Anders als noch vor wenigen Jahrzehnten sind Algen heute keine völlige Rarität auf europäischen Tellern. Die große Beliebtheit asiatischer Speisen, bei denen Meeresalgen eine häufige und vielfältig einsetzbare Zutat sind, machte viele Europäerinnen und Europäer mit essbaren Algen bekannt: etwa Nori, die getrocknet und geröstet für Sushi-Rollen verwendet werden, oder Wakame, ohne die Miso-Suppe undenkbar wäre. Neu ist die Nutzung der Meeresgewächse in Europa freilich nicht: Die Bewohner der Küsten Islands und der britischen Inseln verzehrten Algen nachweislich schon vor Jahrhunderten.

Die Rolle von Seetang, anderen Algen, aber auch Süßwasserpflanzen in der europäischen Ernährung dürfte in der Vergangenheit aber noch weitaus größer gewesen sein: Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Algen in Europa über Jahrtausende ein wichtiger Nahrungsbestandteil waren und in vielen Gegenden bis ins frühe Mittelalter konsumiert wurden. Die Funde stammen unter anderem aus Schottland, Schweden, Estland, Spanien und Litauen, wie ein internationales Forschungsteam kürzlich in "Nature Communications" berichtete.

Meeresalgen, Seetang
Essbare Meeresalgen haben in Japan eine große wirtschaftliche Bedeutung, auch in Europa nimmt die Nutzung zu.
AFP/LOIC VENANCE

Kein Ende durch die Landwirtschaft

Die Archäologinnen und Archäologen suchten im Zahnstein von insgesamt 74 Individuen aus 28 unterschiedlichen europäischen Fundstätten nach Biomarkern, die Aufschluss über ihre Ernährung ermöglichen. Dabei stießen sie auf direkte Hinweise auf den häufigen Verzehr von Algen und Wasserpflanzen in einem beträchtlichen Zeitraum: Die Nachweise datieren auf 6.400 v. Chr. bis ins 12. Jahrhundert.

"Es ist sehr aufregend, dass Algen und lokale Süßwasserpflanzen über einen so langen Zeitraum in unserer europäischen Vergangenheit gegessen wurden", sagte Karen Hardy von der University of Glasgow. Überraschenderweise deuten die Funde darauf hin, dass diese Ressourcen auch nach dem Aufkommen der Landwirtschaft noch lange intensiv genutzt wurden. Im 18. Jahrhundert galten Meeresalgen dann nur noch als Hungerkost.

Hoffnung auf Comeback

Es sei zwar unklar, wie wichtig Meeresalgen insgesamt für die Ernährung waren, die Forschenden gehen aber davon aus, dass sie in Küstengegenden regelmäßig geerntet wurden, ähnlich wie heute noch Muscheln. "Das deutet stark darauf hin, dass diese antiken Völker die ernährungsphysiologischen Vorteile von Algen so gut kannten, dass sie ihre Verbindung zum Meer aufrechterhielten", sagte Stephen Buckley von der University of York.

Nach und nach verschwanden Algen jedoch vom menschlichen Speiseplan und wurden nur noch als Tierfutter und bei Hungersnöten genutzt. Die Archäologin Hardy hofft, dass die Nutzung der Meeresgewächse einen neuen Boom erleben könnte: Sie gelten als gesund, nachhaltig produzierbar und vielfältig einsetzbar. Hardy: "Es wäre eine wunderbare Sache, wenn sich mehr Menschen darauf einließen. Wenn wir sie schon früher gegessen haben, können wir sie auch wieder essen." (dare, 26.10.2023)