Zwei Reihen an Spielern und Spielerinnen stehen sich mit selbst gebauten Waffen gegenüber.
Jugger ist eine Mischung aus Rugby und Fechten.
Heribert Corn

Bumm, bumm, bumm: Der Trommelschlag aus einer Box tönt im Sekundentakt über die Wiese neben dem Wasserspielplatz auf der Wiener Donauinsel. Mehrere junge Männer und Frauen laufen wild durcheinander. Ein paar knien, ein paar gehen mit Plastikstöcken aufeinander los. Das Training lockt Außenstehende an. "Was machen die da?", fragt ein Passant. Sie spielen Jugger, eine Mischung aus Rugby und Fechten. Für Stephan, Gründungsmitglied des Vereins Jugger Vienna, die "nischigste Nischensportart der Welt".

Die Regeln

Ziel ist, ähnlich wie beim Rugby, einen eiförmigen Ball ins Mal, einen Kegelstumpf am Ende der gegnerischen Spielhälfte, zu stecken. Dafür gibt’s einen Punkt. Ein Team besteht aus fünf Spielern oder Spielerinnen. Nur einer/e davon, der Läufer oder die Läuferin, darf den Ball mit den Händen auf dem 40 mal 20 Meter großen achteckigen Spielfeld nach vorne tragen.

Die Jugger-Regeln in fünf Minuten erklärt
Jugger Coach – Uhus Tutorials

Die anderen vier beschützen ihren Läufer oder schaffen Freiräume. Sie sind entweder mit gepolsterten Stäben unterschiedlicher Länge oder einem an einer Kette befestigten Ball ausgestattet. Berührt man einen Gegner mit einer dieser Pompfen, muss dieser niederknien und pausieren. Bei den Stäben fünf Trommelschläge, bei der Kette acht. Mit einem Schild kann eine Akteurin gegnerische Schläge abwehren.

Filmreife Vorlage

Die Sportart beruht auf dem dystopischen australischen Film Die Jugger – Kampf der Besten aus dem Jahr 1989. Im Trailer heißt es: "In einer von Krieg verwüsteten Zukunft erfanden die Menschen ein neues Spiel: Jugger. Ausgestoßene spielen ein Spiel ums Überleben." Im Film geht's brutal zu. Das Skelett eines Hundeschädels (Jugg) dient als Ball.

Trailer zum Film "Die Jugger – Kampf der Besten"
VHS Trailer Park

Deutsche Fans setzten das Spiel in den 1990ern in einer harmlosen Variante in die Realität um. Sämtliche Waffen sind rund gepolstert. Die Stäbe waren mal Poolnudeln, an der Kette baumelt ein Stoffball. Der rund 250 Gramm schwere Jugg besteht aus "Schaumstoff, Isomatte, irgend so was", sagt Svenja. Treffer auf Kopf, Hals und Hände werden nicht gewertet.

Basteleien

Während in Deutschland und Spanien Meisterschaften stattfinden, ist Jugger Vienna mit aktuell 35 Mitgliedern der einzige Verein in Österreich. Der Aufbau eines Teams in Stockerau scheiterte, sagt Stephan. Die Corona-Jahre haben die Lage nicht vereinfacht. Physikstudentin Svenja fand via Unifreunde zum Sport. Rosi wurde auf einer Anime-Convention darauf aufmerksam. Michael bewarb Jugger zuletzt in der ORF-Kultsendung Liebesg'schichten und Heiratssachen.

Mannschaftsfoto stehend.
Jugger Vienna.
Heribert Corn

Die Kreativität der PR muss mit jener der Bastelabteilung mithalten. Die Pompfen sind Eigenproduktion. "Ein Hobby zum Hobby", sagt Svenja. An der 0,85 Meter langen Kurzstange saß sie rund drei Stunden. Ein Kompromiss zwischen Funktionalität, Aussehen und Regelwerk sei nötig.

"Drei, zwei, eins, Jugger"

Die Langpompfe darf maximal 140 Zentimeter groß sein, der Stab 180 Zentimeter. Der Q-Tip – eine Art Wattestäbchen mit zwei abgerundeten Trefferflächen an beiden Enden – ist mit 200 Zentimetern begrenzt. Die Kette darf mit maximal 320 Zentimeter Reichweite geschwungen werden, sie gilt als mächtigste Waffe.

Im September organisierte Jugger Vienna den Edelweißcup auf dem Fußballfeld des Universitätssportinstituts (USI) im neunten Bezirk. Vor dem Start des internationalen Turniers wurden alle Spielgeräte kontrolliert. Motto: "Wenn ihr euch fragt, ob die Pompfe wohl durch den Check kommt, kommt sie wohl nicht durch den Check."

Ein Man kniet am Boden und steckt den Ball ins Mal. Ein anderer will ihn davon am Boden liegend noch abhalten.
Der Läufer muss den Ball ins Mal stecken.
Heribert Corn

Vor jedem Spielzug stellen sich die Teams an ihrer Grundlinie auf. Auf das Kommando "Drei, zwei, eins, Jugger" sprinten sie zur Spielfeldmitte, wo der Ball platziert ist. "Und dann wird’s chaotisch", sagt Stephan. Es ist nicht leicht, den Überblick zu bewahren. Die Akteure brauchen vorne und hinten Augen.

Die Läuferinnen agieren als eine Art Quarterback im Rückraum. Sie warten auf die Lücke, die Pompfer liefern sich schnelllebige Fechtduelle, wie einst Gladiatoren. "Achtuuuuuuung, diiiiiiiiie Kette", schallt es über den Platz. Zu spät. Treffer. Niederknien. Pause. Mit den Fingern hinterm Rücken werden die Sekunden runtergezählt.

"War das jetzt echt nötig?"

Zwölf Teams nahmen am Edelweißcup teil. Jugger Vienna stellte mehrere davon, unter anderem die "K.u.K. Hofpompferei" oder selbstironisch "Jugger wie?". "Bushido Jugger" aus dem spanischen Valladolid siegte, auch die Schweiz, Ungarn und Deutschland waren vertreten. Die Partien dauerten rund 25 Minuten und gingen auf Best-of-three-Sätze. Fünf Punkte bedeuteten einen Satzgewinn.

Mehrere Duelle.
Achtuuuuuuung, diiiiiie Kette.
Heribert Corn

"Turniere haben Festivalcharakter", sagt Stephan. "Meist wird gezeltet, oder die Spieler der ausländischen Teams übernachten bei jenen der Gastgeber." Die Gemeinschaft spiegelt sich auf dem Rasen wider. "War das jetzt echt nötig, so fest draufzuhauen?", hört man da. "Nein, sorry!" Es gibt zwar Schiedsrichter, aber viele Vergehen klären die Akteure untereinander, etwa unnötige Härte.

Bei Jugger spielen Männer und Frauen im selben Team. Eine Awareness-Gruppe dient als Anlaufstelle bei möglicherweise sexistischem Verhalten. Eingreifen musste sie beim Edelweißcup nicht, sie fungiert mehr als vorbeugende Maßnahme.

Nachwuchsteam und Usi-Kurs

Jugger Vienna trainiert zweimal pro Woche, seit Oktober in der Halle. Spielpraxis sammeln sie bei fünf bis sechs Turnieren im Jahr, überwiegend im Ausland. Es gibt einen USI-Kurs und seit dem Frühjahr ein Nachwuchsteam von Zehn- bis 14-Jährigen. "Man lernt schnell: Es kommt nicht auf die Kraft an, sondern auf die Geschwindigkeit", sagt Gery.

Mann springt über Ball.
Der Kette sollte man ausweichen.
Heribert Corn

Warum entscheidet man sich für Jugger? "Es gibt keinen großen Leistungsdruck", sagt Rosi. "Und hier ist normal, dass Frauen gleich gut wie Männer spielen." Für Stephan ist der Sport abwechslungsreich, oft entscheide die Duellstärke. Die Ziele? "Olympisch werden", sagt der 32-Jährige. "Nein, Scherz. Drei Teams wären cool, dann könnten wir eine Liga machen." Den Passanten auf der Donauinsel hat Jugger Vienna schon mal überzeugt: "Schaut interessant aus. Ist einmal was anderes." (Andreas Gstaltmeyr, 10.10.2023)