Frances Tiafoe
Frances Tiafoe will die Fans unterhalten und ein Vorbild für People of Color sein.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/ELSA

Er sagt, er sollte eigentlich gar nicht hier sein. Aufgewachsen in armen Verhältnissen, hat sich Frances Tiafoe im Profitennis etabliert. Der US-Amerikaner ist der Sohn von Einwanderern aus Sierra Leone und Vorbild im weißen Tennissport. Der 25-Jährige gilt als Entertainer auf dem Platz, ist bei Fans beliebt. In dieser Woche schlägt Tiafoe als Nummer 15 der Welt bei den Erste Bank Open auf. Am Samstag traf ihn DER STANDARD in der Wiener Stadthalle zum Interview.

STANDARD: Fühlen Sie sich inzwischen wohl in der Weltspitze?

Tiafoe: Ein Kerl wie ich hätte gar nicht so weit kommen sollen. Ich habe das Gefühl, die Leute suchten immer nach Gründen, warum ich es nicht schaffen werde. "Frances blödelt zu viel herum, er ist nicht ernst genug", haben sie gesagt. Damit hatte ich mein ganzes Leben zu tun, ich konnte ihnen aber immer das Gegenteil beweisen.

STANDARD: Wann war Ihnen klar, Tennis könnte der Weg zum sozialen Aufstieg sein?

Tiafoe: Das war immer so. Diesen Punkt verstehen die Leute viel zu wenig. In diesem Sport gibt es unterschiedliche Motivationen, warum man Tennis spielt. Manche lieben das Spiel, andere wollen Geld verdienen oder suchen Ruhm und Ehre. Ich wollte immer für meine Familie sorgen. Zum Karriereende will ich meine Familienmitglieder in die Lage gebracht haben, selbst erfolgreich sein zu können. Das ist mein Antrieb.

STANDARD: Sind Sie stolz auf sich?

Tiafoe: Speziell in den letzten zwei Jahren habe ich mich gut geschlagen, war Teil der Top Ten. Ich kann Leute inspirieren. Ich bin stolz, aber nicht zufriedengestellt.

Tiafoes Eltern flüchteten in den 1990ern vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone in die USA. In Hyattsville, Maryland, brachte Mutter Alphina Zwillinge zur Welt, Frances und Franklin. Vater Constant arbeitete als Bauarbeiter, seine Firma wurde mit der Errichtung eines Tenniszentrums beauftragt. Nach Fertigstellung wurde er als Hausmeister des Zentrums engagiert. Frances und Franklin verbrachten viel Zeit auf der Anlage, schlugen Bälle gegen eine Wand und übernachteten hin und wieder in der Rumpelkammer, in der der Vater sein Büro hatte. Constant handelte Gratis-Trainingsstunden für seine Söhne heraus. Im Alter von acht Jahren wurde Frances entdeckt, ein Trainer betreute ihn und sponserte seine Anfänge im Tenniszirkus.

STANDARD: Welche Rolle spielte Ihre Mutter in Ihrer Kindheit?

Tiafoe: Sie war Krankenschwester, hatte zwei Jobs gleichzeitig und arbeitete oft nachts. In der Erziehung hatte sie großen Einfluss. Respekt und Disziplin waren ihr wichtig. Und sie war eben wie jede Mutter, wollte das Beste für ihre Kinder. Sie hasste es, wenn wir sagten, dass wir etwas nicht schaffen könnten. Geht nicht gab es nicht.

STANDARD: Ein Mantra Ihrer Eltern lautet: Deine Träume müssen so groß sein, dass du Angst vor ihnen hast. Was ist damit gemeint?

Tiafoe: Die Träume sollen unvorstellbar sein, dann kannst du sie ja gut jagen. Vorstellungen klingen immer nur so lange verrückt, bis du sie einmal wirklich umgesetzt hast. Als Kind solltest du kreativ sein, dir Situationen vorstellen und eben groß träumen. Mit der richtigen Dosis an Arbeit und einer Prise Glück kannst du so gut wie alles erreichen.

STANDARD: Welchen Rat geben Sie jungen Leuten aus schwierigen Verhältnissen?

Tiafoe: Wenn du wirklich besessen bist von etwas und sich eine Chance bietet, nimm sie ernst. Wenn sich die harte Arbeit nicht gut anfühlt, versuche es zu genießen. Tu so, als ob du alles daran liebst. Viele Kinder heutzutage halten Dinge für selbstverständlich und denken, alles wird von allein gutgehen. Aber im Leben ist nichts umsonst.

10 Minutes of Frances Tiafoe Putting On A Show!
Tennis TV

Bruder Franklin blieb in Maryland, Frances schaffte den Sprung in den Jugendkader des US-Tennisverbands und zog nach Florida. Seit acht Jahren ist er Profi auf der ATP-Tour. Tiafoe spielt unkonventionell, seine Vorhand wurde von einem Promoter einmal als "funky" Schlag beschrieben, der "eigentlich nicht funktionieren sollte, aber immer zur richtigen Zeit zur Höchstform aufläuft". Zwischen den Ballwechseln blödelt Tiafoe gerne, er sucht hin und wieder Interaktion mit dem Gegner. Das kommt bei Fans gut an.

STANDARD: Kann es auch ein schmaler Grat sein, den Gegner mit Spielereien zwischen den Punkten zu nerven?

Tiafoe: Das ist im Eifer des Gefechts Teil des Sports. Ich mache nichts Verbotenes. Es muss klar sein, dass ich meinen Gegner nie respektlos behandle. Abseits davon mache ich das, was mir hilft, um mein Bestes abzurufen. An manchen Tagen brauche ich einen zusätzlichen Antrieb, dann versuche ich, das Publikum für mich zu gewinnen. Das kann zu meinem Vorteil werden – und es hilft mir, das Spiel und den Sport zu genießen.

STANDARD: Wie oft lesen Sie die Körpersprache des Gegners?

Tiafoe: Ständig. Das muss ich tun. Es geht um die Höhen und Tiefen einer Partie. Wenn ich merke, dass der Gegner am Boden ist, muss ich das nutzen und obenauf sein. Das ist ein großer Aspekt in Matches.

In den USA ist Tiafoe aus der Tennisblase ausgebrochen. Er wird zu Promi-Basketballmatches und Fashionshows eingeladen. Tiafoe plant, sich zu diversifizieren, will Geschäftsmann werden. "Wenn die Zeit nach dem Tennis kommt, will ich bereit sein", sagt er. Noch hat er Zeit. In diesem Jahr gewann er Titel in Houston (Sand) und Stuttgart (Rasen). Abseits des Platzes setzt er sich für die Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter ein. In der Pandemie startete er Webinare für Jugendliche mit mentalen Problemen.

STANDARD: Ist die Vorbildrolle auch eine Bürde?

Tiafoe: Ich spüre eine Last, weil People of Color zu mir aufschauen. Aber es ist auch ein Privileg.

STANDARD: Was bereitet Ihnen Freude, was macht Sie glücklich?

Tiafoe: Bei Turnieren kommen Kinder auf mich zu und sagen, sie möchten so sein wie ich. Ich genieße aber auch die einfachen Dinge. Ich bin ein ganz normaler Kerl. Das Größte für mich ist, einen Unterschied auszumachen. (Lukas Zahrer, 23.10.2023)