Hat die Welt noch nicht genug von David Beckham gesehen?
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Er galt als Wegbereiter der "Metrosexualität", seine Kleidung, sein Schmuck, die ständigen Frisurwechsel: Keine Frage, David Beckham hat das Erscheinungsbild von Profifußballern revolutioniert. Und ja, er hatte auch einen rechten Fuß, der sehr gut Freistöße und Ecken treten konnte. Aber wer ist dieser Mann eigentlich, der bis zum Hals zutätowiert ist? Dieser Frage ging der Oscar-Preisträger Fisher Stevens in der neuen Netflix-Dokumentation mit dem schlichten Namen "Beckham" nach – und, nun ja, die erhellendste Reise für die Seele ist es nicht geworden.

David Beckham hatte natürlich schon Probleme. Ohne die gibt es ja keinen Spannungsbogen. Aber dass ihm die Fans nach einer Roten Karte das WM-Achtelfinal-Aus 1998 Englands gegen Argentinien nicht verziehen und ihn noch Jahre danach ausbuhten? Dass er die Antwort sportlich auf dem Platz mit Freistoßtoren für seinen Herzensklub Manchester United gab? Okay, das ist schon eine harte sportliche Vita.

Aber privat lief es eigentlich ganz gut für das Arbeiterkind aus dem Londoner Vorort Leytonstone. 1999 wurde der damals 23-jährige Beckham erstmals Vater und heiratete Victoria Adams, damals besser bekannt als Posh Spice von den Spice Girls. Ein Fressen für die Paparazzi. Da erzählt er in der Doku vom ersten Kuss in einer Parkgarage, aus Angst vor den britischen Tabloids. Celebrity liebt Celebrity. Und dann verzettelt sich Regisseur Stevens immer wieder in ermüdend langen Fußballszenen, dabei ist Beckhams Kickerkarriere gut dokumentiert. Und man fragt sich: Kommt da noch was?

'BECKHAM' Documentary Series | Official Trailer | Netflix
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Interessanter ist da schon die Beziehung Beckhams zu seinem Ziehvater Sir Alex Ferguson, der ihn als Jüngling entdeckte und zu Manchester United holte. Die schottischen Trainerlegende baute Beckham zum Star auf und ließ ihn am Ende wegen dessen exzentrischen Individualismus fallen. Ferguson wurde das zu viel. Der Ruhm habe ihn damals nicht verändert, stellt Beckham trotzig fest. Sein Trainer sah das freilich anders.

Das groteske Ende markierte ein Wutanfall Fergusons in der Spielerkabine, dabei trat er gegen einen am Boden herumliegenden Schuh, der zufällig Beckham ins Gesicht flog und ihm ein Cut über dem Auge bescherte. Beckham wäre gerne in Manchester geblieben, Ferguson ordnete seinen Verkauf an, die Verabschiedung war kühl: "Du liebst einen Spieler nie das ganze Leben. Du wählst ihn wegen seiner Leistung auf dem Fußballplatz. Nicht wegen einer Beziehung neben dem Platz."

Beckham antwortet mit Stehsätzen. Er hat viele Enttäuschungen erlebt. Gefühlt bunter spricht sein früherer Klubkollege und Trauzeuge Gary Neville, und man fragt sich: Warum kommt der ehemalige Verteidiger, der Beckham sowohl in Manchester als auch beim Nationalteam jahrelang den Rücken auf der rechten Seite freihielt, so oft zu Wort? Aaah, verstehe, weil er Geschäftspartner und Mitproduzent der Doku ist. Aber zumindest einmal ein lustiger: "I was a side dish", sagt Neville in einer Szene. Neben Beckham ist fast je­der bloß Beilage. Zu dem Menschen selbst dringt man in dieser fünfstündigen Doku nie richtig durch. Es ist auch erstaunlich, dass so viele prominente Ex-Kicker zu Wort kommen und so wenig Gehaltvolles zu Beckham zu sagen haben.

Posterboy bei Manchester United: Ein fescher Kicker mit einem genialen rechten Fuß, das war David Beckham.
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Vielleicht ist auch deshalb die Sache mit dem Kleiderschrank so wichtig. Beckham hat natürlich mehrere, und er zeigt in der vierten und letzten Folge, wie er das so regelt in seiner Garderobe. Seine Pullover liegen nicht übereinander, nein, Beckham stapelt sie versetzt, sodass er genau im Blick hat, wo sich der schwarze, der graue oder der weiße Pullover befindet. Seine Anzüge legt er nicht mehr jeden Abend raus, damit habe er aufgehört. Inzwischen hängt er sein Gewand für eine ganze Woche auf einen Kleiderständer. In seinem Schrank mit den Hosen fällt ihm auf, dass zwei Kleiderbügel nicht im gleichen Abstand wie die anderen hängen. Da drängt sich der Verdacht auf: "Jemand muss hier gewesen sein."

Der Mann ist eine Werbeikone, stolz auf seine vier Kinder ("They are not little shits"), ist in seiner Wahlheimat USA im Fußballbusiness engagiert als Miteigentümer des Klubs Inter Miami, aber irgendetwas nagt immer noch an ihm. Man erfährt halt nicht genau, was. Heute, mit 48 Jahren, sagt er, ist er immer noch nicht über diesen blöden Fehler mit dem Foul und der Roten Karte bei der WM hinweggekommen.

Aber durch Ordnung im Haushalt entstehen Flow- und Glücksgefühle. Am Abend putzt er regelmäßig seiner Familie hinterher, wie er offenbart. Er ist ein glücklicher Familienmensch, kocht gerne und betreibt eine eigene Bienenzucht. Das ist in der Doku aber nur Nebensache. Regisseur Stevens konzentriert sich womöglich deshalb so stark auf die sportlichen Erfolgen von Beckham – er hat bei drei Weltmeisterschaften gekickt, in drei Ländern Meistertitel geholt und die Champions League gewonnen – weil man eigentlich nicht weiß, was David Beckham wirklich ist. Werbe-Ikone? Geschäftsmann? Ehemann eines Popsternchens? Oder vielleicht doch nur ein pensionierter Fußballer? (Florian Vetter, 18.10.2023)