Bei Raketeneinschlägen wurden zwei Trakte des Spitals von Ashkelon teils und einer ganz zerstört.
Maria Sterkl

Neongelb, vollgetankt und jederzeit startbereit sind die mobilen Intensivstationen, die auf dem Parkplatz vor der Notaufnahme nur auf den Einsatzbefehl warten – im doppelten Wortsinn. Hier, im Barzilai-Krankenhaus in Ashkelon, werden die verwundeten Soldaten der Bodenoffensive in Gaza versorgt werden, wenn sie denn beginnt. Die Grenze zum Gazastreifen ist nur zehn Kilometer entfernt. Zehntausende Soldaten sind dort stationiert, jederzeit kann der Marschbefehl kommen. Niemand weiß, wann. Klar ist: Es wird viel Blut fließen.

"Wir sind in Warteposition für das, was kommt", sagt Ilena Markman, Chirurgin in der Notaufnahme. Von einer Ruhe vor dem Sturm kann jedoch keine Rede sein. Gar nichts ist ruhig in Ashkelon. Ständig heulen die Sirenen. Immer noch halten die Terrorgruppen im Gazastreifen den Süden Israels unter Beschuss. Ein Teil des Krankenhauspersonals schläft jede Nacht im Untergrundbereich des Krankenhauses, weil es zu gefährlich wäre, nach Hause zu fahren.

Ein Krankenwagen vor dem Barzilai-Spital.
Maria Sterkl

Nicht so Ilena. Die 35-Jährige sagt, ihr einziger Anker in diesen Tagen seien ihre beiden Kinder. Deshalb fährt sie nach fast jeder Schicht knapp 50 Kilometer, selbst wenn sie 26 Stunden durchgearbeitet hat, zur Familie. Wenn unterwegs Raketenalarm ist, "dann fahre ich noch schneller", sagt sie. Das ist irrational und gefährlich, weiß auch Ilena. Aber Stehenbleiben kommt nicht infrage. Immer vorwärts, nur nicht innehalten. Das ist das Leitmotiv dieser Tage, für alle hier im Spital.

Egal mit wem man spricht: Alle haben rote, müde Augen. Elf Tage sind vergangen seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israel. Die Überlebenden der Massaker, der Folter, der Misshandlungen – sie landeten hier. "Bevor ich Arzt wurde, war ich zwölf Jahre lang Sanitäter, und ich habe wirklich viele Terroropfer gesehen", sagt Assaf Ozan. "Aber solche Bilder" – der 36-Jährige kann nicht weitersprechen, weil er mit den Tränen kämpft.

Ein Meer von Patienten

Schüsse ins Gesicht, auf den Kopf, in die Lunge, zersprengte Gedärme, abgehackte Gliedmaßen – die Verwundeten kamen und kamen, und es wurde nicht weniger, erzählt Ilena. "Es war ein Meer von Patienten." Jetzt, wo es vorbei ist und man auf den nächsten Ansturm wartet, plagen Ilena die Gedanken, was man hätte besser machen können. "Jeder Soldat, jeder Zivilist, der eingeliefert wird – das ist ja das Leben eines Menschen. Dann denkst du immer, vielleicht könnten wir noch effizienter arbeiten, weil ja jede Minute darüber entscheidet, ob ein Mensch überlebt."

Ärztin Ilena Markman, ihr Kollege Assaf Ozan.
Maria Sterkl

Ob sie psychologisch betreut wird? Ilena lächelt: "Psychologen gebe es – aber die Zeit gibt es nicht. Ich glaube, wir wollen im Augenblick alle nur vergessen, um zu funktionieren. Wenn irgendwann einfachere Zeiten kommen, dann kümmern wir uns um uns selbst."

Wer das Spital betritt, merkt sofort, dass hier Ausnahmezustand ist. Überall stehen Soldaten, bereit für den Zugriff von Angreifern. Zu jedem Zeitpunkt trifft man hier spezielles Betreuungspersonal, ihre Jacken tragen Aufschriften in großen Lettern: "Psycholog/in" oder "Sozialarbeiter/in". Alle, die im Krankenhaus ankommen, sollen ohne Umweg seelischen Beistand bekommen können – nicht nur Patienten und ihre Angehörigen. "Wer eine Angstattacke hat oder leidet, weil er das Haus verlassen musste, kann jederzeit zu uns kommen", sagt Tal Ovadia, einer der 35 Sozialarbeiter.

"Es war schrecklich"

Auch Ovadia erzählt von der Doppelbelastung, die alle im Team zu schultern haben. Zu den Schilderungen der Klienten "einer Brutalität, wie ich sie noch nie gehört habe", kommen die eigenen Schicksalsschläge. Eine Sozialarbeiterin verlor ihren Sohn im Massaker. "Wir waren alle beim Begräbnis, es war schrecklich", sagt der 43-Jährige.

Zerstörung nach Raketeneinschlägen im Barzilai-Krankenhaus.
Maria Sterkl

Zwei Raketeneinschläge zerstörten einen Trakt des Krankenhauses teilweise und einen komplett. Verletzt wurde hier niemand, anders als bei der Tragödie im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza. Es war der vierte Kriegstag, die Patienten der oberen Etagen waren in den Untergrund evakuiert worden. Anders als in Gaza dienen die Spitäler in Israel aber auch nicht als Massenbunker für Zivilisten, weil es hier ein Netz an Luftschutzräumen gibt – und dank Raketenabwehr auch weniger Obdachlose, die Zuflucht suchen.

Die Angst lässt sich trotzdem nicht verscheuchen. "Oft hört man die Sirenen erst, wenn es schon gekracht hat, manchmal hört man sie gar nicht", sagt Mohammad Abu Hamad, ein Ausbildungsarzt im Spital, "das jagt einem schon Furcht ein." Er ist einer der vielen israelischen Araber im Ärzteteam von Barzilai. Wie er dazu steht, dass die Armee bald in den Gazastreifen einmarschieren wird? "Es ist schrecklich, aber es ist eine Reaktion auf das, was passiert ist. Ich wünschte, wir hätten das von Anfang an vermeiden können."

Unter den vielen Patienten, die seit dem "Schwarzen Samstag", dem 7. Oktober, hier eingeliefert wurden, war auch mindestens ein Terrorist aus Gaza. "Wir diskutieren so etwas nicht", sagt Chirurgin Ilena. "Wir sind Ärzte, das ist unsere Pflicht." Man versuche, die Politik draußen zu lassen. Es lässt sich aber nicht immer trennen. Eine Traube von Ärzten, teils noch mit OP-Mützen am Kopf, versammelt sich rund um den TV-Bildschirm in der Notaufnahme. Der Sprecher der israelischen Streitkräfte gibt eine Pressekonferenz, sie wird live übertragen. Der Militärsprecher sagt: "Wir sind bereit für nächste Schritte." Und einer der Ärzte nickt. (Maria Sterkl aus Ashkelon, 19.10.2023)