In der Auslage von Friseur Mike in der Salmgasse 23 haben schon Schafe, Teddys, Skelette, Kraken und Maulwürfe gewohnt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Regine Hendrich

Die schwarzen Lettern an der grauen Fassade sind eigentlich eindeutig. Sofern einem das Wort, das sie ergeben, geläufig ist. C O I F F E U R ist da auf acht goldenen Platten – eine für jeden Buchstaben – zu lesen. Und doch gibt es hier für Passantinnen und Passanten Anlass zu Spekulationen. Fleischhacker? Rotlicht-Etablissement? Nur ein Auszug aus all den Vermutungen, die Michael Telatko, Inhaber des zugehörigen Geschäfts, bereits zu hören bekommen hat.

Die Verwirrung rührt aber weniger vom in der Alltagssprache nicht ganz gebräuchlichen Wort über dem Eingang. Sondern vielmehr von dem, was unter dem C, dem O und dem I zu sehen ist. Dort befindet sich Telatkos Auslage. Und die ist in dem Grätzel um die Salmgasse im dritten Bezirk eine richtige Sehenswürdigkeit. Denn darin ist ordentlich was los.

Skelette, Herzen und Kätzchen

Mit Kunstblut überströmte Skelette (Fleischhacker?), leuchtende Herzen (Puff?), Plüschponys auf rotierenden Podesten, Kätzchen auf einem kreisenden Miniriesenrad, Ballons in unzähligen Farben und Formen: All das und mehr war im Schaufenster des Friseurladens bereits zu sehen. Seit 15 Jahren wechselt es im Wochen- bis Monatsrhythmus sein Aussehen.

Dafür sorgt der Chef persönlich. In einer Detailverliebtheit, die ihresgleichen sucht. Derzeit schneidet ein Skelett in schwarzer Kutte hinter der Glasscheibe Grimassen. Ein Ast, an dem vertrocknete Blätter hängen, bildet den Hintergrund. Der Zweig ist ein Überbleibsel von der Herbstdeko, die Telatko unlängst auf Halloween gebürstet hat: An dünnen Fäden segeln Monster, eine von skelettierten Pferden gezogene Lego-Totenkutsche dreht sich im Kreis. Es krabbeln Spinnen, kriechen Schnecken, kullern Särge. Irgendwo dazwischen: zwei gerahmte Preislisten.

Überwacht wird die Szenerie von einem Stofftier-Maulwurf aus der Sendung mit der Maus. Ihn bloß ins Schaufenster zu setzen hat Telatko nicht gereicht: Er hat dem Plüschtier ein Handy in die Pfote gedrückt – einen Radiergummi aus der Schreibwarenabteilung, der kurzerhand zum Accessoire umfunktioniert wurde.

Die Mischung ist ein wenig wild, aber genau das macht sie sympathisch. Einen ganzen Tag braucht der Friseur, um die Auslage komplett neu auszustatten. Wozu der Aufwand?

Alle paar Wochen bekommt die Auslage einen neuen Style
DER STANDARD / Rachbauer

"Ich finde die Tristesse in der Stadt sehr groß", sagt der 51-Jährige. Bloß ein Poster von einem gestylten Model in die Auslage zu hängen oder Haarspraydosen auszustellen, wie es so viele in der Branche täten, sei ihm "zu banal". Er wolle mit seinem Schaufenster ein bisschen Freude machen. Und das gelinge: "Immer wieder klopfen Leute an und sagen: ,Das ist toll.‘" Und so manch Neugierige seien auch schon zu Kunden geworden. Für den Friseur geht die Rechnung auf.

Er ist damit quasi ein Lehrbeispiel für gute Auslagendekoration. "Schaufenster sind die erste Kontaktmöglichkeit zu potenzieller Kundschaft", sagt Cordula Cerha, Expertin für Handel und Marketing an der Wirtschaftsuni Wien. "Ein aktivierend gestaltetes Schaufenster kann Passantinnen zu Interessentinnen machen und in weiterer Folge zu Käuferinnen." Aktivierend meine: "Mit hohem Aufmerksamkeitspotenzial. Man kann mit Farben, Beleuchtung und Requisiten saisonale Kulissen und Erlebniswelten schaffen."

Genau dieses Erleben müssten stationäre Händlerinnen und Dienstleister bieten, um sich von der Online-Konkurrenz zu unterscheiden. Die Abgrenzung beginne eben bei der Auslage. Nicht umsonst beschäftigten große Ketten ganze Abteilungen, die sich einzig der Schaufenstergestaltung widmen.

Seit 15 Jahren wechselt es im Wochen- bis Monatsrhythmus sein Aussehen.
Michael Telatko

Telatkos Vorbilder sind alte, großteils bereits ausgestorbene Modeläden. Solche, in denen Kleider mit Nadeln auf Schaufensterpuppen drapiert wurden. "Da hat man gleich gemerkt, dass sich jemand Zeit genommen hat, Ware ansprechend zu präsentieren." Überhaupt hat der Wiener ein Faible für Dinge mit Geschichte: In seinem Geschäft hängt eine bald hundertjährige Garderobe, die Wände sind mit antiquarischen Bartzangen dekoriert, Kundschaft nimmt auf 60er-Jahre-Sesseln Platz. Hinter einem Vorhang befindet sich Telatkos Schatzkammer: In sorgsam beschrifteten Kartons lagert die Deko für die Auslage – die Stapel reichen bis zur Decke. Dabei hat alles ganz bescheiden begonnen.

Anspruchsvolles Publikum

"Zur Eröffnung hatte ich bloß ein paar Luftballons und ein Willkommen im Schaufenster", erzählt Telatko. Mehr sei sich im Stress damals nicht ausgegangen. Doch das änderte sich rasch. Telatko ist gelernter Maskenbildner, hat an Theatern wie der Staatsoper gearbeitet. Dabei kam er viel mit Kostümentwürfen und Szenenbüchern in Berührung. Das inspirierte ihn später dazu, in seinem Schaufenster kleine Geschichten zu erzählen, wie er sagt. Ideen hat Telatko noch genug: "Ein Wasserfall wäre schön", träumt er. "Aber das würde wohl das Budget sprengen."

Telatkos Publikum ist anspruchsvoll: Als er zwei Sommer hintereinander den gleichen glitzernden Plüschkraken ausstellte, beschwerten sich häufig vorbeigehende Kinder über zu geringe Abwechslung. Der Friseur verpasste dem Tier kurzerhand einen Bart.

Michael Telatko

Derzeit wartet der Krake auf seinen nächsten Einsatz. Und Telatko, der tüftelt bereits an der Weihnachtsgeschichte. (Stefanie Rachbauer, 31.10.2023)