Er war das Gesicht eines freundlicheren Chinas. Der am Freitag an einem Herzinfarkt verstorbene Li Keqiang stand für ein China, mit dem man trotz aller Schwierigkeiten, Differenzen und zunehmender Rivalität Geschäfte machen konnte, weil sich Rationalität und Pragmatismus am Ende doch noch durchsetzen würden. Zumindest fiel sein Name in den vergangenen acht Jahren immer wieder, wenn die Sprache auf das zunehmend autoritärere und bleierne China Xi Jinpings fiel.

Li vor EU- und China-Flaggen.
Premierminister Li Keqiang bei einem Treffen mit der EU. Der Handel entwickelte sich unter seiner Regierung auch im Sinne des Westens.
AFP/JOHN THYS

Während Präsident Xi die Volksrepublik auf einen aggressiveren Kurs einschwor, war Premier Li für die wirtschaftliche Entwicklung zuständig – und zumindest hier gab es kaum Differenzen mit den Vertretern westlicher Konzerne: mehr Wachstum, mehr Investitionen, mehr Verflechtung.

Zwar kam es für viele nicht überraschend, dass der stets lächelnde Li im vergangenen März sein Mandat nach zwei Amtsperioden niederlegte. Mit Bedauern wurde es trotzdem aufgenommen.

Der eigenen Zensur ausgewichen

Über Lis Gesundheitszustand war lange spekuliert worden, und das war wohl auch der Grund, weshalb er anders als die Nummer eins des Landes, der seine eigene Amtszeitbeschränkung aufgehoben hatte, nicht nochmals antrat.

Li winkt ins Publikum.
Li Keqiang schied im März aus seinem Amt und winkte zum Abschied den Funktionären.
AP/Ng Han Guan

Li stammte aus der Provinz Anhui, wo er 1955 als Sohn eines Revolutionärs geboren wurde. Wie auch Xi Jinping wurde er während der Kulturrevolution aufs Land verschickt, um dort einfache Arbeiten zu verrichten. Als sich nach Maos Tod die Wogen zu glätten begannen, studierte er Jus in Peking und promovierte in Wirtschaftswissenschaften. In der kommunistischen Jugendliga fiel er dem späteren Präsidenten Hu Jintao auf, der ihn förderte.

Vielen Ökonomen dürfte der sogenannte Li-Keqiang-Index in Erinnerung bleiben. Wirtschaftsdaten aus China sind mit Vorsicht zu genießen. Sie folgen eher Planzahlen, als dass sie tatsächlich den Ist-Zustand abbilden. Zum Beispiel wird ein Wachstumsziel für eine Provinz mit fünf Prozent ausgegeben. In der Folge veranlassen die Funktionäre alles, um dieses Ziel als erreicht zu vermelden. Das macht es selbst für die Entscheider in Peking schwierig, genaue Daten über den Zustand der Wirtschaft zu bekommen. Li soll deswegen auf Indikatoren wie Stromverbrauch, Schienenfracht und Kredite gesetzt haben, um ein besseres Bild von der wirtschaftlichen Situation zu bekommen. Daraus wurde der Li-Keqiang-Index.

Stimme der Vernunft für den Westen

Li erwarb sich so einen Ruf als jemand, "der sagt, was ist". Seine Wirtschaftspolitik zielte darauf ab, das Wachstum auf nachhaltigere Füße zu stellen und die Schuldenlast zu reduzieren. Die Staatsmedien bezeichneten dies 2016 als "Likonomics". Erfolg hatte er damit nur bedingt: Chinas Wachstum lahmt, die Jugendarbeitslosigkeit hat ein Spitzenniveau erreicht, und die Wirtschaft leidet unter der schwelenden Immobilienkrise.

Li auf einem riesigen Bildschirm.
Premier Li bei einer Rede während der Corona-Zeit. Er galt innerhalb der Regierung als Stimme der Mäßigung.
AFP/STR

Kurz vor Ende seiner Amtszeit begab sich Li auch in Opposition zu Xi Jinping, als er davor warnte, die rigorose Zero-Covid-Politik würde immer größere wirtschaftliche Schäden verursachen. Nicht zuletzt deswegen galt er in der westlichen Business-Community als eine "Stimme der Vernunft" in einem Land, das zunehmend von Ideologie geprägt wird. (Philipp Mattheis aus Taipeh, 27.10.2023)