Der Ort der von seinem Wahlkampfteam als "mit Spannung erwartete Ankündigung" verkauften Rede war mit Bedacht gewählt. Der Nachfahre aus der legendären Dynastie der Kennedys trat unweit der Stelle vor seine Anhänger, an der die US-Amerikaner ihre Unabhängigkeit von der britischen Krone erklärt hatten. "Ich stehe heute hier, um als unabhängiger Präsidentschaftskandidat für die Vereinigten Staaten anzutreten", rief Robert F. Kennedy Jr. den paar Tausend Anhängern zu, die nach Philadelphia gepilgert waren.

Schauspielerin Cheryl Hines mit ihrem Ehemann Robert F. Kennedy Jr., der sich in den USA in den Vorwahlkampf stürzt.
IMAGO/Ricky Fitchett

Seine Ehefrau, die Schauspielerin Cheryl Hines, spielte bei der Einführung des Kandidaten schamlos mit dem Erbe der Familie. "Seid ihr wirklich bereit für Bobby Kennedy?", heizte Hines der Menge vor dem National Constitution Center ein. "Bobby" hieß auch der beliebte Vater des Kandidaten, der Justizminister unter Präsident John F. Kennedy war und wie sein älterer Bruder John F. einem Attentat zum Opfer fiel.

Der 69-jährige Umweltanwalt, Impfgegner und Promoter verschiedener Verschwörungserzählungen hat seine Karriere eng mit seiner persönlichen Nähe zu den beiden ermordeten Politikern verknüpft. JFK und RFK werden bei vielen Amerikanern bis heute als Lichtgestalten eines "besseren Amerika" verklärt. "Bobby teilt vielleicht denselben Namen wie unser Vater, aber er teilt nicht seine Werte, seine Visionen oder sein Urteilsvermögen", warnten seine Geschwister Rory, Kerry, Joseph P. und Kathleen vor dem Kandidaten, der in der 45 Minuten langen Rede seinen Austritt aus der Demokratischen Partei erklärte. "Wir sind zutiefst traurig."

Was denkt die Familie?

Auch seine berühmten Vorfahren dürften sich im Grab umgedreht haben, als RFK Jr. vor einem Banner mit der Aufschrift "DECLARE YOUR INDEPENDENCE" seine lange Liste populistischer Klagen über die "Wall Street", "Big Tech", "Big Pharma", den "militärisch-industriellen Komplex", die "Söldner Medien" und die "reichen Geldgeber" herunterratterte.

Das politische System der USA sei ein "zweiköpfiges Monster, das uns über die Klippe führt". Dagegen trete er an. Der Kandidat befeuert alle möglichen Verschwörungserzählungen über die von Bill Gates und Anthony Fauci geplante Covid-Pandemie oder den angeblich von den USA provozierten Überfall auf die Ukraine. Selbst vor antisemitischen Tönen schreckt er nicht zurück. Etwa als er behauptete, Juden und Chinesen seien besonders gut gegen das Coronavirus gewappnet.

Je mehr die Demokraten über die obskuren Ansichten des im April als Herausforderer Joe Bidens bei den Vorwahlen angetretenen Kandidaten erfuhren, desto mehr wandten sie sich von ihm ab. Umfragen zeigen, dass seine steilen Thesen eher in der MAGA-Welt Donald Trumps ankommen. Dessen Wahlkampfteam witterte die Gefahr und warnte, RFK Jr. sei "ein linker Kennedy, der versucht, mit dem Namen seiner Familie Geld zu machen".

Unterstützung an der Basis

Während der international bekannte Wahlforscher Nate Silver nicht davon ausgeht, dass die unabhängige Kandidatur Kennedys dem Amtsinhaber schadet, ist sich der ehemalige Chefstratege Barack Obamas, David Axelrod, angesichts der Unbeliebtheit Trumps und Bidens nicht so sicher. "Alles, was die Schwelle für einen Sieg absenkt, hilft Trump." Dieser habe starke Unterstützung an der Basis.

Kennedy gefällt sich in der Rolle des Spielverderbers. Beide Parteien hätten Angst vor ihm, verkündete RFK Jr. bei seiner Unabhängigkeitserklärung von Philadelphia. Um zu einer echten Bedrohung zu werden, muss er es nun schaffen, auf die Wahlscheine der 50 Bundesstaaten zu kommen. Wie Cornel West, der andere unabhängige Kandidat. (Thomas Spang aus Washington, 10.10.2023)