Die drei Musikanten drehen auf. Sie geben auf Akkordeons und einem Cello Innerschweizer Volksweisen zum Besten. So laut, dass die Gäste im gut gefüllten Gasthof Rössli in Beckenried, direkt am Vierwaldstättersee, fast schreien müssen.

Geladen hat die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) des Kantons Nidwalden. Thema: das Asylwesen in Helvetien. An dem kühlen Abend kurz vor den Schweizer Parlamentswahlen am Sonntag will SVP-Kandidat Roland Blättler letzte Zweifler in sein Lager ziehen. Eigentlich muss Blättler keinen der Anwesenden davon überzeugen, dass er in die große Parlamentskammer, den Nationalrat, gehört. "Wir sind alle für die SVP und wählen den Roly", ruft ein knorriger Pensionist und trinkt Süßmost.

Nicht nur der Zeigefinger spielt bei der Wahlentscheidung mancher Wählerinnen und Wähler in der Schweiz eine Rolle.
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Hier in Nidwalden – einem der Urkantone der Eidgenossenschaft von 1291 – feierte die SVP, die stärkste politische Kraft der wohlhabenden Schweiz und eine der erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien Europas, aufsehenerregende Triumphe. Bei den Nationalratswahlen 2015 bekam sie hier fast 83 Prozent. Landesweit holte damals die SVP um Milliardär Christoph Blocher ihr bisher bestes Ergebnis: 29,4 Prozent. Allerdings bekamen Blocher und seine Getreuen bei den Wahlen 2019 einen Dämpfer: Sie haben einige Prozentpunkte verloren. Bei den nun anstehenden Parlamentswahlen dürfte die SVP laut Umfragen wieder zulegen.

Front gegen die EU

Die SVP bietet heimelige Wohlfühlstimmung, viele Eidgenossen, nicht nur im Rössli, tauchen allzu gerne darin ab. Die Partei beschwört die Neutralität des Landes, macht harte Front gegen die EU. Und sie setzt routiniert auf die Furcht vor den Fremden. "Die SVP malt Szenarien eines drohenden Wohlstandsverlustes und einsetzender sozialer Krisen an die Wand", erläutert der Zeithistoriker Damir Skenderovic. "Sie schürt Abstiegsängste in der Mitte der Gesellschaft und stellt Migrierende und Geflüchtete als Gefahr für den Wohlstand dar, die es mit ihr abzuwehren gilt."

Es ist eine klassische Sündenbockpolitik. Mit dieser Strategie hat sich die SVP nach oben geschoben, sie gehört in der Alpenrepublik seit Jahrzehnten zum unverrückbaren politischen Inventar. "Eine ernsthafte Diskussion, ob die SVP mit ihren rechtspopulistischen Positionen überhaupt in der Regierung vertreten sein soll, hat es nie wirklich gegeben", hält Skenderovic fest. Und so stellt die SVP zwei der sieben Minister in Helvetiens Regierung.

Die Musik im Rössli verstummt. SVP-Helfer verteilen Äpfel. An den Tischen sitzen zumeist ergraute Männer, der Altersdurchschnitt liegt geschätzt bei 60 Jahren. "Liebe SVP-Familie", begrüßt Kandidat Blättler seine Gefolgsleute. Er verteilt sein "Extrablatt", eine großgedruckte SVP-Wahlpostille: "Wollen wir einfach zuschauen, wie jedes Jahr rund 80.000 Personen zusätzlich in unsere kleine Schweiz kommen?", steht da. "Diese mehrheitlich jungen Asyl-Männer aus Afrika und arabischen Ländern leben auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung."

Gewaltaufrufe

Der Kandidat und SVP-Parteikollegin Martina Bircher, Nationalrätin aus dem Aargau, stimmen überein. Die "maßlose Zuwanderung" bringe in fast allen Bereichen nur Unheil: Wohnungsnot, verstopfte Straßen und Züge, Gewalt und Kriminalität. Blättler sagt: "Es kommen zu viele Leute in die Schweiz, und es kommen die Falschen." Ein Zuhörer zischt halblaut: "Katastrophe." Ein anderer schimpft: "Da hilft nur noch das Jagdgesetz." Was er meint, lässt sich nur erahnen. In der Pause erscheint ein hochgewachsener Herr, kariertes Sakko, durchdringender Blick. Er sagt: "In Deutschland würde ich die AfD wählen. (Jan Dirk Herbermann aus Beckenried, 19.10.2023)