Was auf dem Weg der Evolution Millionen Jahre gedauert hat, kann eine KI nun in Sekunden bewerkstelligen. Diese Darstellung ist zugegebenermaßen übertrieben vereinfacht, dennoch ist es bemerkenswert, was Forschern der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois gelungen ist.

Ein von ihnen entwickeltes KI-Modell hat es geschafft, einen Roboter zu designen, der sich auf Land fortbewegen kann. Und das gelang der KI in lediglich 26 Sekunden, während sie auf einem handelsüblichen Computer lief.

Das ist auch nicht die einzige Besonderheit des Systems. "Wir haben einen sehr schnellen, KI-gestützten Design-Algorithmus entdeckt, der die Verkehrsstaus der Evolution umgeht, ohne auf den Bias menschlicher Designer zurückzufallen", sagt Projektleiter Sam Kriegman. Gemeint ist damit, dass die Erstellung hier nicht auf bekannte Vorlagen zurückgreift, die zwangsläufig zu Anlehnungen an Menschen oder Landtieren führen würde. Der Erstellungsprozess soll tatsächlich bei null beginnen.

Von KI designter Roboter, der gehen kann
Everyday he's wobbelin'...
Northwestern University

"Völlig neuer Organismus"

"Wir haben der KI gesagt, dass wir einen Roboter wollen, der auf Land gehen kann", so Kriegman. "Dann haben wir einfach einen Knopf gedrückt, und – presto – schon hat sie in Windeseile eine Vorlage für einen Roboter erzeugt, der nicht aussieht wie irgendein Tier, das jemals existiert hat." Für diesen Prozess hat er auch eine eigene Bezeichnung gefunden: Instant-Evolution.

Es ist nicht Kriegmans erste Forschung in Sachen Roboter. 2020 sorgte er für Schlagzeilen mit dem ersten Roboter aus lebenden Zellen. Und in diese Richtung könnte es auch für den bizarr anmutenden, KI-designten Roboter gehen. "Wenn Leute sich diesen Roboter anschauen, sehen sie vielleicht ein nutzloses Gadget", erklärt er. "Ich sehe die Geburt eines völlig neuen Organismus."

AI designs new robot from scratch in seconds
Northwestern University

Bewegt wird der Roboter durch wiederholtes Aufblasen. Seine Gestaltung und Schwerpunktlegung sorgt dafür, dass er sich so schrittweise geradeaus bewegt, ohne umzufallen. Die KI kam letztlich auf ein Konzept, das sich auch evolutionär bewährt hat: Beine. Der Roboter hat drei Stück von solchen, mit denen er – auf seine Größe umgerechnet – halbe menschliche Gehgeschwindigkeit erreicht.

Rätselhafte Löcher

Das KI-Modell hat den Designprozess mit einem ungefähr seifengroßen Block begonnen, der zwar wackeln, sich aber nicht fortbewegen konnte. Über insgesamt zehn Iterationen verbesserte die KI das Modell schließlich bis zum aktuellen Resultat. Ausgeführt wurde sie auf einem konventionellen Laptop im Labor. Die Kreation des Roboters wurde schließlich mithilfe einer 3D-gedruckten Form und Silikon in die physische Welt überführt.

Manche der Design-Entscheidungen werfen noch Fragen auf. Während der Vorteil der drei Beine logisch erscheint, ist nicht klar, warum das Modell an scheinbar zufälligen Stellen Löcher hat. Kriegman vermutet, dass diese einerseits das Gewicht reduzieren und andererseits zu mehr Flexibilität der Beine beitragen. Als man manche oder alle Löcher probeweise entfernte, konnte der Roboter sich nur noch schlechter oder gar nicht mehr nach vorne bewegen.

Evolution in Aktion ansehen

Man könne sich nun Evolution in Aktion ansehen, schwärmt der Wissenschafter. Das Weiterentwickeln von Robotern bedurfte bisher wochenlanger Versuche auf einem Supercomputer. Die Evolution brauchte überhaupt mehrere Zeitalter, ehe Tiere schwimmen, fliegen oder laufen konnten. Im Gegensatz zur KI funktioniert die Evolution nach dem Prinzip "Trial and Error", es ist im Vorhinein völlig unklar, ob eine neue Mutation vorteilhaft ist und sich durchsetzt. "Wir haben einen Weg gefunden, diese Augenbinde zu entfernen und Milliarden Jahre in einen kurzen Moment zu komprimieren", schwärmt Kriegman. Ein Paper zu der Entwicklung wird in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.

Aus der noch jungen Entwicklung könnten sich zahlreiche Möglichkeiten ergeben. Die Option, eine KI Modelle für Fortbewegung unter verschiedensten Umständen entwickeln zu lassen, böte etwa die Chance auf Rettungsroboter, die in den Trümmern kollabierter Gebäude unterwegs sind, oder Roboter, die die Kanalisation nach Problemstellen absuchen. Denkbar wären in fernerer Zukunft auch Nano-Roboter, die im menschlichen Körper diagnostische Informationen erheben, verstopfte Arterien freilegen oder gar Krebszellen zerstören. (gpi, 10.10.2023)