Didi und Johanna Constantini
Didi Constantini, ehemaliger Fußballprofi, und seine Tochter Johanna: Durch seine Krankheit haben sich ihre Rollen vertauscht.
privat

Ein Geisterfahrerunfall am 4. Juni 2019: Didi Constantini, ehemaliger Fußballprofi und Ex-Teamchef, fährt auf der Tiroler Brennerautobahn aus ungeklärter Ursache in die verkehrte Richtung. Gut drei Monate später geht seine Familie mit der nach dem Unfall gestellten Diagnose an die Öffentlichkeit: Der damals 64-Jährige ist an Alzheimer erkrankt. Ein Jahr später publiziert seine Tochter Johanna – die 31-Jährige ist klinische Psychologin mit eigener Praxis in Innsbruck – ihr erstes Buch "Abseits", in dem sie sich mit der Krankheit auseinandersetzt und damit, wie diese ihr Leben und das ihrer Familie verändert.

Heute, drei Jahre später, lebt Didi Constantini in einem Pflegeheim. In ihrem neuen Buch "Abseits 2" gibt Tochter Johanna Einblicke in den Umgang mit ihrem Vater. Während sich ihre kleine Tochter die Welt lernend zu eigen macht, lässt ihr Vater diese zunehmend hinter sich zurück. Im STANDARD-Gespräch erzählt sie, wie sie es schafft, mit dieser Verschiebung umzugehen, wie es ihrem Vater heute geht und warum es so wichtig ist, über diese Erfahrungen zu sprechen.

STANDARD: Wie geht es Ihrem Vater?

Constantini: Dem Papa geht es den Umständen entsprechend gut. Er befindet sich mittlerweile in einem schweren Stadium der Demenz und lebt im Pflegeheim. Er scheint meistens in seiner Welt zu sein. Aber er freut sich, wenn wir ihn besuchen oder etwas gemeinsam unternehmen. Er ist uns emotional nach wie vor sehr nah, das hat sich nie geändert. Er erkennt uns auch noch. Ob er uns immer genau zuordnen kann, das können wir nicht sagen, aber man merkt, dass es ihm Freude bereitet, wenn wir bei ihm sind. Insgesamt scheint er an den meisten Tagen sehr zufrieden zu sein, macht Schmäh und lacht. Es gibt natürlich auch Tage, an denen er gar nicht zufrieden ist und an denen es ihm nicht gut geht. Aber solche Tagen haben wir ja alle.

STANDARD: Weiß er selbst, dass er krank ist?

Constantini: Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, in den meisten Momenten ist es ihm nicht mehr bewusst. Da ist er einfach schon zu sehr in seiner eigenen Welt, wie es ja oft beschrieben wird. Hin und wieder gibt es vielleicht eine Art Eingebung, da wird ihm bewusst, dass er etwas nicht mehr kann, und er ärgert sich darüber. Aber im Großen und Ganzen ist dieses Bewusstsein nicht mehr da.

STANDARD: Wie geht es Ihnen mit der Krankheit Ihres Vaters?

Constantini: Mir geht es mittlerweile gut damit, es ist unsere Normalität. Es ist in Ordnung für mich, dass der Papa im Pflegeheim ist, das hätte ich mir vor drei Jahren, als mein erstes Buch erschienen ist, noch gar nicht vorstellen können. Aber er ist dort gut aufgehoben, und ich weiß, dass unsere Lebenssituation eine ganz andere wäre, würde er bei uns leben und wir ihn 24 Stunden am Tag betreuen müssten. Man kann sich am Anfang gar nicht vorstellen, wo man überall hineinwachsen kann. Und zu wissen, dass er so gut aufgehoben ist, macht es entscheidend leichter.

STANDARD: Wie fühlt es sich an, wenn man einen so nahen, lieben Menschen an die Demenz verliert? Man kann ja nichts dagegen tun ...

Constantini: Das stimmt, man kann diesen Menschen nur begleiten und die Zeit, die man noch gemeinsam hat, genießen. Und ich glaube, dass wir das in der Familie getan haben. Wir haben den Papa so eng begleitet und so viel Zeit miteinander verbracht, dass es jetzt okay ist, so wie es ist. Auch das meine ich, wenn ich sage, dass man in etwas hineinwächst. Demenz ist ja eine Krankheit, die schleichend verläuft, man ist nicht von heute auf morgen schwer krank, das geht über Monate und Jahre, manchmal langsamer, manchmal schneller.

Aber natürlich ist das nicht einfach. Es bedeutet ganz viel Wahnsinn, ganz viel Trauer, in unserem Fall auch Freude und ganz viel gemeinsame Zeit. Auf diesem Weg passiert so viel, und auch viel Schwieriges. Aber wenn man sich die notwendige Unterstützung an die Seite nimmt, kann man ihn gut schaffen.

STANDARD: Sie sprechen von Trauer und Verlust, aber auch von Freude. Was sind solche Momente?

Constantini: Man macht so viele Dinge definitiv zum letzten Mal. Die letzte Flugreise, weil die Orientierung einfach nicht mehr das ist und es mehr Stress bedeutet, als es Freude bringt. Oder wie der Papa das letzte Mal im Elternhaus übernachtet hat. Das tut schon weh. Man muss auch lernen, Unterstützung anzunehmen. Wir sind zum Beispiel mit dem Papa schon lange vor dem Pflegeheim in Tageszentren gegangen.

Es gibt aber auch schöne Dinge. Wir haben dem Papa ganz lange ermöglichen können, dass er weiter in sein Stammlokal geht. Wir haben ein Gelddepot hinterlegt, als er das selbst nicht mehr so im Blick hatte, und alle haben mitgeholfen, damit es gut funktioniert. Freunde haben ihn abgeholt und zurückgebracht, wenn er die Runde eingeladen hat, haben die Kellnerinnen das geregelt.

Es ist ähnlich, wie wenn man ein Kind begleitet. Da übernimmt man ja auch ganz viel Verantwortung und lässt gleichzeitig Freiheiten, damit ein guter Alltag und Teilhabe an der Gesellschaft möglich sind.

Johanna und Didi Constantini am Fußballplatz
Johanna Constantini ist eng verbunden mit ihrem Vater Didi. Der klinischen Psychologin ist es wichtig, dass man mehr über Demenz spricht.
Mel Burger

STANDARD: Auch innerhalb der Familie verändern sich die Rollen und Zuständigkeiten. Was haben Sie da gelernt?

Constantini: Das stimmt, und das hat bei uns auch nicht immer funktioniert. Ich finde es auch ganz wichtig, dass man das ausspricht, es hat oft den Anschein, dass bei uns alles klappen würde. Aber wir waren auch am Boden zerstört, wir waren in Konflikten miteinander und haben gestritten. Wir haben aber gelernt, dass wir uns immer wieder aufraffen und darüber reden sollten. Wie geht jede Einzelne, die Mama, meine Schwester, ich, mit der Situation um? Man muss auch nicht alles zerreden, manchmal ist es gut, Dinge einmal stehenzulassen. Es ist ja nicht immer leicht, die neue Rollenverteilung zu akzeptieren. Für meine Mama zum Beispiel ist die Ausgangslage ganz anders als für mich als Tochter. Sie gibt ihren Mann an die Demenz ab. Da muss man auch Verständnis füreinander haben.

Ich denke, wenn so ein Schicksalsschlag passiert, ist es einfacher, wenn man grundsätzlich schon vorher einmal darüber gesprochen hat. Mir zumindest hätte das geholfen. Bei uns war das nämlich nicht der Fall. Deshalb haben mein Mann und ich das für unsere Kinder, die sind jetzt drei Jahre und sechs Monate alt, niedergeschrieben. Ich glaube, ich kann ganz gut erahnen, was der Papa will, aber hätten wir darüber gesprochen, würde es das vereinfachen.

STANDARD: Wie gestaltet sich die Zeit mit Ihrem Vater jetzt?

Constantini: Wir besuchen ihn sehr regelmäßig im Pflegeheim und schauen, dass zumindest alle zwei Tage jemand bei ihm ist, wenn es sein Gesundheitszustand zulässt. Das hängt auch von der Tagesverfassung ab, manchmal ist er extrem müde, an anderen Tagen ganz aktiv und gut gelaunt. Wir gehen dann raus an die frische Luft. Oder – wenn seine Mobilität es zulässt und er ins Auto einsteigen kann – wir fahren zu uns nach Hause oder auch woanders hin. Das ändert sich aber und wird natürlich weniger.

Wenn ich zurückschaue, haben wir die letzten drei, vier Jahre sehr intensiv gelebt. Als der Papa ins Pflegeheim gekommen ist, haben wir ihn wirklich jeden Tag abgeholt, gemeinsam etwas unternommen und am Abend wieder zurückgebracht. Das hat auch ihm geholfen, in die Situation reinzuwachsen. Das war für uns auch deshalb möglich, weil meine Mama die Zeit hatte, ich bin selbstständig und konnte es mir einteilen. Ich weiß, dass das in anderen Familien nicht so leicht geht.

STANDARD: Und wie kommuniziert man miteinander? Funktioniert das noch?

Constantini: Der Papa kann sich verbal nur noch ganz wenig ausdrücken. Er sagt ein paar Floskeln, fragt, wie es geht, sagt ab und zu etwas zu meiner Tochter, wenn er sie wahrnimmt. Das ist ja nicht immer gleich. Manchmal kann das Gehirn diese visuellen Reize verarbeiten, und manchmal schaut er sozusagen durch sie durch. Ich erzähle ihm viel, aber man kann kein Gespräch mehr führen. Das gelingt mit meiner dreijährigen Tochter viel besser als mit ihm. Das ist nicht bei allen gleich im Demenzverlauf, manche Menschen haben sehr schnell einen Sprachverlust, bei anderen bleibt das lange erhalten. Er kann sich aber schon noch ausdrücken, man versteht gut, ob ihn etwas freut oder ihm vielleicht zu viel ist.

STANDARD: Sie haben zwei kleine Töchter, die lernen, während Ihr Vater verlernt. Wie stellt sich das dar?

Constantini: Meine ältere Tochter eignet sich zum Beispiel gerade die Sprache an, während der Papa die Wörter nicht mehr findet. Darüber ärgert er sich auch manchmal, genau wie meine Tochter sich ärgert, wenn sie sich noch nicht so ausdrücken kann, wie sie es will. Da treffen sie sich an verschiedenen Punkten. Ich beobachte auch den Prozess der Eingewöhnung. Wie funktioniert die Eingewöhnung in ein Tageszentrum, in ein Pflegeheim, wie klappt das in der Kindergrippe? Diese Prozesse ähneln sich am Lebensanfang und gegen Lebensende.

Im Grunde brauchen die Menschen aber immer das Gleiche, Sicherheit, eine Vertrauensperson, ein Umfeld, das ihnen nicht völlig fremd ist, engmaschige Begleitung. Und ganz, ganz viel Liebe und Rückhalt.

Didi Constantini 1995 am Fußballplatz
Der Fußballplatz war Didi Constantinis zweite Heimat, hier im Jahr 1995.
Norbert Schmeisser

STANDARD: Und was lernen Sie für sich selbst aus diesen Entwicklungen?

Constantini: Definitiv, dass man in vieles hineinwächst, was man sich davor gar nicht vorstellen kann. Dass viele Dinge anders kommen, als man sie vielleicht befürchtet oder auch erwartet. Deshalb sollte man auch gar nicht zu viele Schritte vorausdenken. Ich lerne auch Geduld. Da bin ich ein bisschen so gepolt wie mein Papa, der wollte auch immer gleich die Welt auf den Kopf stellen. Ich weiß, dass Unterstützung hilft. Und man sollte über Belastungen sprechen, statt so zu tun, als würde man das alles einfach so schupfen. Weil das stimmt einfach nicht, weder als Jungmama noch als Tochter von jemandem, der schwerkrank ist. Es wäre einfach so viel leichter, wenn sich die Menschen offener austauschen würden, weil es so vielen ähnlich geht.

STANDARD: Ist das der Grund, warum sie jetzt bereits ein zweites Buch zum Thema geschrieben haben?

Constantini: Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer ist ein bissl egoistisch, weil es mir persönlich hilft, besser damit zurechtzukommen. Wenn das alles schon genau uns trifft, dann kann ich wenigstens etwas damit bewirken. Ich merke ja, dass der Papa für die meisten ein Sympathieträger ist. Außerdem will ich mehr Aufmerksamkeit schaffen. Als Familie eines Betroffenen, der in der Öffentlichkeit gestanden ist, haben wir viel und rasche Unterstützung bekommen. Parallel stelle ich in meiner Praxis fest, dass das für viele Menschen unendlich schwieriger ist. Und da muss sich einfach etwas ändern.

Ich hab beim ersten Buch auch eingehend mit meinem Papa darüber gesprochen, das war in Ordnung für ihn. Beim zweiten Buch war das nicht mehr möglich, aber ich glaube und lebe in der Hoffnung, dass es weiter passt für ihn.

STANDARD: Wenn man den eigenen Vater mit so einer Krankheit begleitet, bekommt man dann nicht Angst, dass es einen selbst auch einmal trifft?

Constantini: Das ist natürlich ein Thema, auch für mich als Mama von zwei Töchtern. Aber was soll ich tun, ganz salopp gesagt? Angst ist auch das falsche Wort. Es blitzt vielleicht einmal Sorge auf. Aber ich habe den Prozess mit meinem Papa jetzt erlebt und auch, wie lange und wie intensiv er teilhaben kann am Leben. Und ich habe für mich festgestellt, was ich anders machen würde, eben dass ich meine Töchter wissen lasse, dass ich im Falle untergebracht werden möchte. Damit fühle ich mich recht sicher.

Buchcover
Johanna Constanini, "Abseits 2. Von Lern- und Verlernerfahrungen". € 25,95, Seifert-Verlag, 2023.
Seifert Verlag

STANDARD: Was ist für Sie die allerwichtigste Erkenntnis aus all diesen Entwicklungen?

Constantini: Vertrauen zu haben, dass das Leben so verläuft, dass es dann irgendwann wieder gut sein wird. Also vorwärts schauen, optimistisch bleiben und weiter machen.

STANDARD: Und was war bis jetzt das Schwierigste?

Constantini: Anzunehmen, was da passiert. Wir sind als Familie in diesem Prozess schon so weit, dass es für mich im Kopf nicht mehr so schwierig ist. Aber rückblickend war das ein enormer Prozess. Man hat ja Verdachtsmomente, sieht, da verändert sich etwas. Man muss annehmen, dass sich die Rollen in der Familie schneller verändern, als es natürlich wäre. Und dass da eine Krankheit dahintersteht, gegen die man nichts tun kann. Das verdrängt man am Anfang oft und macht einfach normal weiter. Aber je schneller man schafft, zu akzeptieren, dass es so ist, desto besser kann man sich ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen. (Pia Kruckenhauser, 24.10.2023)