Vorbei die Zeiten, in denen in Südtirol ein "Landesvater" – so wie Silvius Magnago und dann Luis Durnwalder – mit absoluter Mehrheit regieren, schalten und walten konnte. Deren Nachfolger, Landeshauptmann Arno Kompatscher, kann von solcher Machtfülle nur träumen: Der Südtiroler Volkspartei (SVP) droht am Sonntag, ähnlich wie jüngst der CSU in Bayern, ein historisch schlechtes Ergebnis bei der Landtagswahl in Italiens autonomer Provinz.

Deutsch, Italienisch, Ladinisch: Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) wirbt bei allen Sprachgruppen um Stimmen für die Wahl am kommenden Sonntag.
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Doch das liegt weniger an der Person Kompatschers, der schon vor fünf Jahren mit "nur" 42 Prozent der Stimmen vorliebnehmen musste: Der 52-Jährige wird auch dieses Mal Vorzugsstimmenkaiser werden. Es ist vielmehr die SVP als solche, die nicht mehr "zieht"; deren große Zeit vorüber ist; weil sie schon in zu viele Skandale verwickelt war; weil andere Parteien und Listen bei den Wählern und Wählerinnen oft besser und glaubwürdiger ankommen.

Saftige "Watsch’n"

Umfragen zufolge wird sich die SVP dieses Mal bei 32 bis 35 Prozent wiederfinden. Das mag zwar, nach 2018, eine weitere saftige "Watsch’n" sein – wird aber noch immer für einen deutlichen Stimmensieg reichen. Und allemal für das siebzehnte Regierungsmandat seit 1948.

In all diesen Jahrzehnten musste die konservative deutschsprachige Sammelpartei statutengemäß wegen der besonderen Südtiroler Sprachgruppenpolitik einen "italienischen" Koalitionspartner haben. Das waren zunächst die Christdemokraten, später aber auch sozialistische oder sozialdemokratische Parteien, manchmal sogar autonomistische Gruppierungen. In der vergangenen Legislaturperiode kam es mit der Lega zum Schwenk nach rechts.

Und 2023? Alles spricht dafür, dass das Mitte-rechts-Lager noch stärker werden wird: Kompatscher würde wohl lieber mit den Grünen koalieren – tatsächlich wird aber eine Koalition mit den rechten "italienischen" Parteien von Matteo Salvini (Lega) und von Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) notwendig werden.

Und da die SVP es erstmals nicht mehr schaffen wird, alle der deutschen Sprachgruppe zustehenden Mandate zu bekommen, wird sie sich – ebenso eine Novität – nun auch einen deutschsprachigen Koalitionspartner suchen müssen.

Aus diesem Fundus könnte sich das Team K des ehemaligen Fünf-Sterne-Politikers Paul Köllensperger anbieten, das sich Regionalismus, Umweltpolitik und direkte Demokratie auf die Fahnen schreibt.

Wahrscheinlicher aber wird Kompatscher die Partei Die Freiheitlichen in die Landesregierung holen: Die Schwesterpartei der FPÖ bemüht sich schon länger um einen sachlicheren Auftritt als früher.

AfD auf Südtirolerisch

Diesen Pragmatismus hat die neue "Liste JWA" dazu genützt, die Freiheitlichen rechts zu überholen. Ihr Chef und Namensgeber ist der 53-jährige Landwirt und Skilehrer Jürgen Wirth Anderlahn, der 2021 wegen eines als homophob und rassistisch kritisierten Musikvideos als Landeskommandant des gleichermaßen traditionellen wie einflussreichen Südtiroler Schützenbundes zurücktreten musste.

Doch statt sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, tritt der Glatzkopf mit Tattoos und weißem Hipsterbart bei der Landtagswahl mit einer eigenen Liste an, die man als Südtiroler Ableger der AfD charakterisieren könnte.

Im Wahlkampf postulierte Anderlahn Parolen wie "Heimreise statt Integrationsgeschwätz" oder "Überfremdung stoppen". Und manchmal bemüht sich Anderlahn nicht einmal darum, einen kausalen Zusammenhang herzustellen: "Zu viel Verkehr, zu wenige Kinder" – wobei er von Autos spricht.

Solche Slogans und das Wettern gegen Corona-Maßnahmen und Impfungen (in Südtirol auch 2023 noch ein Thema) stoßen auch nördlich des Brenners auf Sympathie: FPÖ-Chef Herbert Kickl gab jüngst eine Wahlempfehlung für Anderlahn ab – wohl zum Missfallen der eigenen Schwesterpartei in Südtirol.

Schweres Zerwürfnis

Ebenso wenig wie mit Anderlahn wird Kompatscher mit der Liste "Für Südtirol mit Widmann" koalieren. Deren Namensgeber, das frühere SVP-Urgestein Thomas Widmann, überwarf sich mit dem Landeshauptmann – die Kandidatur mit einer eigenen Liste war die fast zwingende Folge. Eine Zusammenarbeit der beiden Streithansln gilt als geradezu denkunmöglich.

Kompatscher, gleichzeitig Verlierer und Gewinner, wird also nichts anderes übrigbleiben, als statutenkonform eine Koalition zu schmieden, die niemand in Südtirol wirklich will. Und die den Wählerschwund auch in den kommenden fünf Jahren nicht stoppen wird. (Gianluca Wallisch, 21.10,2023)