Er kann wischen, waschen und saugen, braucht weder Schlaf noch Ruhezeiten, ist also die ganze Nacht einsetzbar. Er hört auf klingende Namen wie "R3 Scrab Pro" oder "R3Vac". Die Rede ist von einer neuen Generation von Reinigungsrobotern. Entwickler ist ein Technikprofessor namens Mohan Rajesh Elara. Von seiner Fakultät in Singapur kommen am laufenden Band neue Roboter, manche fangen Insekten oder verjagen Schlangen, andere putzen oder sollen in der Pflege helfen. Die meisten der Geräte sind noch im Entwicklungsstadium, aber die Putzroboter werden schon von einem lokalen Unternehmen, Lionsbot, weltweit verkauft.

Mit dabei als Teileigentümer ist auch ein österreichischer Partner: das Reinigungsunternehmen Reiwag. 200 Putzroboter im Monat liefert Lionsbot via Singapur schon aus, erzählt Reiwag-Chef und -Eigentümer Viktor Wagner beim Besuch einer Wirtschaftsdelegation in Singapur. Aber er will mehr: Ein zu üppig ausgebauter Sozialstaat, Wagner spricht von der "sozialen Hängematte", sorge dafür, dass das Reinigungsgewerbe in Österreich immer schwerer Personal finde. Dazu komme die Arbeitskräfteknappheit, die ganz Europa treffe.

SINGAPORE-ECONOMY-TRADE
APA/AFP/ROSLAN RAHMAN

In zwei bis drei Jahren, davon ist Wagner überzeugt, werden in jedem Einkaufszentrum oder Supermarkt Putzroboter schrubben. Er denkt bereits darüber nach, die Fertigung von Singapur nach Vietnam zu verlegen und zu vergrößern – der IT-Support für das Unternehmen wird bereits von Indien aus erledigt.

Mit österreichischem Kapital in Singapur entwickelt, vielleicht bald in Vietnam gefertigt, weltweit mit indischem Support betrieben: Das wäre ein Paradebeispiel für die globalisierte Weltwirtschaft.

Doch die Globalisierung scheint aktuell eine neue Wende zu nehmen. Immer öfter mischen sich Staaten in die Wirtschaft ein. Vor wenigen Wochen etwa hat die EU-Kommission künstliche Intelligenz (KI) als einen jener Bereiche genannt, in denen Europa eigentlich künftig nicht mehr vom Ausland abhängig sein will. KI steckt auch in den Putzrobotern von Lionsbot.

Mit Corona fing es an

Begonnen hat die neue Wirtschaftspolitik bereits mit der Corona-Pandemie, als Lieferketten weltweit unter Druck gerieten und lokale Produktion wieder mehr zum Gesprächsthema wurde.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat das Gefühl in Europa, abhängig zu sein, nur bestärkt. Dazu kommt die zunehmende Rivalität des Westens mit China. Die USA haben bereits unter Donald Trump einen Handelskrieg mit der Volksrepublik begonnen und eine Reihe chinesischer Exporte, von Stahl bis hin zu Waschmaschinen, mit Zöllen belegt. Joe Biden hat mit dem US-Kongress diese Politik der Abschottung nicht nur beibehalten, sondern um die Komponente einer aktiven Industriepolitik erweitert.

Air pollution in Singapore
EPA/HOW HWEE YOUNG

Unter Industriepolitik verstehen Ökonomen gezielte staatliche Wirtschaftseingriffe mit Verweis auf das öffentliche Interesse. Im ersten Schritt haben die USA den Inflation Reduction Act erlassen, der mit Inflation wenig zu tun hat, aber den Aufbau einer nationalen E-Auto-Industrie forcieren soll. Die USA fördern den Kauf von Elektroautos, aber nur wenn das Fahrzeug in Nordamerika gefertigt wird. Die Maßnahme richtet sich nicht nur gegen China, sondern de facto auch gegen die EU. Die USA pushen auch ihre Mikrochip-Industrie, indem sie Exporte von Maschinen nach China untersagen. Japan und die Niederlande haben nachgezogen.

Die EU hat auf die ökonomischen Muskelspiele Washingtons geantwortet und will selbst Milliarden in die eigene Chip-Industrie stecken. Dazu kommt ein geplantes Förderprogramm für grüne Technologien in der Industrie, der Net Zero Industry Act. Gegenüber China sollen Abhängigkeiten reduziert werden. Hinzu kommt die Drohung, E-Autos aus China mit Strafzöllen zu belegen. China antwortet mit Zöllen gegen die USA und Ausfuhrverboten für Gallium und Germanium.

Ist damit die Globalisierung am Ende, wird gar rückabgewickelt? Diese Frage betrifft Österreich als kleine, offene Volkswirtschaft besonders stark. Sie wurde diese Woche in Singapur am Rande einer Konferenz der Wirtschaftskammer, zu der hunderte Unternehmer anreisten, diskutiert.

Neue Produkte vorgestellt

Vor Ort eröffnete etwa der Telekommunikationsausrüster Frequentis einen Präsentationsraum für seine Produkte. Das auf Luftfahrtkommunikation spezialisierte Wiener Unternehmen erwartet heuer einen neuen Auftragseingang über 500 Millionen Euro, wie Chef Norbert Haslacher sagt. 98 Prozent des Geschäfts macht der Wiener Konzern im Exportgeschäft, zu den Hoffnungsmärkten zählen Indien, Vietnam und Indonesien. Das Unternehmen macht in China kaum Geschäfte, dafür ist die US-Armee ein zu großer Kunde. Andere hoffen, dass sie als österreichische Anbieter in Nischen großen Konflikten entkommen können.

Handel neu bestimmt

Geo- und Sicherheitspolitik wird zum bestimmenden Faktor im globalen Handel: So beschrieb es der US-Ökonom Dani Rodrik vor kurzem. Der britische Economist warnt davor, dass Industriepolitik unseren Wohlstand gefährden könnte, weil Staaten keine guten Unternehmer sind. Auf freien Märkten lasse sich am besten herausfinden, was Konsumenten wo brauchen. Staatliche Industriepolitik sei teuer und ineffizient, die Gefahr von Protektionismus nehme zu.Auch aufstrebende Länder wie Indien gefährden die neue Politik. Ökonom Rodrik schreibt, dass es in der Geschichte viele gelungene Beispiele für erfolgreiche staatliche Industriepolitik gebe, sogar bei gleichzeitiger Wirtschaftsöffnung. Südkorea in den 1970er-Jahren etwa.

Mit Industriepolitik können gutbezahlte Jobs auch in sonst eher abgehängten Regionen geschaffen werden. Erfolgreiche Politik müsse mit ökonomischem Verstand und nicht nur mit sicherheitspolitischer Brille geschehen.

Aktuell kann niemand sagen, wie sehr die neue Rolle der Staaten die Globalisierung verändern wird. Eine Möglichkeit ist auch, dass sich unterm Strich wenig tut, nur die Handelsrouten andere werden. Brookings, ein Thinktank in Washington, hat jüngst berechnet, dass als Folge der US-Abschottung gegenüber China die Ausfuhren aus China in die USA ab 2018 zurückgingen.

Andere profitieren

Dafür stiegen Ausfuhren aus Vietnam rapide an, allein zwischen 2019 und 2021 verdoppelten sich Warenexporte von dort in die USA auf 100 Milliarden US-Dollar. Auch in Thailand und Malaysia kauften US-Firmen mehr ein. Der Clou: China exportiert viele der Materialien für die Produktion der in die USA gelieferten Produkte nach Vietnam, Thailand und Malaysia. Das gleiche Muster könnte auch Europa erwarten, sollte die EU in einen offenen Handelskonflikt mit China geraten, sagt James Crabtree, der die Außenstelle des International Institute for Strategic Studies, eines Londoner Thinktanks, leitet. (András Szigetvari aus Singapur, 14.10.2023)