Der junge Kellner lächelt freundlich, aber hilflos. "No German", sagt er entschuldigend, "ich komme aus der Ukraine." Sein Englisch ist gut genug, um dem Gast den Weg zu den Toiletten zu zeigen: durch die Halle, vorbei am BBQ-Stand und nach der Palme rechts.

In diesen Tagen wird Wiens erster Foodcourt eröffnet. Aus einer alten Remise der Badner Bahn in Meidling wurde der "Gleisgarten". Der Probebetrieb läuft seit mehreren Wochen. Nicht nur die Kellner, auch das Personal hinter den Theken spricht hauptsächlich Russisch oder Ukrainisch, ob beim Pizzaofen oder beim griechischen Gyros. Zudem ist die Fluktuation offenbar hoch. Er sei ständig zu anderen Diensten eingeteilt, erklärt ein Kellner. Einmal serviere er in der Pizzeria Buffalino in Währing, dann im griechischen Iris auf dem Naschmarkt und am nächsten Tag im Freiraum auf der Mariahilfer Straße.

Gleisgarten, Buffalino, Freiraum

Alle diese Lokale haben einiges gemeinsam: Ihr Personal besteht hauptsächlich aus jungen Frauen und Männern aus der Ukraine. Auch die Eigentümer kommen aus der Ukraine und gründeten erst 2022 die Gastrofirmen in Wien. Dennoch kam es seither bereits zu auffällig häufigen Wechseln von Gesellschaftern und Geschäftsführern. Mit dem STANDARD will niemand von ihnen sprechen.

Wer steckt hinter dem
Wer steckt hinter dem Gleisgarten, Wiens erstem Foodcourt in einer alten Bahnremise in Meidling?
Regina Hendrich

Wer die Restaurants in Meidling, Währing, auf dem Naschmarkt und in der Mariahilfer Straße wirklich kontrolliert und finanziert, bleibt deshalb im Dunklen. Aber es gibt Hinweise in Gerichtsdokumenten, in Firmenbüchern und im Datenleck der "Panama Papers". Die Spuren führen zu Offshore-Firmen auf den Seychellen und in Zypern, zu Ermittlungen der ukrainischen Justiz wegen des Verdachts der Unterschlagung sowie der Finanzierung des Feindes Russland. Und sie führen zu einem ukrainischen Oligarchen, der nach Moskau flüchtete und dessen Name auf allen Sanktionslisten steht.

"Unterstützung des Aggressor-Staates"

Die Spurensuche beginnt im ersten Kriegsjahr in Kiew. Am 1. Juni 2022 veröffentlichte die ukrainische Polizei ein Kommuniqué über die Hausdurchsuchung in der Kiewer Zentrale einer großen Restaurantkette. Dem Besitzer der Kette wurden "Untergrabung der nationalen Sicherheit" sowie "Unterstützung des Aggressor-Staates" vorgeworfen. Über die Restaurants sei Geld nach Russland verschoben worden. Den Namen des Unternehmens nannte die Polizei nicht, doch ukrainische Medien wussten schnell Bescheid: Ziel der Polizeiaktion war die Kette Tarantino Family, zu der einige der beliebtesten Lokale der ukrainischen Hauptstadt gehörten. Etwa die Pizzeria Buffalino, das Rukkola oder das japanische Murakami.

Der Besitzer der Gastrokette war für die Polizei damals nicht mehr greifbar: Dmytro Fedotenkow hatte sich mit seiner Familie nach Wien abgesetzt. Hier meldete er sich in einer Wohnung im Döblinger Nobelviertel an und gründete bald nach seiner Ankunft mehrere Firmen, die marode Gasthäuser in Wien übernahmen.

Neuanfang in Wien

In Währing eröffnete der 43-jährige Fedotenkow in der Czartoryskigasse eine Kopie seiner Kiewer Pizzeria. Das Wiener Buffalino wurde schnell zum Treffpunkt ukrainischer Neureicher, die in ihren schwarzen SUVs vorfuhren, wenn der Chef wieder einmal Hof hielt. Wenige Hundert Meter entfernt ließ Fedotenkow in der Gersthofer Straße 30 ein heruntergekommenes Café zum Restaurant "Rubi – israelische Küche" umbauen, und auf dem Naschmarkt kaufte er das Iris mit seiner griechischen Küche. Auch seine Frau war mit an Bord. In einer Gastrofirma wurde Dmytro Fedotenkow Gesellschafter und dessen Gattin Geschäftsführerin. In einer anderen Firma vertauschte das Ehepaar die Rollen.

Zwei Restaurants laufen bis heute. Nur das Rubi bekam bald Probleme mit Anrainern und Behörden und musste nach wenigen Monaten wieder schließen. Die Betreibergesellschaft GeHo 30 behielt Fedotenkow jedoch und übernahm mit ihr zwei andere Lokale in bester Lage auf der Mariahilfer Straße: das Freiraum und im selben Haus das japanische Funky Izakaya. Alle diese Lokale tauchten als Caterer während des Probebetriebs im Gleisgarten auf.

Ungeklärter Wohnbauskandal in Kiew

Während Fedotenkows Wiener Gastrofirmen expandierten, dehnte auch die ukrainische Justiz die Ermittlungen gegen ihn aus. Heute geht es nicht mehr nur um mutmaßliche Finanzierung des Feindes, sondern um eine angebliche Beteiligung Fedotenkows an der finanziellen Aushöhlung eines der größten Baukonzerne der Ukraine. Ukrbud baute Wohnungen für Kleinanleger ebenso wie für das Militär. Trotz blühender Auftragslage stand das Unternehmen 2019 knapp vor dem Ruin und musste vom Staat aufgefangen werden. Tausende Kiewerinnen und Kiewer warten bis heute auf die Fertigstellung ihrer Eigentumswohnungen, in die sie oft ihre gesamten Ersparnisse investiert hatten.

Der Ukrbud-Skandal reicht bis hinauf in den Kiewer Präsidentenpalast: Wegen des Verdachts der Bestechung ermittelte die ukrainische Staatsanwaltschaft gegen einen Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Doch die damalige Generalstaatsanwältin, eine Parteigenossen Selenskyjs, boykottierte die Arbeit ihrer eigenen Behörde so lange, bis die Ermittlungen eingestellt werden mussten. Kritiker des Präsidenten werten das als weiteren Beweis, dass es Selenskyj mit der Korruptionsbekämpfung nicht wirklich ernst meint.

Offshore-Firmen auf den Seychellen

Wer für das Verschwinden von Millionen aus dem Ukrbud-Budget verantwortlich ist, konnte bis heute nicht geklärt werden. Erst wurde Fedotenkows Vorgänger an der Konzernspitze beschuldigt, dann Fedotenkow selbst und sein damaliger Partner. In Interviews mit ukrainischen Medien wies Fedotenkow den Verdacht zurück: Er sei unschuldig. DER STANDARD betont, dass die Unschuldsvermutung gilt.

Bemerkenswert nur: Etwa zur selben Zeit, als Urkbud in finanzielle Schräglage geriet, gründete Fedotenkows Frau gemeinsam mit einem Geschäftspartner zwei Offshore-Firmen auf den Seychellen. Das zeigen Unterlagen aus dem Datenleck der "Panama Papers". Firmenzweck: unbekannt. Fedotenkows Gattin ist heute Mehrheitseigentümerin des Restaurants Iris auf dem Wiener Naschmarkt.

Das Rubi in der Gersthofer Straße musste mittlerweile wegen Anrainerbeschwerden zusperren.
Das Rubi in der Gersthofer Straße musste mittlerweile wegen Anrainerbeschwerden zusperren.
Bernhard Odehnal

Im Jänner 2023 berichtete das Magazin "Datum" über den Eintritt von Dmytro Fedotenkow in die Wiener Gastroszene. Fedotenkow ließ damals über eine Wiener PR-Agentur ausrichten, dass er im Februar 2022 nach Wien gekommen sei "mit dem Plan, hier meinen Beruf als Geschäftsmann auszuüben, da Österreich ein friedliches und sozial stabiles Land mit ausgesprochen wenig Korruption ist". Für die Ukraine sehe er hingegen angesichts des Krieges und der enormen Korruption keine Zukunft. Für den STANDARD waren weder Fedotenkow noch seine Frau zu erreichen. Die PR-Agentur ist heute nicht mehr für ihn tätig, teilt sie mit.

Tarantino Family

Fedotenkows Wiener Gastro-Abenteuer ging abrupt zu Ende. Im Frühjahr 2023 übertrug er sämtliche Anteile an seinen Wiener Firmen an den ebenfalls aus der Ukraine stammenden Michael J. Von dem 33-jährigen J. ist nur bekannt, dass er in der Ukraine Geschäfte für Damenunterwäsche führt und unlängst eine Filiale im Wiener Donauzentrum eröffnete. Wieso er nun groß in die Gastrobranche einsteigt, bleibt sein Geheimnis. Die Fragen des STANDARD beantwortet J. nicht.

Auch von seiner ukrainischen Restaurantkette Tarantino Family hat sich Unternehmer Fedotenkow mittlerweile offiziell getrennt. Als neuer Eigentümer tritt ein deutscher Bierbrauer namens Florian Bollen auf. Er sehe in der Ukraine großes Potenzial und wolle "etwas machen", sagte Bollen im Interview mit dem ukrainischen Magazin "The Village" Ende Oktober 2022. Mit der Hausdurchsuchung und den Problemen des Vorbesitzers mit der Justiz habe die Übernahme "nichts zu tun".

Ein deutscher Bierbrauer

Hier schließt sich der Kreis zum Gleisgarten in Wien-Meidling. Denn hier ist Florian Bollen als Projektmanager beteiligt. In den Tagen vor der Eröffnung ist er auf der Baustelle sehr präsent, instruiert Handwerker, begrüßt Gäste und wirkt überhaupt so, als würde er den Laden schaukeln. Dem STANDARD teilt Bollen mit, dass die Vorwürfe gegen Fedotenkow "völlig haltlos" seien, dass sich der Ukrainer aber ohnehin "aus seinen österreichischen und ukrainischen Geschäften zurückgezogen hat und wir nicht mit ihm zusammenarbeiten".

Tatsächlich hat Fedotenkow keine Anteile am Gleisgarten. Seine Ehefrau ist jedoch Mehrheitsbesitzerin des Iris auf dem Naschmarkt, das im Gleisgarten Gyros und andere griechische Spezialitäten anbietet. Zudem ist Fedotenkows Gattin Geschäftsführerin einer Firma, die indirekt am Gleisgarten beteiligt ist.

Auf den Sanktionslisten

Vom Projektmanager des Gleisgartens, Florian Bollen, führt eine weitere Spur zu einem anderen Ukrainer, der in seiner Heimat ebenfalls von der Justiz gesucht wird: einem Geschäftsmann namens Serhij Kurtschenko, der heute in Moskau lebt und auf den Sanktionslisten von EU, USA, Großbritannien und der Ukraine steht. Was nun hat dieser Kurtschenko mit Florian Bollen zu schaffen? Bei Ermittlungen gegen Kurtschenko stieß die ukrainische Justiz auf mehrere Offshore-Firmen auf Zypern. Eine davon ist bis heute Eigentümerin der ukrainischen Tarantino Family. Es ist dieselbe Restaurantkette, die seit Oktober 2022 im Besitz des Gleisgarten-Managers Florian Bollen steht, laut dessen eigener Angabe.

Der heute 38-jährige Kurtschenko war einst Verbündeter des Moskau-treuen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und machte Millionen im Gashandel. Nach der Maidan-Revolution 2014 floh er nach Russland und kontrolliert heute von dort aus den Kohletransport aus den prorussischen Separatistengebieten. Zudem macht er Geschäfte auf der Krim, offenbar dank enger Verbindungen zum russischen Inlandsgeheimdienst FSB.

Gab oder gibt es also eine geheime Partnerschaft zwischen Bollen, Fedotenkow und Kurtschenko? Fließt heute Geld eines sanktionierten Oligarchen von Moskau aus in die Wiener Gastroszene? Auf die Fragen nach etwaigen geschäftlichen Beziehungen zu Serhij Kurtschenko gibt Florian Bollen keine Antwort. Möglicherweise ist der Manager des Wiener Gleisgartens aber auch zu sehr mit seinem nächsten Projekt beschäftigt. Er plant bereits einen neuen Foodcourt in einer umgebauten Sargfabrik in Wien-Liesing. (Bernhard Odehnal, 23.10.2023)