Die Mutter in der "Paprikakisten", dem Gemeindebau mit dem rotbraunen Verputz an der Bezirksgrenze zwischen Hernals und Ottakring, wusste genau, was ihre Tochter Friedl vorhatte, wenn sie "fensterln" ging. Die angeblich im ländlichen Raum beliebte Variante erotischer Abenteuer war damit nicht gemeint; abenteuerlich war die Sache dennoch.

Das Wichtigste bei dem Vorhaben war nämlich, schnell und so unauffällig wie nur möglich zu sein. Ersteres löste Friedl durch den Einsatz ihres robusten Fahrrads, für Letzteres war Übung nötig. Und Friedl hatte geübt: Sie kannte in der Gegend die Fenster im Erdgeschoß, die kurz vor Ausgangssperre einen Spalt breit offen standen, sodass sie im Vorbeifahren nach den Sackerln greifen konnte, die dort bereitlagen. Diese verschwanden im Handumdrehen unter ihrer Jacke. Mit dem Inhalt der Sackerln einer Polizeistreife in die Hände zu laufen oder einem eifrigen Nazi-Spitzel aufzufallen konnte gefährlich werden. Lebensgefährlich. Was Friedl da sammelte, waren kleine, aber nicht unwichtige Geldbeträge, solidarische Spenden für Familien, die nach der Verhaftung eines Familienmitglieds Unterstützung dringend nötig hatten.

Porträt
Friedl Burda im Jahr 1942.
KZ-Verband/VdA

Friedl kannte die Adresse und den Zeitpunkt für die Übergabe der Beträge. Wer die unterstützten Familien jeweils waren, wusste Friedl nicht, aus gutem Grund. Sich an solchen Aktivitäten der "Roten Hilfe" zu beteiligen galt als Hochverrat. Die "Rote Hilfe", von der KPÖ eingerichtet, war schon seit 1934 aktiv bei der praktischen Unterstützung von Angehörigen politischer Gefangener; sie sammelte Geld- und Sachspenden und kümmerte sich unter anderem um die Rechtsvertretung. Das Wissen von Friedl Burda war riskant. Es reichte im Fall ihrer Verhaftung schon, dass sie wusste, wo etwas zu holen war. Je weniger jemand wusste, umso geringer war die Gefahr, dass die Gestapo durch Tricks oder mit Brachialgewalt weitere Personen ausfindig machen könnte.

Verhaftung und Flucht aus dem KZ

Tatsächlich wurden Friedl und ihre Mutter Anfang 1944, wie dutzende andere in den westlichen Bezirken Wiens im Widerstand Aktive, verhaftet. Die Organisation der "Roten Hilfe" in Hernals und Ottakring spielte bei den Verhören keine Rolle, hier hatte die konspirative Vorsicht funktioniert, die Kontaktadressen waren nur in Friedls Kopf. Leider gab es Kontaktpersonen mit Notizen von kommunistischen, sozialistischen und katholischen Mitgliedern, die die Gestapo fand. Danach durchliefen viele aus der Gruppe die für "Vorbereitung zum Hochverrat" typischen Stationen – Gestapohaft in Wien mit wiederholten Verhören, Überweisung ins Gefängnis, ins Zuchthaus oder ins Konzentrationslager. Zum Prozess kam es nicht mehr; den Nazis blieb vor ihrer Niederlage dafür nicht mehr genug Zeit.

Friedl Burda mit Ehemann, Mutter und Schwiegermutter.
KZ-Verband/VdA

Friedl und ihre Mutter lernten die Gestapoverhöre und die Haft in der Roßauer Lände in Wien kennen. Im Frühjahr 1944 wurden sie ins Landgericht Krems überstellt, und im September landeten sie im Frauen-KZ Ravensbrück. Beide konnten sich im April 1945 bei einem Häftlingsmarsch von Ravensbrück Richtung Westen, als die Rote Armee im Anrücken war, aus dem Staub machen und zu Fuß nach Hernals zurückkehren. Von einigen anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe ist bekannt, dass sie den Zuständen in den KZs, dem Terror durch die Wach-SS oder schlicht dem Hunger und der Ermattung zum Opfer fielen.

Mitgliedskarte des KZ-Verbands von Friedl Burda.
KZ-Verband/VdA. Verwendungsfreigabe: Rudi Burda

Friedl Burda lehnte es zeitlebens ab, sich als Opfer bezeichnen zu lassen – sie war Antifaschistin. Bald nach ihrer Heimkehr arbeitete sie bei der Städtischen Versicherung und war einige Jahre hindurch auch eine über Fraktionsgrenzen hinaus anerkannte Betriebsrätin. Friedl nutzte auf dem Weg in ihre Arbeit, so viel sei ergänzt, ihr bewährtes robustes Fahrrad. (Rudi Burda, Winfried R. Garscha, Paul Hebein, Nives Nina Pjanic, Birgit Hebein, 19.10.2023)