Atalantas Luis Muriel und Sturms David Affengruber springen beim Kopfball.
Sturm Graz war mit Atalanta nur eine Halbzeit auf Augenhöhe.
APA/ERWIN SCHERIAU

Graz – Sturm Graz hat nach dem dritten Spieltag der Europa League weiter alle Chancen auf den Aufstieg. Im Heimspiel gegen Tabellenführer Atalanta Bergamo holte der Bundesliga-Tabellenführer ein versöhnliches 2:2. Die Grazer waren vor ausverkauftem Haus durch Alexander Prass früh in Führung gegangen, die Gäste drehten die Partie aber noch vor der Pause. Nachdem Kapitän Stefan Hierländer sein Team durch eine Gelb-Rote Karte schwächte, schien die Partie gelaufen, ehe ein Hands-Elfer von Szymon Włodarczyk den Blackies den Ausgleich bescherte.

Christian Ilzer vertraute großteils derselben Startelf wie beim 2:1 gegen Hartberg am Samstag. Statt David Schnegg gab Amadou Dante den Linksverteidiger, im Mittelfeld ersetzte Hierländer Dimitri Lavalée. An vorderster Front setzte Ilzer auf Seedy Jatta.

Dass Atalanta die Europa League nicht auf die leichte Schulter nimmt, bewiesen sechs Punkte aus den ersten zwei Spielen. Der Sechste der Serie A ging ebenso kompromisslos in die Zweikämpfe wie Sturm das unter Intensitäts-Hohepriester Ilzer tut. So musste die Partie in den ersten zehn Minuten ohne jeden Spielfluss auskommen, alle Beteiligten waren in der Disziplin des Dazwischengehens erfolgreicher als in der des Kombinierens.

Zufallstor

Graz hat schon einen Fluss, also braucht das Spiel keinen. Minute 13: Otar Kiteishvili treibt den Konter an, spielt ab auf Prass. Dante hinterläuft ihn am Sechzehner vorbildlich, Prass' Gegenspieler geht mit dem Außenpracker mit. So hat Sturms Mittelfeldmotor kurz Platz, visiert das lange Eck an, man glaubt mit freiem Auge zu sehen, dass der daneben geht. Atalanta-Verteidiger Rafael Tolói hat keine Tribünenperspektive, hält den Fuß hin – und fälscht die Kugel grausam über den am Boden liegenden Goalie Juan Musso ab. 1:0 für Sturm, Fußball ist kein Schönheitswettbewerb.

Der Führungstreffer für die Grazer.
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Dass die Gäste aus Bergamo auch keine Nasenbohrer sind, bewies Ademola Lookman ein paar Minuten später. Der Linksaußen packte im Konterdribbling gleich zwei Gegenspieler ein, im Sechzehner war aber Schluss. Das Spiel wurde zunehmend wilder, nach einer Kiteishvili-Flanke parierte Musso den Kopfball von Jon Gorenc Stankovic glänzend (23.). Durchatmen? Mitnichten. Sturm fand Räume, kombinierte zielsicher. Prass kam aus 14 Metern zum Schuss – zu mittig (25.). Der nächste Konter endete durch ein Missverständnis (26.), auf der anderen Seite blockte Kiteishvili Lookmans Gewaltschuss (28.).

Ausgleich

Im Ballbesitz versteht man sich in Liebenau längst blind. Nur Jatta ist manch Ablauf noch fremd, der Stürmer bog immer wieder falsch ab. Bei einem langen Ball der Gäste tat das ausnahmsweise auch Dante, Gregory Wüthrich beendete die Notsituation mit einer Prachtgrätsche. Auf der anderen Seite vergab der von der Defensive völlig vergessene Stefan Hierländer die Großchance aufs 2:0, weil er den Lupfer nach vorne nicht stoppen konnte. Da der Fußball bekanntlich grausam ist, wurde das sofort bestraft: Luis Muriel behauptete das Spielgerät mit etwas Ballglück gegen Wüthrich und traf vom Sechzehner genau ins Eck (34.).

Luis Muriel stellte mit einem platzierten Schuss aus 1:1.
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In der 40. Minute wurde Kiteishvili beinahe weltberühmt: Der herausgeeilte Musso schlug den Ball weg und schoss den Georgier praktisch an, der köpfelte reflexhaft fast von der Mittellinie aufs leere Goal, doch der Ball sprang knapp vorbei. Für komödiantische Momente sorgte der neue Rasen in der Merkur Arena, der angesichts seines Sandgehaltes auf dem zweiten Bildungsweg ein Dasein als Beachvolleyballplatz verfolgen dürfte. Immer wieder spritzte Sand weg, noch öfter rutschten Spieler aus.

Die zweite Minute der Nachspielzeit hatte noch eine Gnackwatschn im Gepäck. Davide Zappacostas Schuss touchierte den Ellbogen des hereinspringenden Gorenc Stankovic, nach dreiminütiger Wartezeit dackelte Schiedsrichter Duje Strukan raus zum TV-Monitor und gab nach kurzem Videostudium Strafstoß. Muriel dankte dem Kroaten seine Entscheidung mit Goal Nummer zwei. Hierländer hatte zuvor im Elferpunkt gewühlt, Lookman ihn deshalb weggeschubst, das ergab Gelb für beide.

Hierländer vergisst sich

Zur Pause gab es keine Wechsel, Halbzeit zwei begann mit dem nächsten Weckruf: Sturms Mittelfeld joggte bei einem Atalanta-Konter zugriffslos mit, Kjell Scherpen parierte Muriels Schuss mit dem Fuß. Über Standards tastete sich Sturm wieder heran, Musso verschätzte sich bei einer Faustabwehr ohne Konsequenzen. Ganz anders der folgende Corner: Hierländer wurde nahe der gegnerischen Eckfahne ausgespielt, griff sich kurz und taktisch seinen Gegenspieler – und kassierte folgerichtig eine Gelb-Rote Karte der besonders sinnlosen Art (53.).

Rot für Hierländer
Schiedsrichter Duje Strukan schickte Hierländer mit Gelb-Rot vom Feld.
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Atalanta wurde in Überzahl noch überlegener. Ilzer versuchte es mit einem Dreifachwechsel: Szymon Włodarczyk statt Jatta, Javi Serrano statt Kiteishvili, Lavalée statt Wüthrich. Sein Pendant Gian Piero Gasperini tat es ihm gleich, damit war immerhin die Gefahr eines Muriel-Dreierpacks gebannt. Nach vorne ging bei Sturm nichts mehr, in Minute 70 sollte das die Einwechslung von "Euro-Willi" William Böving ändern. Die Gäste blieben zwar felddominant, doch nach fünf Einsatzminuten bekam der Däne seine Chance: Nach einem langen Ball manövrierte er sich im Strafraum per Haken in Schussposition, brachte den Ball aber nicht an Verteidiger Hans Hateboer vorbei.

Elfer aus dem Nichts

Minute 78: Eine seltene Grazer Expedition nach vorne, der eben erst eingewechselte Tomi Horvat will den Ball von der Seite in den Strafraum lupfen, trifft Sead Kolašinac am Oberarm. Wieder konsultiert der Referee die TV-Bilder, wieder gibt es Penalty. Włodarczyk betoniert ihn links ins Eck – 2:2 (80.), obwohl keiner so recht weiß, wie.

Sturm Ausgleich
Traubenbildung nach dem viel umjubelten Ausgleich der Grazer.
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Unterzahl hin oder her, Sturm wollte nun noch mehr. Gleiches galt freilich für Atalanta. Nach einigen italienischen Drohangriffen, unter anderem heizte Gianluca Scamacca einen Schuss über das Kreuzeck (87.), besann sich Sturm auf das Pflegen der Defensive. Sturm verteidigte in den letzten Minuten mit elf Mann, die kollektiv stehend-lärmende Tribüne ersetzte quasi den ausgeschlossenen Hierländer.

Sechs Minuten Nachspielzeit zogen sich fast unerträglich; als Böving in der 94. Minute nach einem Konter einen Eckball herausholte, wurde das ekstatisch gefeiert. Gleiches galt für den folgenden Corner. Affengruber köpfelte diesen knapp vorbei, ein solcher Lucky Punch wäre wohl zu viel des Guten gewesen. Um 20.45 Uhr, exakt zwei Stunden nach Anpfiff, war Schluss. Da Sporting Lissabon gegen Rakow Czestochowa ab der 8. Minute in Unterzahl spielte und nur ein 1:1 holte, hält Sturm ebenso wie die Portugiesen bei vier Punkten, ist wegen des verlorenen Duells aber nur auf Rang drei. Atalanta hält bei sieben Zählern, Rakow bei einem. (Martin Schauhuber, 26.10.2023)

Europa-League, Gruppe D (3. Runde):

SK Sturm Graz - Atalanta Bergamo 2:2 (1:2). Graz, Stadion Liebenau, 15.000, SR Duje Strukan (CRO).

Tore:
1:0 (13.) Prass
1:1 (34.) Muriel
1:2 (45.+7) Muriel (Hand-Elfmeter)
2:2 (80.) Wlodarczyk (Hand-Elfmeter)

Sturm: Scherpen - Gazibegovic, Affengruber, Wüthrich (62. Lavalee), Dante - Hierländer, Gorenc-Stankovic - Sarkaria (77. Horvat), Kiteishvili (62. Serrano), Prass (70. Böving) - Jatta (61. Wlodarczyk)

Atalanta: Musso - Toloi (81. Scalvini), Djimsiti, Kolasinac - Zappacosta (77. Bakker), De Roon, Ederson, Ruggeri (63. Hateboer) - Koopmeiners - Lookman (63. De Ketelaere), Muriel (64. Scamacca)

Gelb-Rote Karte: Hierländer (52./Foul)

Gelbe Karten: Kiteishvili bzw. Lookman, Bakker