Polizisten hinter einem rot-weißen Absperrband.
Sicherheitskräfte riegelten das Gebiet um den Tatort ab.
IMAGO/COURBE

Ein junger Mann drang am Freitagmorgen um elf Uhr in das an sich gesperrte Areal der Mittelschule Gambetta in der nordfranzösischen Stadt Arras ein. Er erstach einen 50-jährigen Lehrer für Geisteswissenschaften und verletzte einen weiteren mit Messerstichen. Auf einem aus einem Schulzimmer aufgenommenen Video attackiert ein grau gekleideter Mann mit einem Messer mehrere Erwachsene, die ihn teils mithilfe eines Stuhles abzuwehren versuchen. Ein Wachmann erlitt dabei lebensgefährliche Verletzungen. Schulkinder wurden nicht getroffen. Dass er "Allahu akbar" (Allah ist groß) gerufen hat, konnte die Polizei nicht bestätigen.

Bei dem Täter soll es sich um einen gut 20-jährigen Ex-Schüler namens Mohammed M. handeln. Bilder zeigten, wie er abgeführt wurde. Laut Polizeikreisen war der aus Tschetschenien stammende Angreifer radikalisiert; er wird in der sogenannten S-Kartei für islamistische oder andere Gefährder geführt. Noch am Vortag war er deshalb kontrolliert worden.

Der Vorfall bewirkte in Frankreich ein Déjà-vu-Gefühl: Vor ziemlich genau drei Jahren hatte ein junger Tschetschene im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine den Geschichtslehrer Samuel Paty ermordet und enthauptet. Dieser brutale Mord wirkt in Frankreich bis heute ähnlich nach wie der Terroranschlag von 2015 auf das Pariser Konzertlokal Bataclan.

Auch Bruder festgenommen

Die Staatsanwaltschaft in Paris eröffnete ein Verfahren wegen Mordes und "Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung". Möglicherweise handelte der Täter nicht allein; die Polizei nahm jedenfalls auch seinen Bruder fest.

Regierung und Nationalversammlung unterbrachen ihre Arbeiten. Emmanuel Macron wurde noch am Freitag am Tatort in Arras erwartet. Der Staatspräsident hatte erst am Vorabend in einem feierlichen Fernsehauftritt zur "nationalen Einigkeit" angesichts der nahöstlichen Kriegsvorbereitungen aufgerufen. Er forderte eine "Solidarität ohne Wenn und Aber" mit Israel, welches das Recht zur Selbstverteidigung habe. Er rief zugleich dazu auf, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verschonen, wie es für Demokratien Pflicht sei.

Macron sicherte den französischen Juden – die mit einer halben Million Vertretern die größte Gemeinschaft ihres Glaubens in Europa darstellen – den Schutz der Nation zu. Antisemitischen Bekundungen sagte er hingegen einen "erbarmungslosen" Kampf vorher. Ausländische Täter sollen aufgrund eines Rundschreibens des Innenministeriums umgehend des Landes verwiesen werden.

Antiisraelische Kundgebung

Diese scharfe Reaktion der französischen Staatsführung hat auch damit zu tun, dass unter den Geiseln der Terrormiliz Hamas siebzehn Französinnen und Franzosen sind, darunter einige Kinder. Macrons Aufruf zeugte auch ungesagt von der Angst der französischen Behörden und Juden. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der nach der Tat nach Arras reiste sprach am Freitagnachmittag von "barbarischem islamistischen Terrorismus".

Kurz vor Macrons TV-Ansprache hatten einige hundert propalästinensische Organisationen wie "Free Palestine" in Paris eine Kundgebung durchgeführt. Dabei wurde die Parole "Israel Mörder, Macron Komplize" skandiert. Der Polizeipräfekt von Paris hatte die Demonstration wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung untersagt. Kundgebungsteilnehmer errichteten Barrikaden, die Polizei setzte Tränengas ein.

Nach dem Mord an dem Lehrer in Arras wurde der Täter vom Geheimdienst DGSI verhört. Letzterer hatte vor Stellvertreteraktionen im Zuge der Hamas-Attacke gewarnt. Staunen, ja Entsetzen herrscht einzig darüber, wie rasch aus der Befürchtung tragische Realität geworden ist. (Stefan Brändle aus Paris, 13.10.2023)