Karim Benzema löste eine Kontroverse aus.
AFP/FRANCK FIFE

37 Tore hat er für die französische Nationalelf geschossen, 2022 erhielt er den Goldenen Ball als weltbester Fußballspieler überhaupt. Doch in Frankreich bleibt Karim Benzema ein Enfant terrible, das heftig polarisiert. Die Marseillaise hat der algerischstämmige Stürmer vor den Spielen der "Bleus" nie mitgesungen. Obwohl wegen Mithilfe zu Erpressung 2021 zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt, schwingt er sich gerne zum Sprecher der Banlieue-Jugend auf und attestiert Frankreich einen "rassistischen Teil". Viele Landsleute verstehen Benzema schlicht nicht – er fährt Ferrari, ermahnt seine 20 Millionen X-Abonnenten (ehemals Twitter) aber zu Askese und Mekka-Pilgerreisen.

All das spielt jetzt mit, da der Ex-Star von Real Madrid von neuem Schlagzeilen macht. Auf X betete er "für die Einwohner von Gaza, darunter Frauen und Kinder, die einmal mehr Opfer ungerechter Bombardierungen werden". Auf Anhieb erhielt Benzema 600.000 Likes – aber auch vehementen Einspruch. Es sei "schockierend", dass er kein Wort gegen den Terrorismus und zu den 17 französischen Todesopfern des Hamas-Angriffs gefunden habe, sondern eine "selektive Entrüstung" pflege, erklärte die konservative Europaabgeordnete Nadine Morano. Der Rechtsaußen Eric Zemmour fragt, warum Benzema zur jüngsten Ermordung eines Lehrers durch einen kaukasischen Jihadisten in der nordfranzösischen Stadt Arras geschwiegen habe.

Schwere Vorwürfe

Innenminister Gérald Darmanin, ein enger Vertrauter von Präsident Emmanuel Macron, hat die Antwort: Er unterstellt Benzema eine "offenkundige Verbindung zur Muslimbruderschaft", also zu ägyptischen Islamisten. Das legten "gewisse Informationen" nahe, meinte der Vorsteher der französischen Polizei und Geheimdienste. Präziser wurde er allerdings nicht. Sein Sprecher schwächte die Behauptung in der Folge ab, Benzema verfalle aufgrund seiner Aussagen einem "harten, strengen Islam, wie er für die Ideologie der Muslimbruderschaft kennzeichnend" sei. Darmanin ergänzte, die Brüder "verheimlichten" ihre wahren Absichten – eine Anspielung auf die von europäischen Jihadisten verfolgte Taktik der Taqïya, der Tarnung als säkulare Muslime.

Benzema, derzeit in Saudi-Arabien für den Klub Al-Ittihad im Einsatz, hat durch seinen Pariser Anwalt verlauten lassen, er werde Darmanin wegen Verleumdung belangen. Die in Frankreich viel gehörte Forderung, Benzema solle die französische Staatsbürgerschaft aberkannt werden, konterte der Advokat mit dem Hinweis, das sei nicht möglich, da der in Lyon geborene Fußballer keinen algerischen Zweitpass habe.

Der Stürmerstar erhält Unterstützung von Linkenchef Jean-Luc Mélenchon: Benzema werde "verteufelt", obwohl er eine "bemerkenswerte Person" sei, kommentierte der Politiker, der sich in Frankreich als einer von wenigen weigert, die Hamas-Miliz als terroristisch zu bezeichnen. Benzema findet sich damit mitten in der Nahostdebatte, die in Frankreich wegen der Angst vor einer Banlieue-Intifada in Paris oder Marseille immer sehr leidenschaftlich geführt wird: In Frankreich leben die europaweit größten Glaubensgemeinschaften der Muslime (sechs Millionen) und Juden (600.000).

Blanke Nerven

Die Wortmeldung des Fußballers treibt aber auch die Fußballwelt um. Pariser Medien haben eine Aussage des Franzosen im Juni gefunden, als er von Real Madrid in die Saudi Pro League wechselte: Ihm sei es "als Muslim wichtig, in einem muslimischen Land zu spielen", sagte er damals. Seine Frau, eine Amerikanerin, trat zugleich zum Islam über. Ende September zeigte sich der Franzose am saudischen Nationalfeiertag nicht sehr französisch, sondern in der traditionellen Kluft saudischer Männer. In Paris meinte Rechtspopulist Jordan Bardella mit Verweis auf die wahhabitische Staatsreligion Saudi-Arabiens: "Ich denke, dass Benzema ein Weggefährte der islamistischen Ideologie ist."

An dem saudischen Nationalfeiertag waren allerdings auch Spielerstars wie der Portugiese Cristiano Ronaldo mit der Ghutra-Kopfbedeckung, einem weißen Kandura-Gewand und einem blitzenden Säbel aufgetreten. Dies führte in Frankreich zu fast noch mehr Kommentaren, der Fußball europäischer Prägung verlagere sein Schwergewicht nach der WM in Katar offensichtlich weiter Richtung Golf. Daran sei nicht Benzema schuld, sondern Fifa-Boss Gianni Infantino, der alle Tricks und Schlichen anwende, um den Saudis die WM 2034 zu offerieren. Dem Italoschweizer wird allerdings nicht vorgeworfen, ein verkappter Muslimbruder zu sein. Eher, die schönste Nebensache Europas an die Golfstaaten zu verhökern.

Auch diese Kritik schwingt in der Affäre Benzema mit. Begleitet vom Grundgefühl vieler Europäer, dass ihre bisherige Lebensart gerade einer harten Prüfung ausgesetzt wird. Das erklärt wohl auch die hitzige Reaktion in Frankreich auf Benzema-Tweets. Die Nerven liegen derzeit von Ost bis West ziemlich blank. (Stefan Brändle aus Paris, 20.10.2023)