Brenner Autobahn Tirol
Tirol versucht mit den Maßnahmen den Verkehr über den Benner einzudämmen.
imago images / Frank Müller

Rom/Luxemburg/Bozen – Die italienische Regierung hat am Montag die bereits mehrmals angekündigte Klage gegen Österreich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen der Tiroler Antitransitmaßnahmen beschlossen. Dies kündigte Verkehrsminister Matteo Salvini am Ende einer Ministerratssitzung an. Es handle sich um eine "schwierige, aber zwingende Entscheidung angesichts der Haltung der EU-Kommission und der Unmöglichkeit, eine Verhandlungslösung zu erreichen". Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) räumte der Klage keine Chancen ein. Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) betonte gegenüber der APA: Die "Notmaßnahmen" sind rechtskonform.

"Erstmals in der Geschichte der italienischen Republik hat der Ministerrat den Rekurs beim EuGH in Luxemburg gegen die Transitverbote beschlossen, die die österreichische Regierung einseitig am Brenner aufgezwungen hat", erklärte Salvini. Damit beginne ein "präzedenzloses Verfahren, in das wir auch andere Länder einbinden werden", erklärte der Lega-Politiker bei einer Pressekonferenz.

"Der Ministerrat hat den Antrag des Verkehrsministeriums auf Einleitung des in Artikel 259 des EU-Vertrags vorgesehenen Verfahrens gegen die österreichischen Fahrverbote am Brenner angenommen. Dies ist das erste Mal, dass Italien einen anderen Mitgliedsstaat wegen Verletzung des EU-Rechts direkt vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat", hieß es zudem in einer Aussendung von Salvinis Ministerium. Es werde "Aufgabe des Gerichtshofs sein, zu klären, ob die österreichischen Fahrverbote für den Schwerverkehr rechtmäßig sind oder ob der in den Verträgen verankerte Grundsatz des freien Waren- und Personenverkehrs Vorrang haben sollte".

Gewessler verteidigt "Notmaßnahmen"

Ministerin Gewessler verteidigte indes in einer Reaktion einmal mehr die "Notmaßnahmen" Tirols und betonte, dass der Bund eng an der Seite des Bundeslandes stehe. Gewessler mahnte zu Verhandlungen, schließlich liege mit dem "Slot-System" für buchbare Lkw-Fahrten auf der Brennerstrecke ein Vorschlag auf dem Tisch. "Darüber zu reden wäre jetzt angesagt – anstatt wöchentlich mit rechtlichen Schritten zu drohen. Salvini beweist einmal mehr, nicht an tatsächlichen Verbesserungen interessiert zu sein, sonst würde er nicht von Klagen reden, sondern an den Verhandlungstisch zurückkehren", so die Verkehrsministerin.

Österreich ist und bleibe gesprächsbereit. Dies hätten Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und sie selbst am Freitag auch in einem Brief gegenüber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bekräftigt, wartete Gewessler mit einer Neuigkeit auf.

Mattle räumt Klage keine Chancen ein

"Italien wird mit seiner Maximalforderung, nämlich der Aufhebung aller Tiroler Verbote, keinen Erfolg haben", hieß es von Tirols Landeschef Mattle zur APA. Rechtsexperten – wie der Europarechtler Walter Obwexer, der die Landesregierung berät – "geben der Klage keine große Chance". Mattle hielt außerdem fest, dass eine Klage gegen die Antitransitmaßnahmen "nicht weniger" bedeute, "als gegen die verkehrsgeplagten Menschen entlang des Brennerkorridors vor Gericht ziehen zu wollen".

Er berief sich auf die Alpenkonvention, das Weißbuch Verkehr sowie den Green Deal der EU-Kommission, die allesamt "eine Reduktion des Verkehrs und eine Verlagerung auf die Schiene" vorsehen. Die Transitfrage könne nicht vor Gericht, "sondern muss am Verhandlungstisch mit neuen Entlastungsmaßnahmen gelöst werden", sagte er und verwies auf "vernünftige Stimmen hinter den Kulissen, die an gemeinsamen Lösungen interessiert sind". Obwexer berichtete zudem, dass ein Verfahren vor dem EuGh im Schnitt eineinhalb bis zwei Jahre dauere.

Die EU-Kommission wollte sich indes auf APA-Anfrage zu dem montäglichen Beschluss in Rom nicht äußern. Man habe regelmäßig zum Brennertransit Stellung bezogen und habe "an dieser Stelle nichts hinzuzufügen", verlautete sie knapp.

Tajani betont "gute Beziehungen" zu Schallenberg

Vor dem Ministerrat hatte Außenminister Antonio Tajani versucht, die Wogen zu glätten. "Wir prüfen, was am Brenner geschieht. In diesem Fall muss Vernunft überwiegen. Ich hoffe, dass am Schluss eine Lösung gefunden wird", sagte Tajani bei einem Wahlkampfauftritt anlässlich der Südtiroler Landtagswahl in Bozen am Sonntag.

Tajani betonte, dass er nach wie vor "gute Beziehungen" zu Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) habe. "Ich hoffe, dass Österreich begreift, dass es wirtschaftliche Interessen gibt. Nicht nur auf italienischer Seite und natürlich stets unter Berücksichtigung der Umwelt. Ich hoffe, dass die Vernunft überwiegen wird, denn harte Positionen drohen nur Schäden anzurichten", erklärte der Minister.

Laut Artikel 259 kann jeder EU-Staat den EuGH anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderes Mitglied gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat, hatte Salvini vergangene Woche betont. Bevor ein Mitgliedsstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erhebt, muss allerdings die EU-Kommission damit befasst werden. Die EU-Kommission erlässt eine mit Gründen versehene Stellungnahme und gibt den beteiligten Staaten zuvor Gelegenheit zu schriftlicher und mündlicher Äußerung in einem kontradiktorischen Verfahren. Gibt die Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt, zu dem ein entsprechender Antrag gestellt wurde, keine Stellungnahme ab, so kann ungeachtet des Fehlens der Stellungnahme vor dem Gerichtshof geklagt werden.

Der Europäische Gerichtshof befasst sich indes nicht zum ersten Mal mit den Transitregelungen in Tirol. Frächterverbände sowie die EU-Kommission riefen den EuGH bereits mehrmals an, um sich gegen Teile wie das sektorale Fahrverbot oder die Blockabfertigung zu wehren. Tirol musste daraufhin bei der Ausgestaltung nachbessern, dennoch sind die Maßnahmen bis heute in Kraft.

Tirol will an Maßnahmen festhalten

Die Diskussion über die Tiroler Antitransitmaßnahmen auf der Brennerstrecke wie sektorales Fahrverbot, Nachtfahrverbot und Blockabfertigungen schwelt seit Jahren zwischen Italien und Deutschland auf der einen und Österreich auf der anderen Seite. Die schwarz-rote Tiroler Landesregierung hat – mit Unterstützung von Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) – wiederholt klargemacht, an den Antitransitmaßnahmen festhalten zu wollen und nicht von der Regulierung des Schwerverkehrs abzurücken, solange es keine große europäische Lösung gebe.

Salvini geißelte dagegen stets das Vorgehen Österreichs und betrachtet es als EU-rechtswidrig. Der EU-Kommission warf er Untätigkeit vor, da sie nicht von sich aus ein EU-Vertragsverletzungsverfahren einleitet.

Auf regionaler Ebene hatte es dagegen heuer an der Transitfront eine Einigung gegeben. Die Landeschefs von Bayern, Tirol und Südtirol – Markus Söder (CSU), Anton Mattle und Arno Kompatscher (SVP) – hatten im April in Kufstein öffentlichkeitswirksam ein "Slotsystem" präsentiert. Für ein solches digitales grenzüberschreitendes Verkehrsmanagement müsste aber ein Staatsvertrag zwischen Österreich, Deutschland und Italien abgeschlossen werden. Ein solcher ist noch in weiter Ferne. Denn Salvini zeigte sich bisher strikt ablehnend – er will erst darüber reden, wenn die transiteinschränkenden Maßnahmen und Fahrverbote aufgehoben werden. Auch Deutschland reagierte sehr reserviert. (APA, 16.10.2023)