In Österreich dürfen Nutzpflanzen nicht mit Glyphosat in Berührung kommen. Andere Länder handhaben das lockerer.
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Einst diente Glyphosat als chemischer Rohrreiniger und sollte Abflüsse von hartnäckigen Ablagerungen befreien. Heute setzt es die Landwirtschaft als universale Wunderwaffe gegen Unkraut ein.

Kein Herbizid ist wirksamer, keines lässt sich im Acker-, Obst- und Weinbau einfacher und günstiger anwenden. Farb- und geruchlos, tötet es innerhalb weniger Tage alles Grünzeug mitsamt den Wurzeln ab, indem es die Fotosynthese verhindert. Nur gentechnisch veränderte Pflanzen sind dagegen resistent.

Seinen globalen Durchbruch verdankt es vor allem Futtermittelherstellern, deren Erträge dank seines Einsatzes kräftig stiegen. Die wachsende Zahl an Hinweisen, dass Glyphosat Mensch und Umwelt womöglich erheblich schadet, bremste seinen Boom nicht ein, wiewohl sich das Pestizid in Brot, Bier und Schokolade ebenso nachweisen ließ wie in Muttermilch und Urin.

Tausende bezahlte und unbezahlte Studien befeuerten die Debatten. Dennoch sind sich Chemiekonzerne, Umweltschützer, Wissenschafter, Politiker und Behörden bis heute nicht über die Risiken einig, die in dem Unkrautvernichter stecken.

Weitere zehn Jahre?

In der EU stand das umstrittene Pflanzenschutzmittel immer wieder auf dem Prüfstand. Stets entschied sich Brüssel für das Totalherbizid, das unter Apfelbäumen und Weinstöcken ebenso regelmäßig zur Anwendung kommt wie im Anbau von Zuckerrüben, Mais und Soja.

Am Freitag steht es erneut im Brennpunkt der Öffentlichkeit: Die EU-Mitgliedsstaaten wollen darüber abstimmen, ob seine Zulassung um weitere zehn Jahre verlängert wird. Mindestens 15 von 27 Ländern müssen dafür ihr grünes Licht geben.

Die Kommission bemühte sich im Vorfeld, über kurzfristige Kompromisse Länder mit ablehnender Haltung wie Frankreich und Slowenien für ihre Zustimmung zu gewinnen. Findet sich keine qualifizierte Mehrheit, wird die Entscheidung vertagt.

Österreich steht vor einem selbstverursachten Dilemma: Es ist verfassungsrechtlich gebunden, gegen ein Verbot zu stimmen. Dafür sorgt ein Beschluss der SPÖ, der Grünen und der FPÖ aus dem Jahr 2017. Die ÖVP und Vertreter der konventionellen Landwirtschaft machten sich mehrheitlich stets vehement für den Erhalt des Spritzmittels stark.

Geringere Erträge

Was würde ein Verbot bewirken? Aus Sicht von Christian Stockmar wären höhere Produktionskosten und starke Ernte- und Einkommensverluste für Landwirte unausweichlich.

Der Obmann der Industriegruppe Pflanzenschutz warnt vor Panikmache durch Umweltschützer. Glyphosat sichere Selbstversorgung, mache Lebensmittel leistbar und schone Böden, da es keinen Pflug im Kampf gegen das Unkraut brauche, sagt er.

Ohne das Totalherbizid benötigten Landwirte deutlich mehr Kraftstoff für die mechanische Bodenbearbeitung, was sich auch negativ auf die CO2-Bilanz auswirke. Letztlich würden Österreichs Agrarbetriebe pro Hektar zwischen 22 und 163 Euro an Bruttogewinn verlieren.

Gefahren sieht Stockmar keine. Glyphosat werde von Mikroben abgebaut und verbleibe nicht in der Umwelt. Die bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit vorliegende Datenlast zugunsten des Pestizids sei "erdrückend".

Für Helmut Burtscher, Umweltchemiker von Global 2000, hingegen, verstößt der Einsatz von Glyphosat gegen geltendes Recht. Die Krebsforschungsagentur der WHO habe das Herbizid als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" eingestuft. Allein schon deshalb sei seine weitere Zulassung von Gesetzes wegen nicht zulässig, da die EU keine Mittel erlaube, die die Gesundheit bedrohten. Burtscher vergleicht die Inverkehrsetzung von Glyphosat mit Tempo 180 auf der Autobahn.

Auch wer mit Sturzhelm, Spezialgurt und guter Versicherung unterwegs sei, habe sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten. "Geltende Gesetze gehören eingehalten, auch wenn es vielen nicht gefällt."

Die Frage der Karzinogenität sei bei Glyphosat nach wie vor nicht geklärt – weder die Behörden noch die Industrie hätten in den vergangenen Jahren den Versuch unternommen, dazu neue wissenschaftliche Beweise zu erbringen, kritisiert Burtscher.

243 Tonnen Glyphosat

In Österreich wurden im Vorjahr 243 Tonnen an Glyphosat in Verkehr gebracht. Gut 90 Prozent davon benötigt die Landwirtschaft. Exakte Daten darüber, wer wo wie viel in Umlauf bringt, liegen keine vor.

Im Jahre 2ooo wurden in Summe 134 Tonnen davon verkauft. Höchstwerte gab es 2010 mit 498 Tonnen. Seither sank der Einsatz sukzessiv, was unter anderem auf gesetzliche Restriktionen zurückzuführen ist.

Ein dauerhaftes nationales Verbot für Glyphosat gibt es bisher in keinem einzigen EU-Land. Luxemburg entzog dem Wirkstoff für drei Jahre die Zulassung, woraufhin der Chemieriese Bayer das Großherzogtum verklagte und in letzter Instanz recht bekam. Luxemburg appelliert seither an Bauern und Bäuerinnen, freiwillig darauf zu verzichten, und gab dazu weitere Studien in Auftrag.

Wissenschaft uneins

Härter denn je wird über die chemische Keule gegen Unkraut freilich auch in der Wissenschaft diskutiert.

Als inakzeptabel bezeichnet etwa Rita Triebskorn vom Institut für Evolution und Ökologie in Tübingen den Vorschlag der EU-Kommission, die Zulassung zu verlängern. Langfristige Wirkungen des Herbizids in Organismen seien kaum erforscht, obwohl es wissenschaftlich evident sei, dass sich Schädigungen auf Glyphosat zurückführen ließen.

Maria Finckh, Expertin für ökologischen Pflanzenschutz an der Uni Kassel, erinnert an die antibiotische Wirkung von Glyphosat. Seine Folgen für das Mikrobiom, die Gesamtheit aller Mikroorganismen, würden völlig ignoriert. Christoph Schäfers vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie, sieht das größte Problem von Glyphosat in seinem Einsatz in extrem großem Umfang. Bisher gebe es aber keine Substanz, die bei vergleichbarer Wirkung weniger ungewollte Nebenwirkungen habe.

Michael Piatti-Fünfkirchen, der seinen Betrieb im Burgenland 1982 als einer der ersten Landwirte in Österreich auf Bio umstellte, ist jedoch überzeugt, dass sich Unkraut mit guter Technik auch abseits von Chemie in den Griff bekommen lässt, ohne Bodenerosion zu fördern.

Starker Einsatz von Glyphosat ist für ihn ein Sinnbild für den Wertverlust vieler Agrarprodukte. Denn wer daran wenig verdiene, habe auch keine Freude an der Arbeit. Es sei eine Hackordnung – mit dem Acker als schwächstem Glied. Für klüger als ein Verbot hält Piatti im Sinne des Gemeinwohls eine höhere Besteuerung des Herbizids. "Steigt sein Preis, regelt sich der Rest von selbst." (Verena Kainrath, 13.10.2023)