Israel zeigte sich nicht erfreut über die Reaktion Chinas auf die blutigen Angriffe der Hamas. Man sei "tief besorgt über die Entwicklungen", fordere "alle Parteien auf, sich mit Gewalt zurückzuhalten", und empfehle "einen sofortigen Waffenstillstand", hatte es am Wochenende aus dem chinesischen Außenministerium geheißen. Das ist in etwa die minimale Standardformel auf dem internationalen Parkett, wenn man nicht nichts, aber doch so wenig wie möglich sagen möchte.

Noch mehr aber dürfte Israel dann der Nachsatz verärgert haben: Die Zweistaatenlösung sei "fundamental", um den Konflikt zu beenden. Die Reaktion der israelischen Botschaft folgte prompt: Man erwarte sich eine schärfere Verurteilung, zudem sei es nicht an der Zeit, eine Zweistaatenlösung zu propagieren, wenn "Menschen auf den Straßen ermordet werden".

Mao Ning, die Sprecherin von Chinas Außenministerium, vermochte sich nicht zu einer klaren Sprache durchzuringen.
EPA/WU HAO

China und Israel pflegten bisher eigentlich sehr gute Beziehungen. Die chinesischen Investitionen in Infrastruktur und im Technologiesektor sind derart gestiegen, dass die USA noch vor kurzem vor einer zu starken Abhängigkeit von China warnten. Gerade in der Terrorismusbekämpfung beziehungsweise dem, was man in den jeweiligen Staaten darunter versteht, arbeitete man eng zusammen: So kommt chinesische Überwachungstechnologie zum Beispiel von Hikvision zum Einsatz, wenn es um Gesichtserkennung in den besetzten Gebieten geht – das Unternehmen hatte jahrelang Zeit, die Geräte an den muslimischen Uiguren in Xinjiang zu testen.

Der Krieg in der Ukraine aber wirft ein neues Licht auf Chinas Rolle auch im Nahen Osten. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 verhält sich Präsident Xi Jinping abwartend und zögerlich. China hat die russische Invasion zwar verurteilt und liefert laut eigenen Angaben keine Waffen nach Russland. Gleichzeitig aber hat sich Xi nicht den Sanktionen gegen Moskau angeschlossen, im Gegenteil: Die chinesischen Energieimporte in Form von Öl und Gas haben seitdem nur zugenommen.

Eigene Interessen

Zudem verfolgt China seit einiger Zeit aktiv eigene geopolitische Interessen im Nahen Osten und nutzt geschickt das Vakuum, das die USA hinterlassen haben. Peking gelang es mit einem diplomatischen Coup dieses Jahr, dass sich die beiden eigentlich verfeindeten Staaten Iran und Saudi-Arabien annäherten und wieder Botschaften eröffneten. Das liegt im Interesse Pekings, da beide Länder zu den wichtigsten Erdöllieferanten Chinas gehören und Peking mittlerweile der jeweils größte Handelspartner ist. Konflikte zwischen Riad und Teheran sind also nicht im geopolitischen Sinne Chinas.

Die Attacken der Hamas auf Israel aber dürften Saudi-Arabien und den Iran eher noch enger zueinandergebracht haben. So hat Saudi-Arabien die Gespräche mit Israel über eine Anerkennung vorerst ausgesetzt, und eine panislamische Solidarität mit den Palästinensern dürfte die Spannungen zwischen den Staaten in der Region dominieren.

Man könnte in die Vorgänge nun viel hineininterpretieren und ein geheimes konzertiertes Vorgehen von Russland, dem Iran und China vermuten. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass regionale Konflikte eine Eigendynamik entwickeln, wenn Großmächte, die diese bisher einhegten, anderweitig beschäftigt sind. An Chinas Interessen hat sich trotz der autoritären Wende unter Xi in den vergangenen 30 Jahren wenig verändert: Wirtschaftliche Stabilität hat oberste Priorität. Das gilt einmal mehr, wenn es um die Versorgung mit Erdöl geht. Mit seinem Einsatz für eine Zweistaatenlösung dürfte China die Beziehungen zu den Staaten der Region nochmals stärken – nicht zur Freude Israels. (Philipp Mattheis, 10.10.2023)