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Noch stehen auf den Bergen Westösterreichs keine Windräder. Aus logistischer Sicht ließen sie sich aber bereits umsetzen.
APA/dpa/Thomas Warnack

Die Warnung klingt harmlos. "Ab hier muss ich dynamisch fahren." Marcus Scherer steigt aufs Gas und lenkt den Wagen um die steile und enge Kurve der Schotterpiste. Er rumpelt über die Mulde eines Flusslaufs, beschleunigt das Auto über einen steilen Hügel und hält schließlich auf einer buckeligen Kuhweide. Hier oben, bis auf rund 2000 Meter Seehöhe, will Scherer bald die ersten Windräder Salzburgs errichten lassen: mit Blick auf den Gamskogel und den Schwarzkopf, umgeben von Kühen, Almhütten und mehreren Hochspannungsmasten. Über dieselbe steile Schotterstraße sollen Turmteile, Nabe und Rotorblätter des Windrades nach oben transportiert werden. "Kein Problem", sagt Scherer. "Windenergie gäbe es in Salzburg genug. Was fehlt, ist der Mut, damit anzufangen."

Marcus Scherer ist einer jener "Abenteurer", wie er sie nennt, die sich mit Windkraftprojekten nach Westösterreich wagen – nach Salzburg, Tirol und Vorarlberg –, wo bis heute kein einziges Windrad steht. Wo viele auf den Bergen lange Zeit lieber Gipfelkreuze als Windräder sahen, Wasserkraft zur Genüge vorhanden ist und nach der Meinung vieler Windkraft wirtschaftlich wenig sinnvoll sei.

Diese Einstellung hat sich mittlerweile geändert. Der Ukrainekrieg hat auch den westlichen Bundesländern deren Abhängigkeit von Energieimporten vor Augen geführt – vor allem im Winter. Die Windkraft soll nicht nur die Energieabhängigkeit reduzieren, sondern auch zu den Klimazielen der Bundesländer bis 2030 beitragen und nicht zuletzt die energiehungrigen und teilweise strauchelnden Skigebiete mit Strom versorgen.

Trendwende in Politik

In der Landespolitik ist die Verwandlung jedenfalls bereits zu spüren. 2018 meinte Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer noch, Salzburg sei auch ohne Windräder vollständig, nun hält er den Bau von bis zu 25 Windrädern im Bundesland für realistisch. Tirol schrieb kürzlich 100.000 Euro Förderung für das erste Windrad aus. Und auch Vorarlberg fördert erste Windmessungen im Land.

Potenzial für Windenergie ist in allen drei Bundesländern vorhanden – entgegen einigen früheren Behauptungen aus der Landespolitik. Zu diesem Ergebnis kommen die aktuellen Windpotenzialanalysen aus den Bundesländern. Demnach könnte Tirol laut einer Studie rund fünf Prozent seines Energiebedarfs über Windkraft abdecken, was rund 160 Windrädern im Land entspricht. Vorarlberg könnte laut der Windpotenzialerhebung auf 4,3 Prozent der Fläche Windräder errichten. Und Salzburg hat bereits elf Vorrangzonen ausgewiesen, in denen Windräder schneller gebaut werden sollen – eine davon ist das Windsfeld in Flachau, wo Marcus Scherer mit seinem Projektentwicklungsunternehmen Windsfeld insgesamt zwölf bis 13 Windräder auf den Weg bringen will.

Potenzial in den Bergen

"Für die Windkraft im Westen Österreichs muss man nach oben gehen", sagt Scherer. Denn in fast allen Fällen wehe der Wind nur in den Berglagen. Von der Kuhweide, auf der Scherer sein Auto geparkt hat, wandert er einen schmalen Weg steil bergauf, der bis zu dem kargen Bergkamm auf rund 2000 Meter Höhe führt. Dort oben sollen neben dem ersten Windrad auf der Weide weitere elf Windräder stehen mit insgesamt 50 Megawatt Leistung. Ab 2027 könnten sie alle Skigebiete in der Region oder rund 30.000 Haushalte mit Strom versorgen.

Windkraft, Windsfeld, Salzburg, Marcus Scherer
Marcus Scherer vor der Fläche am Windsfeld, auf der bald die ersten Windräder Salzburgs stehen sollen.
Jakob Pallinger

Das wäre jedenfalls der Zeitplan, sofern alles gut läuft, sagt Scherer. Seit zwei Jahren spreche er mit allen Salzburger NGOs und Vereinen, die sich in der Region um den Umweltschutz sorgen. Reichen diese NGOs und Vereine Beschwerdeverfahren gegen die geplanten Windräder ein, könne sich der Bau der Anlage um viele Jahre nach hinten verschieben. "Das ist die wahre Verzögerung bei solchen Projekten und nicht die Bewilligungsverfahren", sagt Scherer.

Alpenverein größter Gegner

Einer der größten Windkraftgegner in den Bergen Westösterreichs ist der Alpenverein. Seit Jahren macht der Verein gegen die Ausbaupläne von Windkraft mobil. Acht der elf Vorrangzonen, die das Land Salzburg ausgewiesen hat, seien für den Bau von Windrädern ungeeignet, heißt es vom Alpenverein – darunter auch das Projekt auf dem Windsfeld.

Die Argumentation: Die Eingriffe, die für den Bau der Windräder notwendig seien, würden große Schäden am alpinen Ökosystem verursachen. Es brauche eine komplett neue schwerlastfähige Zufahrtsstraße, um die Teile zu transportieren. Zudem produzieren die alpinen Windräder deutlich weniger oft in Volllast Strom als etwa Offshore-Windparks, argumentiert der Alpenverein Salzburg.

Forststraße ausreichend

"Wir gehen hier nicht in den Urwald", sagt Scherer. Die Fläche sei mit den vielen Hochspannungsmasten, die sich über den Kamm ziehen, technisch vorbelastet. 60 Prozent der Straße, die für den Transport der Windradteile benötigt wird, seien bereits vorhanden. Lediglich die letzten 400 bis 500 Höhenmeter müsste eine Forststraße bis auf den Kamm errichtet werden. Es gebe mittlerweile logistische Spezialtransporter, für die eine Forststraße völlig ausreichend für den Transport der Windradteile ist.

Auch das Windpotenzial sei auf dem Kamm durch die Verdichtung des Windes optimal. Wanderer oder Bewohner, die sich an den Windrädern stören könnten, gebe es in dieser Gegend kaum, Vögel ebenso wenig. Der Umweltbericht aus dem Widmungsverfahren dokumentiere keine erheblichen Umweltauswirkungen, und dieser Bericht sei dem Alpenverein präsentiert worden, sagt Scherer.

Offene Ohren in Tirol

Hürden beim Ausbau kennen auch Projektentwickler aus Tirol und Vorarlberg. Seit zwölf Jahren kämpft Günter Kramarcsik dafür, Windräder auf dem Venet in Tirol zu errichten. Der 73-Jährige steht mit Bergschuhen, roter Jacke und Kamera vor der Gondelstation der Venetbahn im Tal von Zams, mit der er wenig später zur Gipfelstation auf über 2200 Meter fährt. Früher hat er hier im Winter als Skilehrer Kindern das Skifahren beigebracht. "Dass es einen Tag einmal windstill war, war ganz selten", sagt Kramarcsik. Dies brachte den nunmehr pensionierten Bauingenieur darauf, Windmessdaten auf dem Venet auszuwerten – mit vielversprechenden Ergebnissen das Windpotenzial betreffend.

"Ins Laufen gekommen ist das mit der Windkraft aber erst, als sich Günther Platter vertschüsst hat", sagt Kramarcsik. Der ehemalige Landeshauptmann Tirols habe sich jahrelang gegen Windkraft auf dem Venet gestellt. Kramarcsik selbst sei mit seinen Windkraftplänen als "Spinner" hingestellt worden. Doch nun habe sich der Wind gedreht, für die Windkraft gebe es im Land plötzlich offene Ohren.

Seit Mai ragt über der Gondelstation der Venet-Bergbahnen ein großer Windmessmast in die Luft, der bis nächstes Jahr Windstärke-Daten aufzeichnen soll. Kramarcsik zeigt hinüber auf die andere Seite des Bergkammes: Dort drüben könnten – sofern der Wind passt – bald vier Windräder stehen. Weitere zwei Windräder könnten auf dem Hang gegenüber errichtet werden. Sie sollen nicht nur Strom für Haushalte in den umliegenden Gemeinden, sondern vor allem für die Venet-Bergbahnen produzieren und diesen damit ein zweites finanzielles Standbein bieten.

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Günter Kramarcsik will auf dem Venet in Tirol die erste Windanlage errichten, die dann vor allem Strom für die Bergbahnen liefern soll.
Jakob Pallinger.

Strauchelndes Skigebiet

Denn bereits mehrmals mussten die Eigentümer, darunter auch die Gemeinde Zams, dem Seilbahnunternehmen im vergangenen Jahr finanziell unter die Arme greifen. Sorgen bereiten dem Unternehmen nicht nur die Konkurrenz durch die großen Skigebiete in der Umgebung, sondern auch die hohen Fixkosten. Läuft der Fixstromtarif mit den Energieversorgern Anfang nächsten Jahres aus, könnten sich die Stromkosten für den Seilbahnbetrieb vervierfachen, sagt Stefan Klotz, Betriebsleiter der Venet-Bergbahnen. Mit den Windrädern könnte man den Strom vor der eigenen Haustüre produzieren und überschüssigen Strom mit Ertrag verkaufen.

Windkraft und Skitourismus – was in der Vergangenheit von vielen Seilbahnunternehmen noch als unvereinbar galt, erlebt nun im Westen Österreichs eine neue Symbiose. Laut der Tiroler Landesregierung würden sich gerade Skigebiete als Windkraftstandorte eignen, da diese Gebiete ohnehin schon erschlossen seien. Ein weiterer Grund: Windräder produzieren auch im Winter Strom, wenn die Wasserkraft tendenziell weniger Energie erzeugt.

Windkraft auf dem Arlberg

Das trifft auch auf Vorarlberg zu, das derzeit knapp zwei Drittel seines Stroms im Winter importieren muss. "In den letzten Jahrzehnten war Windkraft ein Tabuthema – auch weil sie so sichtbar ist. Nun wird sie auch hier als Teil der Lösung gesehen, die Winterstromlücke zu schließen", sagt Daniel Zadra, Energielandesrat der Vorarlberger Landesregierung. 20 bis 30 Windräder hält Zadra in den nächsten Jahren für möglich. Diese könnten auch von größeren Energiekonzernen realisiert werden, die sich bereits für Vorarlberg zu interessieren beginnen.

Dass Vorarlberg bisher noch keine Vorrangzonen für Windkraft ausgewiesen hat, stört Zadra weniger. "Vorrangzonen suggerieren, dass nur dort der Windkraftausbau sinnvoll ist, was jedoch nicht der Fall ist", sagt er. Wichtig sei, mit Gemeinden künftig mehr über ihr Windkraftpotenzial zu sprechen und dort zu bauen, wo es umweltverträglich ist. So könne es unter Umständen selbst dann sinnvoll sein, Windräder in Skigebieten zu bauen, wenn dort im Vergleich zu anderen, weniger erschlossenen Gebieten weniger Wind weht.

Noch ist es allerdings keine österreichische, sondern eine Liechtensteiner Gemeinde, die die konkretesten Pläne für den ersten Windpark Vorarlbergs mitbringt. Auf der Alpe Rauz auf dem Arlberg führt die Liechtensteiner Gemeinde Gamprin, der das rund sieben Quadratkilometer große Areal dort gehört, aktuell erste Windmessungen durch. "Aufgrund zahlreicher Anlagen ist dort keine unberührte Bergwelt zu finden, wie man sich das unter dem Begriff der Alpe vielleicht vorstellt", sagt Johannes Hasler, Bürgermeister von Gamprin. So gebe es dort diverse Liftanlagen, Hochspannungsleitungen, Erschließungsstraßen für das mögliche Projekt sowie ein Umspannwerk. Sollte das Windpotenzial passen, könne er sich in den nächsten Jahren einen Windpark vorstellen, der auch mit Beteiligung der Bevölkerung umgesetzt werden könnte und von dem dann auch der örtliche Tourismus profitieren soll.

Windkraft, Alpe Rauz, Arlberg, Gamprin
Auf der Alpe Rauz auf dem Arlberg führt die Liechtensteiner Gemeinde Gamprin bereits erste Windmessungen durch.
Gemeinde Gamprin

Teil der Kulturlandschaft

Mit Windkraft ließe sich der Tourismus in der Region auf völlig neue Beine stellen, ist auch Kramarcsik überzeugt. Beispielsweise könnte man sich als CO2-neutrales Skigebiet vermarkten und die Windräder als eigene Attraktion anbieten. "Beim Windprojekt auf dem Venet war der Tourismusverband der Erste, der einstimmig dafür war", sagt Kramarcsik.

Eine ähnliche Funktion sehen auch Marcus Scherer und Markus Kirchner beim Windsfeld in Flachau. "Windkraft wird mittlerweile positiv assoziiert und als Teil der Kulturlandschaft gesehen", sagt Kirchner. Mit Führungen oder Energiewanderwegen könne man Windenergie auch Touristen näherbringen.

Markus Kirchner ist gemeinsam mit vier anderen Almbauern, ebenso wie der Landesenergieversorger Salzburg AG, am Unternehmen Windsfeld beteiligt. Dies biete ihm die Chance, das Projekt aktiv mitzugestalten, sagt er. Es sollen jedoch auch andere Bewohner stärker in das Windkraftprojekt eingebunden werden. Dafür wolle er mit Scherer Bürgerbeteiligungsmodelle entwickeln, durch die Menschen in den Windpark investieren können.

Energiewende braucht Raum

"Wir können es uns nicht mehr leisten, lediglich mit dem Landschaftsbild zu argumentieren", sagt Scherer, während er wieder den steilen Weg vom Windsfeld hinunterwandert. Denn die Landschaft in den Bergen habe sich bereits durch den Klimawandel stark verändert. "Die Energiewende braucht nun mal Raum – und wir werden sie auch sehen", sagt er. Es liege primär an den Grundeigentümern und den Bergbahnen, in Zukunft vermehrt die Initiative für Windkraftprojekte zu ergreifen.

Bis sich das erste große Windrad im Westen Österreichs dreht, könnte es jedoch noch einige Jahre dauern. "Angesichts der Tatsache, dass wir die vergangenen 20 Jahre nichts gemacht haben, geht es jetzt aber ziemlich schnell", sagt Landesrat Zadra. "Selbst wenn wir nur ein Prozent der Fläche für Windenergie nutzen würden, wäre das eine immense Leistung." (Jakob Pallinger, 5.11.2023)

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