Die Wehklagen der Unternehmerinnen und Unternehmer sind seit Monaten anhaltend laut. Viele offenen Stellen könnten nicht besetzt werden, weil sich kein geeignetes Personal finde, tönt es wieder und wieder. Und tatsächlich, die Zahlen geben diesen Klagen recht. Ende September waren 106.000 offene Stellen beim AMS gemeldet. Das ist zwar deutlich weniger als vor einem Jahr, im langjährigen Vergleich aber immer noch ein Rekordwert. Dazu kommt, dass viele freie Jobs gar nicht dem AMS gemeldet werden.

Aber wie willig sind Unternehmer, Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance zu geben, die sie vielleicht nicht ganz oben auf ihrer Wunschliste haben? Zu dieser Frage hat das Sora-Institut im Auftrag des AMS eine interessante Studie durchgeführt, deren Ergebnisse am Dienstag veröffentlich wurden. Dabei wurden die Chancen zweier Gruppen am Arbeitsmarkt abgeklopft: jene von älteren Jobsuchenden und jene von Langzeitarbeitslosen.

Bei jeder dieser Gruppen rechnet sich das AMS zusätzliches Beschäftigungspotenzial aus. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass Österreichs Bevölkerung altert. Die Zahl der unselbstständig Beschäftigten über 50 hat sich seit 1990 auf 1,141 Millionen Personen verdreifacht, Tendenz weiter steigend. Dazu kommt, dass etwas weniger als ein Drittel aller vorgemerkten Arbeitslosen über 50 sind. 76.000 Personen umfasst diese Gruppe. Im vergangenen Jahr gab es im Schnitt um die 90.000 Langzeitarbeitslose, wobei sich die Merkmale fortgeschrittenes Alter und lange Zeit ohne Job oft vermischen. Die Arbeitslosigkeit bei Personen über 50 liegt leicht über dem Gesamtschnitt der Arbeitslosigkeit.

Viele fiktive Bewerbungen für 400 echte Stellen

Das Sora-Institut hat ein sogenanntes "Correspondence-Testing" durchgeführt. Das ist ein in der Wissenschaft etabliertes Instrument, bei dem fiktive Bewerbungen auf reale Stellenausschreibungen verschickt werden. Dabei sind die Bewerbungsunterlagen ident, was Erfahrung, Ausbildung, Interessen, Hobbys und Wohnort betrifft. Allerdings unterscheiden sich die Bewerbungen in diesem Fall, was Alter und Dauer der Arbeitslosigkeit betrifft, um zu kontrollieren, welche Rolle diese Faktoren spielen. Untersucht wurden im Rahmen des Experiments zwei Branchen: der Lebensmitteleinzelhandel und Elektroinstallation. Hier klagen Unternehmer in Befragungen besonders laut darüber, dass sie nicht genug Personal finden.

Insgesamt wurden Bewerbungen für 400 beim AMS gemeldete offene Stellen verschickt, wobei jeweils zwei Bewerbungen versendet wurden. Einer der fiktiven Bewerber war 34 Jahre alt und seit drei Monaten arbeitslos. Die erste fiktive Testperson war demgegenüber deutlich älter, nämlich 52 Jahre, dafür etwas kürzer ohne Job (zwei Monate). Die zweite fiktive Testperson war etwa gleich alt, dafür bereits seit 13 Monaten ohne Beschäftigung.

Die Zahl der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigt stetig.
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Sora wertete nun aus, wie oft die Bewerber eine Rückmeldung erhielten, also dazu eingeladen wurden, sich persönlich vorzustellen. Und hier wurde Ungleichbehandlung gefunden: Etwa ein Zehntel der Unternehmen haben Bewerber wegen ihres Alters oder der Langzeitarbeitslosigkeit nicht einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, wobei Ungleichbehandlung aus Altersgründen in zwölf Prozent der Fälle vorkam und damit häufiger war als Ungleichbehandlung aufgrund langer Arbeitslosigkeit (sieben Prozent der Fälle).

Interessant ist, dass die Ungleichbehandlung vor allem im Lebensmitteleinzelhandel groß, in der Elektrobranche dagegen statistisch nicht signifikant feststellbar war. Die fiktive 34-jährige Bewerberin im Einzelhandel hat eine Einladungswahrscheinlichkeit von 54 Prozent bei den Bewerbungen, die fiktive Bewerberin im Alter von 52 aber nur eine von 35 Prozent.

Unterschiedliche Chancen

AMS-Chef Johannes Kopf entschuldigte sich bei der Vorstellung dieser Studienergebnisse am Dienstag gleich bei jenen Unternehmen, denen das AMS mit den fiktiven Bewerbungen zusätzliche Arbeit bereitet habe. Aber die Initiative sei wichtig, weil man sich ein Bild dazu machen wollte, wie stark Ungleichbehandlung ist, und zugleich eine Werbekampagne rund um das Thema gestrickt hat. Diese soll Unternehmen dazu animieren, bei der Personalsuche ein größeres Spektrum an Bewerberinnen und Bewerbern zu berücksichtigen. Wobei Kopf nicht von Diskriminierung reden wollte: Den meisten Unternehmen sei nicht bewusst, welche Vorurteile sie gegenüber älteren Beschäftigten haben, da gelte es aufzuklären. In Österreich verbietet das Gleichbehandlungsgesetz Diskriminierung am Arbeitsplatz wegen Geschlecht, Alter oder ethnischer Herkunft.

Der Arbeitsrechtler Martin Gruber-Risak erklärt, dass dieser Schutz auch schon bei der Anbahnung gilt. Wer also bei einer Bewerbung zu einem Vorstellungsgespräch nicht eingeladen wird und glaubhaft machen kann, dass dies wegen seines Alters geschehen ist, kann im Prinzip einen Schadenersatz geltend machen. Dieser Betrag ist allerdings im Regelfall recht klein, eher symbolische Wiedergutmachung.

Zu den Motiven für die unterschiedliche Behandlung bei Bewerbungen sagt die Analyse nichts. Eine Möglichkeit ist, dass Personalabteilungen ältere Bewerber nicht wollen, weil sie sie für weniger flexibel, lernwillig oder anpassungsfähig halten. Eine andere mögliche Erklärung lautet, dass ältere Arbeitnehmer im Regelfall wegen der Anrechnung von Vordienstzeiten teurer sind. Durchgeführt wurde das AMS-Experiment im Juli und August, wobei nur Unternehmen angeschrieben wurden, die in Wien, dem Burgenland und Niederösterreich Arbeitskräfte gesucht haben.

Kritik zu der Interpretation der AMS-Zahlen kam am Dienstag prompt von der Wirtschaftskammer. Die Studie zeige, dass in fast 90 Prozent der Fälle ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr wohl zum Gespräch eingeladen wurden, bei den Langzeitarbeitslosen lag der Prozentsatz zur Gesprächseinladung sogar bei 93 Prozent, sagt Rolf Gleißner, Leiter der sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer. Es könne unterschiedliche Gründe haben, warum die eine oder andere Person zuerst zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wird. Schließlich sollte auch die Altersstruktur im Betrieb ausgewogen sein. "Daraus eine systematische Diskriminierung abzuleiten, geht an den Fakten vorbei." (András Szigetvari, 24.10.2023)