Becker Boris und Thomas Muster Erste Bank Open
Gut gelaunte ehemalige Weltranglistenerste: Boris Becker in "Tom’s Talk" mit Thomas Muster.
IMAGO/Juergen Hasenkopf

Es gibt Fragen, die den prinzipiell auskunftsfreudigen dreimaligen Wimbledon-Sieger dazu veranlassen, das Verhalten einer nach ihm benannten Meeresschnecke nachzuahmen. Wird Boris Becker etwa gefragt, wie er die weitere Zukunft von Dominic Thiem sieht, zieht er sich wie Bufonaria borisbeckeri in ein Gehäuse zurück. "Dominic Thiem ist mein Freund", sagt Becker also. "Und mit Freunden geht man in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig um." Bei aller Vorsicht ist Becker aber doch "überzeugt", dass Thiem "das Tennisspielen nicht verlernt hat und er nach wie vor in die Top Ten kommen könnte, wenn er bereit ist, den Preis dafür zu zahlen, den er vorher dafür gezahlt hat – was auch immer das war".

Termine, Termine

Wenige Stunden vor des Niederösterreichers Auftaktspiel bei der Erste Bank Open gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas war Becker in die Wiener Stadthalle gekommen, um Termine wahrzunehmen. Erst plauderte der 55-Jährige, sicher adäquat honoriert, bei einem Business-Event über seine Karriere und Faktoren, die einen erfolgreichen Tennisspieler ausmachen. Einer Pressekonferenz folgte dann eine launige, "Tom’s Talk" genannte Doppelconférence zweier ehemaliger Weltranglistenerster mit Thomas Muster. Gleich anschließend verfügte sich Becker nach Basel.

Bei den Swiss Indoors schlug abends nämlich Holger Rune als Topgesetzter auf. Erst seit wenigen Tagen ist offiziell, dass Becker zum Betreuerstab des dänischen Jungstars gehört. Den Titel Supercoach wies er in Wien von sich, den hätten lediglich die Medien erfunden. Er sei neben Mutter Aneke Rune und Performance-Coach Lapo Becherini für den 20-Jährigen zuständig, der seit seinem Viertelfinale in Wimbledon nur eine Partie gewinnen konnte und nicht weniger als fünf Auftaktspiele verloren hat.

Ganz und gar Trainer

Es ist naheliegend, dass Becker dem als emotional geltenden Dänen vor allem im mentalen Bereich weiterhelfen soll. Wie genau, das will der Sieger von 49 Tennisturnieren in Wien, wo er 1996 den Titel im Finale gegen den Niederländer Jan Siemerink geholt hatte, nicht verraten. Die Inhalte seiner Arbeit mit Rune seien Privatsache, gab Becker also erneut die Bufonaria borisbeckeri. "Es ist für den Spieler ja auch eine persönliche Entscheidung, einen Trainer überhaupt zuzulassen." Jedenfalls ist Becker "ganz und gar Trainer". Er gestalte das Training, entscheide, wie viel gespielt wird, gehe auch in die Matchvorbereitung. "Sicher gibt es immer wieder Assistenten, aber das Training leite ich, sonst kann ich ja die Verantwortung nicht übernehmen."

Vor allem Aneke Rune, die die Geschicke ihres Sohnes als Managerin lenkt, soll sehr dafür gewesen sein. Becker genießt ungeachtet aller privaten und juristischen Probleme der vergangenen Jahre einen exzellenten, einschlägigen Ruf. Als Coach von Novak Djokovic hatte er mit dem Serben zwischen 2013 und 2016 zahlreiche Erfolge gefeiert. Mit Becker kehrte der "Djoker" seinerzeit nach seinem kurzfristigen Rückfall hinter Rafael Nadal an die Spitze der Weltrangliste zurück. Inzwischen ist Djokovic zum Rekord-Major-Sieger avanciert. "Seine Grenze", sagt Becker in Wien, "ist der Himmel. Er ist 36 und nicht mehr 26. Aber von sich wird er nicht mit dem Gewinnen aufhören."

Der Insider

Einer, der einschreiten kann, soll nach Möglichkeit Rune sein, der gegenwärtig noch die Nummer sechs im Ranking ist, bisher vier Turniere gewonnen hat, aber bei Grand-Slam-Events noch nicht über das Viertelfinale hinausgekommen ist. Woran es krankt, wollte Becker eher nur allgemein beantworten. Als Außenstehender könne man nicht nachempfinden, wie es sich anfühlt, einen Matchball in einem großen Turnier zu haben. "Ich habe das öfter erlebt." Im Spitzentennis gehe es darum, wie man mit dem Druck und der Erwartungshaltung umgehe. Und wie man Erfolge aus der richtigen Einstellung heraus wiederholen könne. "Da kenne ich mich gut aus."

Im Tennisumfeld bewegt sich Becker generell eher wie ein Fisch im Wasser. Anbiederungsversuche lässt er allerdings am Schneckengehäuse abprallen. Die launige Entschuldigung für ein vertrauliches "Boris" – man habe schon in den 1980ern in der Stadthalle mit ihm gesprochen – konterte Leimens größter Sohn trocken. Er habe in all den Jahren so viele Menschen kennengelernt, dass er sich unmöglich an jeden erinnern könne. (Sigi Lützow, 24.10.2023)