Peter Mahler beschäftigt sich schon lange mit seiner Familiengeschichte. Auf der einen Seite ist da Opa Peter, der Vater seines Papas, der vor den Nazis aus Österreich in die USA flüchtete. Dem Großvater fällt es bis heute schwer, über die Erlebnisse von damals zu sprechen. Auf der anderen Seite gibt es Opa Joachim. Der Vater von Mahlers Mutter war deutscher SS-Soldat.

Regisseur Peter Mahler mit seinem Opa Peter
Regisseur Peter Mahler mit seinem Opa Peter.
Foto: ORF/Praherfilm

In der Doku "Eine Familie – Zwei Welten" arbeitet Peter Mahler seine Familiengeschichte auf. Und das geht freilich nicht ohne Schmerz. Und auch nicht ohne Widersprüche: "Das Mitgefühl mit meinem Opa Peter und das Entsetzen über seine Verfolgung wird durchdrungen von verworrenen Gefühlen von Scham und dem Wunsch der Verdrängung", sagt Mahler. In seiner Doku will er Fragen stellen, denen man bisher innerhalb der Familie immer aus dem Weg gegangen sei und die er Opa Joachim vor dessen Tod noch gern gefragt hätte, sagt der Regisseur über sein Motiv, diesen Film zu machen.

Peter Mahler lässt seine Mutter Gerda erzählen. "Der Papa war bei der SS und auch der Großvater. Alle waren sich einig, alle waren Nazis. Die Rassenwahnsinnigkeiten wurden nicht infrage gestellt". Ihr Vater sei mit diesen Rückblicken "schlicht und einfach" umgegangen, sagt sie, er habe viel verschwiegen, nur "lustige Begebenheiten" erzählt. Sie könne sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter, ihr Vater oder auch ihr Großvater die Morde an den Juden oder die Konzentrationslager gutgeheißen hätten, sagt sie. Nachsatz: "Vielleicht auch, weil ich es mir nicht vorstellen will."

Archivfotos von Opa Peter, der als Kind vor den Nazis flüchten musste und SS-Soldat Opa Joachim.
Archivfotos von Opa Peter, der als Kind vor den Nazis flüchten musste, und von SS-Soldat Opa Joachim.
ORF/Praherfilm

Es wurde viel tabuisiert, sagt Peters Vater, "vielleicht wollte man die Kinder und die Enkelkinder schützen". Auch er habe seinem Vater immer Fragen gestellt. Und später Briefe von seinem Vater überreicht bekommen, Briefe, die Uroma Emmy an ihre Kinder schrieb. Es sind traurige Worte, die sie an ihre Kinder richtete und aus denen Filmemacher Peter Mahler in der Doku zitiert. "Ich kann euch vor nichts bewahren, was jetzt geschehen wird, werdet nicht schlecht, Kinder, weil man schlecht und grausam mit euch ist, werdet nicht unglücklich, Kinder, was auch immer geschieht", schrieb die Uroma kurz vor der Flucht aus Österreich. Es sind Szenen wie diese, die das Grauen der Nazi-Zeit so spürbar machen.

Seinen jüdischen Großvater Peter besucht Mahler in den USA – man merkt Opa Peter an, wie schwer es für ihn ist, über das Erlebte zu sprechen. Er erzählt seinem Enkel auf Englisch über sein Aufwachsen in Gmünd.

Opa Peter erinnert sich an den Morgen nach dem "Anschluss", "auf einmal war alles anders", der Friseur sagte, er würde keine jüdischen Haare mehr schneiden. "Sie malten ein großes rotes J auf unsere Tür. Wir konnten nicht verstehen, wie sich alles so schnell verändern konnte." Ein Angestellter seines Vaters wurde jetzt zu dessen Vorgesetzten. "Plötzlich galt der Vater nichts mehr und wurde wie ein Tier behandelt", sagt der Opa. Es war das erste Mal, dass er seine Mutter weinen sah. Er spürt diesen tiefen Schmerz: "Deine Mutter weint, und du kannst nichts tun. Ich hätte ihr so gerne geholfen", sagt Opa Peter. Und erzählt von der "Kristallnacht", von eingeschlagenen Fenstern und davon, wie die Angst immer größer wurde.

Regisseur Peter Mahler mit seinem Opa Joachim.
Regisseur Peter Mahler mit seinem Opa Joachim.
ORF/Praherfilm

SS-Mann Opa Joachim hat Peter Mahler erst spät kennengelernt. Nach der Trennung von seiner Oma ging Joachim nach Deutschland und gründete dort eine neue Familie. In Berlin trifft er Halbcousine Maxi, sie war 13 oder 14, als sie erfuhr, dass ihr Opa bei der Waffen-SS war. Und sie war geschockt. "Er war groß, ein Gentleman", sagt Joachims zweite Frau Elke im Interview mit dem Filmemacher: Er habe ihr sofort gesagt, dass er bei der SS war, sie wollte von Kriegserinnerungen nichts wissen. Er habe Konzentrationslager nicht geleugnet, "wir haben das gewusst", habe er gesagt. "Eines muss ich dir leider sagen", so Elke zu Peter Mahler: "Da ist vieles hängengeblieben aus dem Nationalsozialismus. Wenn er hörte, dass in Israel etwas passiert ist, hatte er kein Mitleid. Ich konnte das nicht verstehen." Joachims Tochter Dorothee spricht über ihren inneren Konflikt ("glaub ich meinem Vater oder glaube ich den Medien"), er sprach von amerikanischer Propaganda. "Verdrängen und Selbstbelügen liegen nah beieinander", sagt Dorothee. Enkelin Maxi: "Mit mehr Distanz verträgt man wahrscheinlich auch mehr Wahrheit."

"Da wo geschwiegen wird, setzen Fantasien ein und ziehen sich durch Generationen", sagt Andreas Kranebitter vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands: "Das Nicht-Reden heißt nicht, dass das Thema nicht weitergegeben wird." In der Auseinandersetzung mit seiner komplexen Familiengeschichte würden sich "die Widersprüchlichkeiten vieler Familien nach dem Zweiten Weltkrieg zeigen, die sich hinter einer Mauer des Schweigens verbargen", so Regisseur Peter Mahler. "Ebendiese Mauer möchte ich mit meinem Film durchbrechen." (Astrid Ebenführer, 24.10.2023)