Marie Höbinger im türkisen ÖFB-Trainingsshirt.
29 Mal spielte MarieHöbinger für das österreichische Nationalteam, dabei erzielte sie sieben Treffer. In Liverpool netzte sie bereits in ihrem zweiten Ligaspiel.
ÖFB / Paul Gruber

Die Women’s Super League in England gilt als stärkste Liga Europas. Neben Torhüterin Manuela Zinsberger und Rechtsverteidigerin Laura Wienroither (beide Arsenal) ist seit Sommer auch Marie Höbinger auf der Insel tätig. Sie wechselte vom FC Zürich zum FC Liverpool und hat sich dort als Stammspielerin im Mittelfeld etabliert. Beim Sieg im zweiten Ligaspiel gegen Aston Villa traf sie sehenswert ins Kreuzeck, am Sonntag verlor sie mit Liverpool das Derby gegen Everton an der Anfield Road mit 0:1.

STANDARD: Wie liefen Ihre ersten Wochen in Liverpool?

Höbinger: Ich wollte ohne Erwartungen, aber mit Respekt vor der Aufgabe ankommen. Ich bin positiv überrascht worden. In Liverpool genießt der Fußball hohes Ansehen. Die Rahmenbedingungen haben mich begeistert. Das ist das, was ich immer wollte: Jeder Tag, jede Sekunde soll sich nur um Fußball drehen.

STANDARD: Wie war der Moment, als Liverpool sich gemeldet hat?

Höbinger: Ich war über allen Wolken. Die englische Liga verfolge ich seit dem Beginn meiner Karriere. Es war ein riesiger Traum, eines Tages in England zu spielen. Die ersten Gespräche mit Liverpool haben mich begeistert, ich war entschlossen: Das will ich machen.

STANDARD: Was wird von Ihnen verlangt?

Höbinger: Ich soll Chancen kreieren, den Ball nach vorne tragen, ein offensiver Motor im Mittelfeld sein. Ich verlange von mir selbst, das Offensivspiel mitzugestalten. Das ist meine Stärke, das macht mir Spaß.

STANDARD: Bei Ihrer Vorstellung in Liverpool sprachen Sie von einer neuen Perspektive, die Ihnen der Klub gibt. Wie sieht die aus?

Höbinger: Ich bin in einer Phase, in der ich unbedingt die nächsten Schritte machen möchte: mich in der Liga etablieren, ein fester Bestandteil von Liverpool werden. Der Wechsel nach England war ein bewusster Schritt aus meiner Komfortzone. Ich strebe an, mich auch als Person weiterzuentwickeln. Die Liga bietet ständig die Möglichkeit, sich mit den Besten zu messen.

STANDARD: Mit 1,62 Metern zählen Sie in Ihrem Team zu den kleineren Spielerinnen. Worauf kommt es bei Ihnen besonders an?

Höbinger: Durch die Körpergröße habe ich eine Stärke entwickelt – die Technik. Bei mir ist ein guter erster Ballkontakt wichtig, dass ich mich dabei nach vorne orientiere und weiß, was ich als Nächstes machen will. Ich muss mir meiner Umgebung bewusst sein und schnelle Entscheidungen treffen. Dann kann ich direkte Duelle vermeiden und mir einen Vorteil verschaffen.

Höbinger begann durch ihren älteren Bruder mit dem Fußball. Als kleines Mädchen kickte sie im Garten des Elternhauses, mit Freunden vom Kindergarten trat sie einem Verein bei. Später besuchte sie eine Schule mit Sportschwerpunkt und spielte im Bubenteam des FC Stadlau. Höbinger nennt diese Zeit als Grund, warum sie schon immer Profi werden wollte. Im jungen Alter wagte sie den Schritt ins Ausland.

STANDARD: Mit 13 Jahren gingen Sie zu Turbine Potsdam. Wie war diese Zeit?

Höbinger: Sehr aufregend. Meine Eltern haben alles unternommen, mir das beste Umfeld zu geben. Potsdam haben mir meine Eltern sehr einfühlsam als Projekt verkauft: "Schau dir das an, wir können jederzeit zu Besuch kommen." Zu Beginn spielten wir Matches unter der Woche, damit wir an Wochenenden wie in jedem anderen Internat nach Hause konnten. Ich kam in den Rhythmus, hatte aber kein Heimweh. Wir waren eine Gruppe von Mädels, die Fußball spielten, in die Schule gingen und zusammenwohnten. Das waren meine besten Freundinnen, quasi wie eine kleine Familie. Das war eine coole Zeit.

Marie Höbinger im Liverpool-Trikot.
Marie Höbinger spielt im Mittelfeld von Liverpool. Sie darf Standardsituationen treten.
FC Liverpool

Über Jugendteams arbeitete sich Höbinger bis in die erste Mannschaft in der Bundesliga hoch. Nach sieben Jahren wechselte sie zum FC Zürich, mit dem sie zweimal Meister wurde und wo sie Interesse aus England weckte. In dieser Zeit hat der FC Liverpool seine Arbeit im Frauenfußball vernachlässigt. Noch im April 2020 beschrieb The Athletic die Liverpooler Fußballerinnen als "Bürgerinnen zweiter Klasse". In einem Artikel war von fehlenden Athletiktrainern und von Trainingsplätzen die Rede, die eines Erstligateams unwürdig waren. Das hat sich geändert: Liverpool baute dem Männerteam nördlich der Stadt ein neues Trainingszentrum, kaufte das alte im Stadtteil Melwood wieder an und renovierte es. Für das Frauenteam.

STANDARD: Im September zog die Mannschaft ins sanierte Trainingszentrum. Was bedeutet das für Ihre Mannschaft?

Höbinger: Das war für den Verein eine Riesensache. Die Bedingungen sind traumhaft, so etwas habe ich noch nie erlebt. Wir trainieren auf großartigen Plätzen, verbringen den ganzen Tag zusammen. Deshalb macht es mir so viel Spaß. Wir bekommen alle Möglichkeiten, hier im Detail zu arbeiten: mit Physiotherapeuten, Fitnessräumen und einer Kantine mit großartiger Küche. Ich bin noch immer jeden Tag begeistert, wenn ich hinkomme. Im Gelände steckt viel Geschichte, das merkt man, wenn man es betritt. Der Ehrgeiz des Vereins ist spürbar. Das wirkt sich auf die Spielerinnen aus.

STANDARD: Im neuen Trainingszentrum der Männer in Kirkby war kein Platz für das Frauenteam. Ärgert das die Spielerinnen?

Höbinger: Ich sehe das in keiner Weise negativ. Der Verein hat zuletzt gezeigt, wie wichtig er den Frauenfußball nimmt. Wenn man die Einrichtungen der Männerteams mitbenutzt, kommt es oft vor, dass etwa das Gym nur zu bestimmten Zeiten zur Verfügung steht; dass man in der Kantine gefühlt nur die Reste der Männer essen darf; dass man immer im Schatten steht. Das ist bei uns gar nicht der Fall. In unserem Trainingszentrum sind wir die Hauptcharaktere.

STANDARD: Wie sehen Sie Ihre Rolle im Nationalteam?

Höbinger: Auch dort wird von mir verlangt, meine Kreativität auszuspielen. Im Moment haben wir viele starke Gegner. Der Teamchefin ist wichtig, dass wir gut verteidigen. Deshalb setzt sie nicht immer auf mich, es kommt auf andere Dinge an. Ich passe mich der Situation an und gebe mein Bestes, wenn ich zum Zug komme. Das Ziel ist ganz klar, jedes Spiel zu spielen. Dort möchte ich hinkommen.

Marie Höbinger
Im Nations-League-Spiel gegen Frankreich wurde Höbinger eingewechselt.
ÖVB/Paul Gruber

In Liverpool hat sich Höbinger gut eingelebt. Mit Teamkollegin Sofie Lundgaard bildet sie eine Wohngemeinschaft.

STANDARD: Kommen Sie gut mit sich selbst aus?

Höbinger: Ich bin ein äußerst geselliger Mensch, fühle mich in Gruppen wohl. Ein gutes Gefüge im Team ist mir unglaublich wichtig. Andererseits wohne ich schon lange im Ausland und bin gewohnt, auf mich achtzugeben. Aber ich bin nicht gern allein. Von der Familie getrennt zu sein ist nicht schön.

STANDARD: Sind Sie streng zu sich selbst?

Höbinger: Sehr. Ich stelle hohe Erwartungen. Meine große Schwäche ist die fehlende Toleranz für Fehler. Ich sehe meine Leistungen kritisch, nicht nur in Matches, auch in jedem Training. Aber Fehler sind nicht schlimm. Jeden Weg, den man einschlägt, geht man aus einem guten Grund.

STANDARD: Woran arbeiten Sie aktuell, was lernen Sie gerade?

Höbinger: Ich möchte mein Englisch verbessern. Es ist solide, aber ich merke, wie ich über einzelne Wörter nachdenken muss, nicht mit vollstem Selbstbewusstsein vor Leuten eine Geschichte erzählen kann.

STANDARD: Wie motivieren Sie sich für Ihre Arbeit?

Höbinger: Das muss ich gar nicht. Ich freue mich schon am Tag davor auf den nächsten. Weil ich das machen darf, was ich am liebsten mache. Das ist alles Motivation genug.

STANDARD: Verspüren Sie Stolz?

Höbinger: Es kommt selten vor, dass ich richtig zufrieden bin. Ich finde es cool, für Liverpool in der Startelf zu stehen. Ich kann sagen: Ich bin angekommen. (Lukas Zahrer, 13.10.2023)