Steve Scalise wartete erst gar nicht ab, ob sich die Nachricht vielleicht doch als Falschmeldung erweisen würde: Aufgebracht twitterte der Fraktionsvorsitzende der US-Republikaner: "Die Hamas köpft Babys", und er forderte die volle Unterstützung der USA für Israel – mit dem Ziel, "diesen Krieg zu gewinnen".

Steve Scalise
Steve Scalise wollte Speaker des US-Repräsentantenhauses werden.
IMAGO/Jack Gruber

Mit dieser Position hat der 58-Jährige zweifellos die Mehrheit im Kongress hinter sich. Parteiintern konnte er sich zwar gegen Jim Jordan durchsetzen. Scalise war jedoch kaum zwei Tage lang Kandidat der Republikaner für den vakanten Posten des Speakers im Repräsentantenhaus, bevor er sah, dass der Widerstand doch zu groß sein würde. Am Freitag wurde bekannt, dass er seine Kandidatur überraschend zurückzog.

Doch die von rechtsextremen Parteikollegen angezettelte Absetzung von Kevin McCarthy als Vorsitzender und die drohende Budgetsperre – der Shutdown – könnten die Hilfe für Israel, und auch für die Ukraine, bald unmöglich machen. Das weiß der Urenkel italienischer Einwanderer: Daher fordert er, die Speaker-Personalie so rasch wie möglich zu lösen.

Vor über 20 Jahren hielt Scalise eine Rede vor Vertretern einer Organisation, die mit dem Ku-Klux-Klan in Verbindung stand. Scalise gestand seinen Auftritt im Nachhinein als "Fehler, den ich bereue" ein. Seine Karriere litt nicht darunter: Seit 2014 ist er Fraktionsführer, seit Jänner 2023 auf expliziten Wunsch McCarthys. Dies mag mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Scalise, Nummer zwei der Republikaner, gegen dessen Absetzung stimmte.

Konservativer der alten Schule

Inhaltlich ist Scalise konservativ durch und durch: In der Migrationspolitik befürwortet er eine harte Linie, bei den Waffengesetzen aber eine sehr liberale Haltung – was den praktizierenden Katholiken und verheirateten Vater zweier Kinder bei Lobbyisten beliebt macht. Erwartungsgemäß restriktiv positioniert er sich in Sachen LGBTIQ-Rechte; und auch bei der Klima- und Umweltpolitik bremst er.

Beim Training für ein Baseballturnier des US-Kongresses wurde er im Juni 2017 von einem Linksextremen angeschossen. Seine Rückkehr in den Kongress im September 2017 erfolgte unter lautstarkem Applaus aller Fraktionen.

Vor wenigen Wochen, im August, machte Scalise seine Blutkrebserkrankung öffentlich: Multiples Myelom – die Heilungschancen seien aber sehr gut, versicherte der studierte Politik- und Computerwissenschafter und begann umgehend eine Chemotherapie. Seine Krankheit soll Scalises Beteuerungen zufolge kein Hinderungsgrund sein für sein politisches Vorhaben: das Repräsentantenhaus wieder zum Arbeiten zu bringen.*

Wie gewonnen, so zerronnen

Die Erreichung dieses Ziels wird ihm wohl verwehrt bleiben: Keine zwei Tage nach seinem knappen Abstimmungserfolg über Jordan musste Scalise erkennen, dass er tatsächlich chancenlos sein würde, wenn es um die formelle Wahl im ganzen Repräsentantenhaus gehen würde: Dass die Demokratinnen und Demokraten nicht für ihn stimmen würden, weil sie mit Hakeem Jeffries einen eigenen Kandidaten haben, lag von Anfang an klar auf der Hand. Doch im Laufe des Donnerstag wurde der Widerstand gegen Scalise innerhalb des eigenen Lagers plötzlich zu stark.

Nach Meetings hinter verschlossenen Türen zog der Fraktionsführer am Abend (Ortszeit) die Konsequenzen, trat vor die Medien und gab seinen Rückzug von der Speaker-Kandidatur bekannt: "Es gibt immer noch einige Leute, die ihre eigene Agenda haben", kritisierte er einige Abweichler in den eigenen Reihen, ohne sie beim Namen zu nennen.

Diese Abgeordneten könnten in den letzten Tagen und Stunden von Anhängern Donald Trumps unter Druck gesetzt worden sein: Denn der um eine Wiederwahl bemühte Expräsident würde lieber den rechtsextremen Jordan auf dem Stuhl des Speakers sehen. (Gianluca Wallisch, 12.10.2023)