Das erste Wort auf dem Aufkleber ist zur Hälfte verblasst. Trotzdem lässt sich erahnen, dass in dem weißen Briefkasten einmal die Palace Immobilien GmbH ihre Post erhalten hat. Ansonsten ist das weiße Einfamilienhaus in Sankt Leon-Rot, einer Kleinstadt im deutschen Baden-Württemberg, vor allem eines: unauffällig. Kein Ort, an dem man einen ehemaligen irakischen Minister erwarten würde.

Und doch war genau hier bis September letzten Jahres eine Firma ansässig, die Kareem Aftan Ahmed Ahmed gehörte, der von 2011 bis 2014 als irakischer Elektrizitätsminister amtierte und gegen den 2015 im Irak wegen Korruption in 27 Fällen Haftbefehl erlassen wurde. Dennoch gründete Ahmed wenige Wochen später die Palace Immobilien GmbH, gemeinsam mit seinen fünf Söhnen, und erschien laut der im Handelsregister hinterlegten Anmeldung der Firma persönlich beim Notar im nahegelegenen Wiesloch. Als Wohnadresse gab er einen 300 Kilometer entfernten 1.200-Seelen-Ort an – das Haus eines entfernten Bekannten seiner Frau, der Ahmed nach eigener Aussage nie persönlich kennenlernte.

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Der Inselstaat Dominica ist Drehort für "Fluch der Karibik" – und verkauft seine Staatsbürgerschaft.
OCCRP/James O'Brian

Der Ex-Minister ist aber nicht nur Iraker, sondern auch – und das könnte hier von Bedeutung sein – Staatsbürger von Dominica, einem kleinen vulkanischen Inselstaat in der Karibik. Dominica hat gerade einmal knapp 72.000 Einwohner, der zweite und dritte Teil der Kinofilmreihe "Fluch der Karibik" wurde hier gedreht. Doch das Land kämpft mit enormen wirtschaftlichen Problemen. Zwar gibt es etwas Tourismus und Offshore-Firmen-Gründungen, doch der einzige Geschäftszweig, der wirklich boomt, ist der Verkauf von Staatsbürgerschaften.

Freie Einreise nach Österreich

Die sind viel wert: Wer einen Pass aus Dominica hat, darf ohne Visum in mehr als 110 Länder der Welt einreisen – darunter die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Auch nach Deutschland und Österreich. Bei gut zwei Dutzend weiteren Ländern gibt es Visumserleichterungen.

DER STANDARD konnte nun gemeinsam mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), dem Government Accountability Project, einer in Washington, D.C., ansässigen gemeinnützigen Organisation, und internationalen Medienpartnern Dokumente zu insgesamt etwa 7.700 Personen auswerten, die über das sogenannte Citizenship-by-Investment-Programm die Staatsbürgerschaft von Dominica erhalten haben.

Unter ihnen sind so illustre Gestalten wie der ehemals führende Atomwaffenforscher von Saddam Hussein oder der frühere jordanische Premierminister Samir Rifai, der sich ironischerweise öffentlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aussprach. Rifai lässt auf Anfrage mitteilen, er habe seinen dominicanischen Pass nicht benutzt. Aber auch härtere Kaliber, wie Asadullah Khalid, der ehemalige afghanische Geheimdienstchef und spätere Verteidigungsminister, der von einem kanadischen Diplomaten beschuldigt wird, den Mord von fünf UN-Mitarbeitern angeordnet und einen Folterkeller betrieben zu haben. Auf den Listen der Neu-Dominicaner befinden sich zudem mindestens zwei sanktionierte russische Oligarchen.

Laxe Vorgaben

Die Kosten für einen Pass aus Dominica betragen etwa 100.000 Dollar – nicht viel, verglichen mit anderen Staaten, die in den Handel mit Pässen eingestiegen sind. Der Clou auf Dominica: Die neuen "Staatsbürger" müssen weder dort leben noch dort Steuern zahlen, ja: Sie mussten bis vor wenigen Wochen noch nicht einmal persönlich auf der Insel erscheinen, um die Staatsbürgerschaft zu beantragen oder in Empfang zu nehmen. Erst seit Juli dieses Jahres ist ein persönliches Gespräch im Antragsprozess Pflicht. Und: So ziemlich jede und jeder kommt für eine Staatsbürgerschaft infrage, nicht ohne Grund prahlte der damalige Vorsitzende des Passprogramms im Jahr 2016 damit, dass gerade einmal zwei Prozent der Anträge abgelehnt würden.

Für Fachleute ist das Programm ein echtes Problem. "Goldene Pässe wurden für Kriminelle entwickelt", sagt etwa Sophie In 't Veld, die für die liberale Fraktion Renew Europe im Europäischen Parlament sitzt. "Sie sind der rote Teppich in die Europäische Union."

Roosevelt Skerrit
Dominicas Premierminister Roosevelt Skerrit.
REUTERS/JOHANNA GERON

Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, dass wohl vor allem Personen eine neue Staatsbürgerschaft erwerben, die Steuerhinterziehung verschleiern wollen. So berechneten die Wissenschafter, dass in Steueroasen Geldeinlagen von Personen, die sich eine neue Staatsbürgerschaft zugelegt haben, sprunghaft ansteigen. In anderen Ländern investieren diese Personen kein Geld mehr. Die Studie liefert auch ein Beispiel dazu: Kauft sich eine in Deutschland lebende Person einen Pass aus Dominica und eröffnet dann ein Konto in der Schweiz, so wird der Geldfluss in Zukunft nicht als aus Deutschland, sondern aus Dominica kommend angezeigt. Das bedeutet: Die Schweiz meldet sich nicht bei deutschen Behörden, um Einkünfte anzuzeigen – Steuerhinterziehung wird so deutlich einfacher.

Citizenship by Investment

Dabei war der grundsätzliche Gedanke des Programms ein anderer: Anfang der 2000er-Jahre war Dominica in eine wirtschaftliche Krise gestürzt, weil die Welthandelsorganisation die niedrigeren Einfuhrzölle für das wichtigste Wirtschaftsgut, Dominicas Bananen, in der EU verbot. Das Citizenship-by-Investment-Programm versprach dringend benötigte Einnahmen für den Staat, als der bis heute amtierende Premierminister, Roosevelt Skerrit, 2004 mit nur 31 Jahren gewählt wurde.

Doch wie die neuen Bürger Dominicas ihren Reichtum erlangt hatten, war offenbar zweitrangig. Da geht es etwa um Geschäftsleute, die wohl die Sanktionen gegen den Iran umgehen wollten, etwa beim Export von Erdöl oder bei Deals zwischen der spanischen Fußballliga und dem Telekomkonzern Irancell.

Dabei ist es schon lange kein Geheimnis mehr, wie problematisch solche "Golden Passport"-Programme sind. Im Jahr 2020 deckte der Fernsehsender Al-Jazeera in einer Undercover-Recherche auf, wie der damalige Parlamentspräsident von Zypern versprach, einem vermeintlich vorbestraften chinesischen Geschäftsmann bei der Passbeschaffung behilflich zu sein. In der Folge leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren ein, die Regierung in Nikosia kündigte an, das Programm einzustellen, und begann, einige der knapp 7.000 vergebenen Pässe wieder zurückzuziehen.

Gegen Malta geht die EU wegen seines Golden-Passport-Programms juristisch vor. Und im März vergangenen Jahres setzte die EU die visumfreie Einreise für Personen aus, die über ein "Golden Passport"-Programm die Staatsbürgerschaft des Inselstaates Vanuatu im Südpazifik erworben hatten. Zuvor war bekannt geworden, dass der Karibikstaat seine Staatsbürgerschaft auch an Personen verliehen hatte, die in Interpol-Datenbanken geführt wurden, und in knapp fünf Jahren nur einen einzigen Antrag abgelehnt hatte.

Das überrascht nicht, ist das Geschäft doch ein lukratives. Zwischen 2009 und 2021 haben die goldenen Pässe Dominica laut Staatshaushalt und Berechnungen des OCCRP etwa 775 Millionen Dollar eingebracht – und selbst diese Zahl scheint noch vorsichtig kalkuliert zu sein.

Korruptionsvorwürfe gegen Premierminister

Doch wer profitiert tatsächlich von dem einträglichen Geschäft? Wer nachforscht, stößt auf viele Merkwürdigkeiten. So wies das Amtsblatt, in dem die Namen neuer Staatsbürger veröffentlicht werden, zwischen 2007 und 2022 etwa 7.700 Einbürgerungen auf. Doch die im Staatshaushalt aufgeführten Gebühren zwischen 2017 und 2021 deuten auf fast 25.000 neue Bürgerinnen und Bürger hin.

Premierminister Skerrit reagierte auf mehrfache Anfragen des STANDARD nicht, sprach in einer Pressekonferenz am 18. September jedoch von einem Versuch einiger in Dominica, das Pass-Programm zu zerstören und dafür mit Journalisten "zusammenzuarbeiten" und "Unfug" zu verbreiten.

Bei der Opposition vermutet man, dass mehr als eine Milliarde Dollar an Passeinnahmen nie im offiziellen Staatshaushalt angekommen seien. "Das Staatsbürgerschaftssystem ist in den letzten zehn Jahren explodiert", sagte Thomson Fontaine, Vorsitzender der oppositionellen United Workers Party (UWP) auf Dominica, der früher als Wirtschaftswissenschafter für den Internationalen Währungsfonds tätig war. Er beklagt einen "Mangel an Transparenz". Der schwerwiegende Verdacht: Die Staatsspitze bereichert sich persönlich an dem Programm. Tatsächlich dürfte das Vermögen von Premierminister Skerrit sprunghaft angewachsen sein, obwohl er offiziell weniger als 2.000 Dollar pro Monat verdient.

Ein womöglich korruptes Programm für Kriminelle, die damit in die EU einreisen können – stört das niemanden in Brüssel? Auf Anfrage schreibt ein Sprecher der Europäischen Kommission lediglich, dass man die Passhandelsprogramme von Dominica und anderen Ländern überprüfe und in dem Zusammenhang im Februar Fragen an die Länder geschickt habe. Im Anschluss wolle man über nächste Schritte entscheiden. Einen Zeitplan dafür gebe es nicht.

Warum die EU Dominica und sechs weitere Staaten aus der Karibik und dem Pazifik 2015 überhaupt von der Visumspflicht befreite, lässt die Sprecherin der Kommission für Inneres auf Anfrage unbeantwortet. Großbritannien hat deutlicher reagiert: Dort kündigte Innenministerin Suella Braverman schon im Juli an, dass Staatsbürger aus Dominica "aus Sicherheitsgründen" nicht mehr ohne Visum einreisen dürfen.

Was für einige wenige zu einem fragwürdigen Segen wurde, ist nicht nur für die Bevölkerung Dominicas zum Fluch geworden, sondern könnte auch für die Behörden in Europa zu einem echten Problem werden. Gegenüber dem STANDARD gab die deutsche Bundespolizei an, keine Statistiken bezüglich Einreisen mit einem Pass aus Dominica zu haben. Solange die EU keine Maßnahmen ergreift, bleiben die Pässe aus Dominica für Steuerhinterzieher oder Betrüger vor allem eins: Gold wert. (Carina Huppertz, Bastian Obermayer und Ruben Schaar, Mitarbeit: Zack Kopplin, Antoine Harari, Lara Dihmis, Mahtab Divsalar, 11.10.2023)