl der Toten am Sonntag auf mehr als 2.400, weitere 2.000 Menschen seien verletzt worden. Die Zahlen konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden. Es sei eines der schwersten Erdbeben seit Jahrzehnten in Afghanistan.

Das Uno-Nothilfebüro Ocha nannte am Sonntagabend mehr als 1.000 Tote, man gehe aber davon aus, dass die Zahl der Opfer steigt, wenn abgelegene Regionen erreicht werden. Mehr als 11.000 Menschen seien von dem Erdbeben betroffen. Die Vereinten Nationen gaben am Sonntag fünf Millionen Dollar (4,7 Millionen Euro) Soforthilfe frei und kündigten nach der Abschätzung des Bedarfs einen baldigen Spendenaufruf an.

Afghanen gehen durch zerstörtes Dorf nach Erdbeben
Die schwersten Beben am Samstag hatten laut der US-Erdbebenwarte USGS eine Stärke von 6,3.
AP/Ebrahim Noroozi

Borrell: EU-Teams im Katastrophengebiet

Am Samstagmorgen hatten mehrere Erdbeben Bewohner der afghanischen Grenzprovinz nahe dem Iran aufgeschreckt. Innerhalb von nur wenigen Stunden bebte die Erde neun Mal, mehr als ein Dutzend Dörfer wurden weitgehend zerstört. Am stärksten betroffen war der Bezirk Sindadschan nordwestlich von Herat. Militär und Rettungsdienste eilten in die Katastrophengebiete.

Die Europäische Union (EU) versicherte der betroffenen Bevölkerung Afghanistans ihre volle Solidarität, wie EU-Chefdiplomat Josep Borrell beim Kurznachrichtendienst X schrieb. "EU-Teams haben das Katastrophengebiet bereits erreicht, um zu helfen", teilte er mit, ohne Details zu nennen. Selbst 300 Kilometer entfernt im Nachbarland Iran wackelten am Samstag Wände und Deckenleuchten, wie Bewohner der Millionenmetropole Maschhad erzählten. Auch dort setzten die Behörden Rettungsdienste in Alarmbereitschaft und schickten Teams an die Grenze, um mögliche Schäden zu untersuchen.

Ein Mann steht vor einem zerstörten Haus in Zendeh Jan.
Ein zerstörtes Haus in Zendeh Jan.
AFP/MOHSEN KARIMI

Nach Jahrzehnten voller Konflikte sind viele Dörfer mit einfacher Bauweise schlecht gegen Erdbeben gerüstet. Seit mehr als zwei Jahren sind in Afghanistan die Taliban wieder an der Macht. Das Land ist wegen seiner repressiven Politik, die vor allem Frauen und Mädchen diskriminiert, international politisch isoliert. Auch das ist ein Grund, warum Rettungsarbeiten schwer vorankommen. Immer wieder ereignen sich schwere Erdbeben in der Region, besonders am Hindukusch, wo die Indische und die Eurasische Platte aufeinandertreffen. (APA, red, 9.10.2023)