Spanische Grippe
Notlazarett während der Spanischen Grippe 1918 in Kansas, USA. Damals waren auch viele junge Menschen unter den Toten.
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Es gibt fraglos etliche Parallelen zwischen der Covid-19-Pandemie und der Spanischen Grippe, aber auch viele Unterschiede. Nach heutigen Schätzungen infizierte sich damals ein etwa Drittel der Menschheit – rund 500 Millionen von mehr als 1,5 Milliarden – mit dem Influenzavirus, das von 1918 bis 1920 in mehreren Wellen um die Welt ging. In Sachen Infektionsrate und Dauer war die Spanischen Grippe Covid-19 ähnlich.

Aber sie war in jedem Fall tödlicher: Nach heutigen Schätzungen forderte die Seuche rund 50 Millionen Opfer, also deutlich mehr als der Erste Weltkrieg, der bis dahin blutigste Krieg der Menschheit. Stimmen die Zahlen, dann raffte die damalige Pandemie mehr als drei Prozent der damals lebenden Menschen dahin.

Während die Spanische Grippe auf eine von einem Weltkrieg gebeutelte Menschheit traf, ging es uns im Jahr 2020 vor Covid-19 in vielem – etwa der durchschnittlichen Lebenserwartung – besser als je zuvor. Dazu kommt als weiterer wichtiger Unterschied, dass die Medizin und die Wissenschaft in den vergangenen hundert Jahren enorme Fortschritte gemacht haben.

Andere Altersstruktur

Ganz anders war bei der Spanischen Grippe die Altersverteilung bei der Sterblichkeit. Die Hälfte der Pandemieopfer vor mehr als 100 Jahren war zwischen 20 und 40 Jahre alt. Der Grund dafür ist bis heute nicht ganz klar. Womöglich hatten ältere Personen eine "Restimmunität" von länger zurückliegenden Grippeepidemien. Covid-19 hingegen stellte vor allem für ältere Menschen ab 70 Jahren eine echte Bedrohung dar, das Durchschnittsalter der in unseren Breiten Verstorbenen liegt bei über 80 Jahren.

In zeitgenössischen Berichten wurden die Opfer der Spanischen Grippe oft als gesunde junge Erwachsene beschrieben. Entsprechend gingen viele Ärzte damals davon aus, dass gesunde junge Menschen genauso wahrscheinlich sterben würden wie bereits kranke oder gebrechliche junge Menschen. Das aber stünde im Widerspruch zum Konzept der selektiven Mortalität, das besagt, dass in einer (Alters-)Gruppe jene Personen dem größten Sterberisiko ausgesetzt sind, die mehr Vorerkrankungen aufweisen und gebrechlich sind.

Machte es im Fall der Spanischen Grippe bei den Jungen also keinen Unterschied, ob sie Vorerkrankungen hatten oder nicht?

Aufschlüsse aus Knochen

Um diese Frage zu beantworten, untersuchten die Anthropologinnen Amanda Wissler (McMaster University im kandischen Hamilton) und Sharon DeWitte (University of Colorado) die Skelettreste von Personen, die vor und während der damaligen Pandemie starben. Die beiden Forscherinnen zogen dafür die Überreste von 369 Menschen heran, deren Knochen im Cleveland Museum of Natural History aufbewahrt werden. Konkret interessierten sie sich für Gewebeschädigungen bei der Knochenhautneubildung im Schienbeinbereich. Solche Läsionen zeigen unter anderem Entzündungen an und sind ein guter Indikator für Vorerkrankungen.

Wie Wissler und DeWitte im Fachblatt "PNAS" berichten, deuten ihre Analysen darauf hin, dass gebrechliche oder vorerkrankte Personen während der Pandemie mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit starben als gesunde. Während der Spanischen Grippe war das Sterberisiko für Personen mit solchen Läsionen, die zum Zeitpunkt des Todes akut waren, im Vergleich zur Kontrollgruppe mit abheilenden Läsionen 2,7-mal höher. Das bedeutet unter dem Strich, dass während der Spanischen Grippe auch bei jungen Erwachsenen die Sterbewahrscheinlichkeit ungleich verteilt war.

Selbst wenn also eine Pandemie durch einen neuartigen Erreger ausgelöst wird, scheint auch in diesem Fall das Prinzip der selektiven Mortalität gültig zu bleiben. (Klaus Taschwer, 10.10.2023)