Einsatzkräfte in Hygienekleidung am Tatort
Zwei Personen wurden am Montagabend in Brüssel getötet. Eine weitere Person wurde verletzt, ist aber außer Lebensgefahr.
REUTERS/YVES HERMAN

Brüssel/Stockholm – Der mutmaßliche Attentäter von Brüssel ist tot. Die Polizei hat den 45-jährigen Tunesier Dienstagfrüh in einem Café im Stadtteil Schaerbeek aufgespürt und "neutralisiert", wie es offiziell heißt, also erschossen. Das bestätigte Innenministerin Annelies Verlinden dem TV-Sender VRT. Demnach sei die Tatwaffe, mit der er am Montagabend zwei Schweden im Zentrum von Brüssel erschossen haben soll, bei dem Mann gefunden worden.

Abdesalem L. war zuvor auf die Intensivstation gebracht worden, wie der Ministerpräsident der Hauptstadtregion Brüssel, Rudi Vervoort, nach Angaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehens am Dienstag bekanntgab. Die Polizei fahndet demnach nach möglichen Komplizen.

Mutmaßlicher Attentäter von Brüssel ist tot
Video: Der mutmaßliche Attentäter von Brüssel ist tot. Das teilte die Staatsanwaltschaft in Brüssel mit.
AFP

Nach den tödlichen Schüssen auf zwei schwedische Fußball-Fans in Brüssel hat die Regierung in Stockholm mehr Sicherheit in Europa gefordert. Die aktuelle Situation erfordere mehr Grenzkontrollen und eine Verbesserung der inneren Sicherheit, sagte Ministerpräsident Ulf Kristersson am Dienstag. "Alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, der sich gegen schwedische Bürger richtet, nur weil sie Schweden sind." Das Außenministerium rief Landsleute im Ausland zu Vorsicht auf. Die EU-Kommission hält am Mittwoch eine Pressekonferenz zur Stärkung der Sicherheitsmaßnahmen in der EU ab.

Die belgischen Ermittler gehen Hinweisen nach einem islamistischen Motiv des mutmaßlichen Täters nach, etwa im Zusammenhang mit den Koran-Verbrennungen in Schweden. Der von der Polizei bei der Fahndung erschossene Tunesier soll in einem Internet-Video behauptet haben, er stehe der Islamisten-Miliz IS nahe und habe Schweden getötet, um sich im Namen der Muslime zu rächen. Aber auch eine Verbindung zum Nahostkrieg schloss die Staatsanwaltschaft laut dem Sender RTBF später nicht mehr aus. Der Mann habe zahlreiche Kurznachrichten zur Unterstützung des palästinensischen Volkes verschickt.

Täter war den Behörden aufgefallen

Die Videos von dem Anschlag, die von Augenzeugen ins Netz gestellt wurden, zeigen einen Mann, der mitten im regen Abendverkehr allein mit einem Scooter unterwegs ist. Er hatte offenbar auch Probleme beim Nachladen seines automatischen Gewehrs. Der Verdächtige stammte aus Tunesien und hatte sich zum IS bekannt, er war den Terrorfahndern seit langem bekannt. Nach Angaben von Justizminister Vincent van Quickenborne hatte er im November 2019 Asyl beantragt. Die Staatssekretärin für Asyl und Migration, Nicole de Moor, sagte, sein Asylantrag sei negativ beschieden worden, er sei im Februar 2021 offiziell aus dem Nationalregister gestrichen worden.

In einem von ihm selbst aufgenommenen Video bekannte er sich zu den Morden am Montagabend an den beiden Schweden. Er selbst sprach von drei Getöteten, wusste zum Zeitpunkt der Aufnahme offenbar nicht, dass ein dritter von ihm Angeschossener überlebt hatte. Da er unverhüllt in sein Smartphone sprach, konnte er von der Polizei sofort identifiziert werden. In der Nacht gab es Hausdurchsuchungen. Schließlich wurde der Verdächtige in der Früh in einem Café aufgespürt.

Laut Justizminister van Quickenborne war der Mann der Polizei im Zusammenhang mit Menschenhandel, illegalem Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit aufgefallen. Im Juli 2016 wurden von einer ausländischen Polizeibehörde unbestätigte Informationen übermittelt, wonach der Mann ein radikalisiertes Profil habe und in ein Konfliktgebiet in den Jihad ziehen wolle, wie van Quickenborne sagte. "Darüber hinaus gab es, soweit unseren Diensten bekannt, keine konkreten Hinweise auf eine Radikalisierung."

Fußballspiel abgebrochen

Die Tat ereignete sich kurz nach 19 Uhr in der Nähe des Place Sainctelette im Norden Brüssels unmittelbar vor einem EM-Qualifikationsspiel im König-Baudouin-Stadion. Bei den Opfern handelt es sich um schwedische Fans.

Die beiden Schweden starben rund fünf Kilometer entfernt vom Fußballstadion. Das EM-Qualifikationsspiel wurde beim Stand von 1:1 abgebrochen. Die Nachricht vom Tod der beiden Schweden verbreitete sich in der Halbzeitpause. Nach Angaben des schwedischen Senders SVT beschlossen die Spieler der schwedischen Nationalmannschaft daraufhin, das Spiel nicht fortzusetzen. Die belgischen Nationalspieler hätten sich dem angeschlossen. Mehrere Tausend Menschen mussten aus Sicherheitsgründen zunächst im Stadion ausharren, bis es evakuiert werden konnte.

Reaktionen europäischer Politiker

De Croo drückte dem schwedischen Premier Ulf Kristersson sein aufrichtiges Beileid aus: "Als enge Partner ist der Kampf gegen den Terrorismus ein gemeinsamer Kampf." Kristersson rief die Schweden in Belgien zur Wachsamkeit auf. Der schwedische Justizminister Gunnar Strommer sprach am Montag von "schrecklichen Nachrichten aus Brüssel". Schweden hatte im August seine Terrorwarnstufe auf die zweithöchste Stufe angehoben, nachdem Koranverbrennungen in Schweden Muslime empört hatten. Die schwedische Regierung verurteilte die Verbrennungen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem "feigen Anschlag" und drückte den Menschen in Schweden ihr Beileid aus. Der belgische EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf X: "Das Herz Europas wird von Gewalt getroffen. Mein Mitgefühl gilt den Familien der Opfer des tödlichen Anschlags im Zentrum von Brüssel." Der belgische Königspalast zeigte sich "schockiert" und drückte seine "Unterstützung für die Sicherheitskräfte aus, die alles tun, um den Urheber der Taten zu fassen", hieß es auf X.

Ähnlich äußerte sich Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. "Italien verurteilt entschieden jede Form von Gewalt, Fanatismus und Terrorismus und drückt den Opfern und ihren Familien sein tiefstes Mitgefühl aus", hieß es in einer Erklärung. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) verurteilte die Tat "auf das Schärfste". "Wir stehen im Kampf gegen Terror und Extremismus Seite an Seite", betonte Nehammer auf X. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) verurteilte das Attentat.

Frankreich will Grenzkontrollen verstärken

Das Schloss von Versailles in Frankreich und sein Park sind indes wegen einer erneuten Bombendrohung am Dienstag geräumt worden. Aus Sicherheitsgründen werde das Schloss evakuiert und für den Rest des Tages geschlossen, teilte die Schlossverwaltung mit. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin kündigte an, die Grenzkontrollen zu Belgien verschärfen zu wollen. Der jüngste Fall in Brüssel zeigt, wie schwierig es für die Behörden ist, Anschläge durch Einzeltäter zu verhindern.

Erst vergangene Woche war es im französischen Arras, hundert Kilometer von Brüssel entfernt, in einem Gymnasium zu einem tödlichen Attentat gekommen. Ein ehemaliger Schüler war von Lehrern beim Versuch, in die Schule einzudringen, gestellt worden und hat einen Französischlehrer erstochen. Der junge Mann stammte ursprünglich aus Tschtschenien, war mit seinen Eltern als Kind nach Frankreich gekommen und von den Behörden als islamistischer Gefährder eingestuft. Er stand unter Beobachtung der Geheimdienste. Der Rat der Muslime in Belgien verurteilte das Attentat. Er forderte die Behörden "zu größter Entschlossenheit auf, um unsere nationale Gemeinschaft zu schützen und so schnell wie möglich Licht ins Dunkel zu bringen".

Belgien war in den vergangenen Jahren mehrfach Ziel terroristischer Anschläge. Am 22. März 2016 sprengten sich in Brüssel drei Selbstmordattentäter am Flughafen und in einer U-Bahn-Station in die Luft. Dabei wurden 35 Menschen getötet und fast 700 verletzt. Der IS bekannte sich zu den Taten. Im November 2022 hatte ebenfalls in Brüssel ein mit einem Messer bewaffneter Mann zwei Polizisten angegriffen, wobei einer von ihnen getötet und der andere schwer verletzt wurde. Die Bundesstaatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein. (APA, Thomas Mayer, 17.10.2023)