Mann nimmt ein Kondom aus der Verpackung
Kondome sind im Kampf gegen die Ausbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten essenziell. Aber vielen fehlt immer noch das Bewusstsein dafür, kritisieren Fachleute.
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Der Negativtrend ist eindeutig: Innerhalb von neun Jahren ist die Zahl der Syphilis-Diagnosen in Europa um 87 Prozent angestiegen. Die Zahl der HIV-Infektionen hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt. Kurzum: Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten, kurz STIs (= sexually transmitted infections), breiten sich immer weiter aus.

Mit 17 Millionen gemeldeten Fällen von STIs wurde 2019 ein historischer Höchststand in der europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verzeichnet. Auch in Österreich zeichnet sich dieser Trend ab. Hierzulande beobachte man besonders bei Gonorrhoe- und Chlamydien-Infektionen Höchstwerte, so Georg Stary und Katja Knapp von der Universitätsklinik für Dermatologie der Med-Uni Wien.

Infektionen eindämmen

Eigentlich wären viele dieser Infektionen gut vermeidbar – und das ist auch das erklärte Ziel der Vereinten Nationen in der "Agenda 2030": STIs so weit zurückzudrängen, dass die Gefahr für die Weltbevölkerung gebannt ist. Um dieses Vorhaben zumindest in der europäischen WHO-Region wieder ins Blickfeld zu rücken, nahmen sich Fachleute – darunter auch Stary und Knapp – des Themas in vier aktuell veröffentlichten Untersuchungen an. Die Artikelserie wird aktuell im renommierten Fachjournal "The Lancet Regional Health – Europe" publiziert. Analysiert wurden dabei etwa die Epidemiologie in Europa, laufende Präventionsstrategien in verschiedenen Ländern sowie der Zugang Betroffener zu modernen Behandlungsmethoden.

Die aktuellen Daten veranschaulichen den dringenden Handlungsbedarf: Zwischen 2010 und 2019 wurden fast doppelt so viele HIV-Diagnosen neu gestellt wie in den Jahrzehnten davor, sodass derzeit rund 1,5 Millionen Betroffene vermeldet werden. Alarmierend sei laut Fachleuten auch der europaweite Anstieg an Chlamydien und Gonorrhoe – im Volksmund oft als "Tripper" bezeichnet – sowie das Auftreten von Infektionen, die zuvor nicht mit primär sexueller Übertragung in Verbindung gebracht wurden, wie etwa Hepatitis B oder Shigellose.

Zunahme an Hochrisikoverhalten 

Als Ursachen für diese Entwicklung sehen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine Zunahme an ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnerinnen und Partnern. Das wird unter anderem durch die sehr effiziente präventive Strategie der HIV-Pre-Exposure-Prophylaxe unterstützt, mit der zwar Ansteckungen mit HIV vermieden, aber durch den Verzicht auf Kondome die zunehmende Verbreitung anderer STIs verursacht werden kann.

Aussagekräftige Zahlen fehlen

Die erhobenen Daten seien laut Fachleuten zwar alarmierend und der Trend auf jeden Fall eindeutig, aber dennoch sei die Aussagekraft der Zahlen begrenzt. Das liege an den unterschiedlichen Überwachungs- und Meldesystemen der einzelnen Länder. Die Expertinnen und Experten fordern dementsprechend eine Vereinheitlichung der Meldesysteme in den europäischen WHO-Mitgliedsstaaten. Nur so könnten gesicherte Daten über die Größe und Zusammensetzung von Zielgruppen insbesondere für Präventionsmaßnahmen gewonnen werden.

Dazu gehört vor allem auch, das Bewusstsein für die enorme Bedeutung von Kondomen als Schutz vor STIs aufrechtzuerhalten. "Insbesondere in Österreich fehlen oftmals aussagekräftige Daten über das Vorkommen der häufigsten STIs", kritisiert Georg Stary. "Dringend benötigt werden auch Resistenzprofile bei bakteriellen STIs, um im Bedarfsfall rasch und zielgerichtet Antibiotika verabreichen zu können." (poem, 27.10.2023)