Höhlenlöwen-Skelett mit Wurfspeer
Ein vor rund 50 Jahren entdecktes Höhlenlöwenskelett. Spuren deuten darauf hin, dass dieses Tier vor 48.000 Jahren mit einem Wurfspieß getötet wurde.
Volker Minkus ©NLD

Bis vor rund 12.500 Jahren lebten in Europa Höhlenlöwen, die mit einer Schulterhöhe von 1,30 Meter die heute lebenden Löwen deutlich in den Schatten stellten. Die ausgestorbenen Großkatzen, die als eigene Art gelten, gehörten zu den für den Menschen gefährlichsten Tieren der jüngeren Erdgeschichte. Panthera spelaea stand entsprechend an der Spitze der Nahrungskette – ebenso wie der Neandertaler und der moderne Mensch, der den Kontinent aber erst ab vor etwa 45.000 Jahren besiedelte.

Dokumentiert ist dieser besondere Respekt des modernen Menschen vor Höhlenlöwen unter anderem in prähistorischen Höhlenmalereien und Skulpturen. Die bekanntesten Darstellungen sind die 34.000 Jahre alten Abbildungen in der Grotte Chauvet in Südfrankreich, die rund ein Dutzend der mächtigen Tiere bei der Jagd zeigen, sowie der in der Schwäbischen Alb entdeckte Löwenmensch, eine etwa 35.000 bis 40.000 Jahre alte Skulptur aus Mammut-Elfenbein.

Der moderne Mensch dürfte es auch gewesen sein, der zum Aussterben der Höhlenlöwen beigetragen hat, die sich im Übrigen kaum in Höhlen aufhielten. Wie aber war das Verhältnis der Neandertaler zu den Raubkatzen, die vor rund 700.000 Jahren in Europa ansässig wurden, also rund 300.000 Jahre vor den Neandertalern? Zwei neue Funde aus Deutschland, die sowohl zeitlich wie räumlich weit auseinanderliegen, deuten darauf hin, dass die Großkatzen auch schon für unsere nächsten Verwandten von großer Bedeutung waren.

Fell des Höhlenlöwen

Zum einen fand das Team um den italienischen Doktoranden Gabriele Russo (Uni Tübingen) und Thomas Terberger (Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege in Hannover) in der Einhornhöhle (am südlichen Harzrand bei Göttingen) in einer knapp 200.000 Jahre alten Fundschicht unter anderem zwei Zehenknochen von Höhlenlöwen. An einem davon deuten Schnittmarken darauf hin, dass das Tier so enthäutet wurde, dass die Krallen sichtbar am Fell blieben, wie die Forscher im Fachblatt "Scientific Reports" berichten. Einen Hinweis auf aktive Löwenjagd liefert der Knochen jedoch nicht.

Höhlenlöwe
Neandertaler haben vor 48.000 Jahren in Oberbayern einen Höhlenlöwen erlegt.
Graphics by Julio Lacerda ©NLD

Zum anderen entdeckten die Paläontologen neue Belege für Jagdverletzungen an einem 48.000 Jahre alten Höhlenlöwen-Skelett aus Siegsdorf in Oberbayern, nicht allzu weit von der österreichischen Grenze entfernt. "Die Rippenverletzung unterscheidet sich deutlich von Bissspuren großer Fleischfresser und zeigt die typischen Bruchmuster einer Verletzung durch eine Waffe", sagt Erstautor Russo. Diese Verletzungen belegen damit den frühesten direkten Fall einer Tötung eines großen Raubtiers in der Geschichte des Menschen. Eine vergleichende Analyse einer partiellen Rippenpunktion deutet darauf hin, dass der tödliche Stich mit einem hölzernen Wurfspieß ausgeführt wurde.

Krallen als Schmuck?

Im ersten, früheren Fall der vermutlichen Fellverwendung geht die Forschergruppe davon aus, dass das Fell inklusive der Krallen von Neandertalern genutzt wurde, und zwar vermutlich nicht nur als Kälteschutz, sondern auch aus kulturellen Gründen. "Der Wunsch, mit dem Fell dieses gefährlichen Tieres Respekt und persönliche Kraft zu gewinnen, wurzelt allem Anschein nach bereits in der Zeit des Neandertalers", sagte Terberger und sieht Kontinuitäten bis heute, da der Löwe nach wie vor als herrschaftliches Symbol gilt.

Beide Funde zusammengenommen würden vor allem weitere Beweise für eine neue Dimension der Verhaltenskomplexität des Neandertalers liefern, der dem Homo sapiens doch viel ähnlicher war als lange angenommen. Dass die Neandertaler mutige Jäger waren, legte auch schon eine Studie nahe, die Anfang des Jahres erschienen war: Analyse von Funden bei Halle ergaben, dass Neandertaler vor etwa 125.000 Jahren Europäische Waldelefanten jagten. Die waren mit einer Schulterhöhe von bis zu vier Metern und bis zu 13 Tonnen Gewicht wesentlich größer als etwa Wollhaarmammuts oder Afrikanische Elefanten. (tasch, 14.10.2023)