Dutzende Männer haben am Sonntag in der überwiegend von Muslimen bewohnten russischen Republik Dagestan den Flughafen der Hauptstadt Machatschkala gestürmt. Laut dem Gesundheitsministerium von Dagestan wurden bei den Ausschreitungen 20 Menschen verletzt, darunter neun Polizisten. In der Zwischenzeit sei die Lage wieder unter Kontrolle. "Mehr als 150 aktive Teilnehmer an den Unruhen wurden identifiziert, 60 von ihnen wurden festgenommen", erklärte das russische Innenministerium Montagfrüh. DER STANDARD hat einige der wichtigsten Fragen dazu beantwortet.

Video: Mob in Dagestan stürmt auf der Suche nach Israelis und Juden Flughafen
AFP

Frage: Was ist passiert?

Antwort: Das Onlinemedium "Sota" berichtet, schon zuvor hätten Demonstranten vor dem Flughafen randaliert, angeblich auf der Suche nach Passagieren mit jüdischen Wurzeln. Sie riefen "Allahu akbar" (Gott ist groß). Gegen 19 Uhr dann landete die Maschine der russischen Airline Red Wings, aus Tel Aviv kommend. In den vergangenen Tagen waren derartige Evakuierungsflüge aus der Krisenregion in Nahost angekündigt worden. Um 21 Uhr sollte die Maschine weiter Richtung Moskau fliegen. Dazu kam es nicht: Laut Medienberichten stürmten die Angreifer das Rollfeld sowie das Dach des Flughafens. Videos auf Telegram zeigen Männer, die Zäune einreißen und Türen im Terminal eintreten. Der Flughafen wurde geschlossen. Was mit dem Flugzeug und den Passagieren aus Israel geschah, blieb vorerst unbekannt.

Amateuraufnahmen zeigen Männer, die mit einer palästinensischen Fahne auf das Rollfeld stürmen.
AFP/Telegram/@askrasul/-

Frage: Wer steckt dahinter?

Antwort: Laut der Zeitung "Kommersant" machte Dagestans Gouverneur Sergej Melikow ukrainische Propaganda für die Unruhen verantwortlich: "Versuche, die Lage in Dagestan zu destabilisieren, einschließlich der Anwendung verbotener Methoden, die mit dem Schüren von interethnischem Hass und interreligiösen Problemen verbunden sind, werden von unseren Feinden, Gegnern unseres Landes, durchgeführt", wurde Melikow zitiert.

Ein entsprechender Telegram-Kanal sei der Initialzünder der Unruhen gewesen. Dieser wurde in der Tat früher vom russischen Oppositionellen Ilja Ponomarjow betrieben, der in die Ukraine gewechselt war. Dieser betont allerdings, den Kanal würde er seit über einem Jahr nicht mehr kontrollieren. Telegram-Gründer Pavel Durov hat am Montag angekündigt Kanäle sperren zu wollen, die in Dagestan zu antisemitischer Gewalt aufrufen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hingegen sagte laut dem Onlinemedium "Meduza", die Unruhen seien kein Einzelfall gewesen, sondern Teil einer "weitverbreiteten Kultur des Hasses gegenüber anderen Völkern in Russland".

Gouverneur Melikow kündigte Härte an. "Was auf unserem Flughafen passiert ist, ist unerhört und muss von den Strafverfolgungsbehörden geahndet werden." Die Behörden in Dagestan hatten zuvor allerdings in Hinblick auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas erklärt, dass es "für jeden von uns nicht einfach ist, dem Massaker an einer Zivilbevölkerung, dem palästinensischen Volk, beizuwohnen".

Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, ging noch einen Schritt weiter: Die Ukraine, sagte sie am Montag, habe bei der "Provokation" eine "Schlüsselrolle" gespielt.

Frage: Hat Russlands Präsident Wladimir Putin damit zu tun?

Antwort: Die Ereignisse in Machatschkala seien eine Einmischung von außen, kommentierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow den Vorfall. Dass der Kreml selbst unmittelbar in die Ereignisse in Dagestan verwickelt ist, ist aber sehr unwahrscheinlich. Traditionell unterhält Russland enge Kontakte zu Israel, aber eben auch zu den Palästinensern und sogar zur Hamas. Erst in der vergangenen Woche war eine Hamas-Delegation zu Gast in Moskau. In Nahost will sich Russland vor allem als Vermittler positionieren.

Erst nach und nach gelang es der Polizei, die Ordnung wiederherzustellen.
AFP/Telegram/@askrasul/-

Frage: Wie reagiert Österreich auf die Unruhen in Dagestan?

Antwort: Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) meldete sich auf X, vormals Twitter, zu Wort. "Die Bilder vom Flughafen #Machatschkala in #Dagestan sind zutiefst erschreckend. Sie erinnern uns an die dunkelsten Zeiten. Österreich bekennt sich zum Kampf gegen #Antisemitismus in all seinen Formen, egal wo und wann, und lehnt jede Aufstachelung zur Gewalt ab. #NeverAgain ist jetzt."

Frage: Wie verbreitet ist Antisemitismus in Russland?

Antwort: Kreml-Chef Putin distanziert sich von Antisemitismus. Doch dieser scheint in Russland durchaus verbreitet. Die Politikexpertin Tatiana Stanovaja vom Carnegie-Thinktank sagt: "Morgen werden sie versuchen, die Bedeutung des Geschehens herunterzuspielen und alles auf die Ebene eines zufälligen Vorfalls zu reduzieren (na ja, abgesehen von der traditionellen Schuld der Ukraine und ihrer 'Sponsoren' an allem). Und in zwei Tagen wird alles vergessen sein, als wäre nichts passiert."

In Dagestan hätten viele Juden Angst, zitiert das Onlinemedium "Rise" Owadja Isakow, den Oberrabbiner der Stadt Derbent. 300 bis 400 jüdische Familien würden dort leben, so Isakow. "Die Situation in Dagestan ist sehr schwierig, die Leute aus der Gemeinde haben Angst, sie rufen an, aber ich weiß nicht, was ich ihnen raten soll. Eine Frau wandte sich hilfesuchend an den örtlichen Polizeibeamten, und dieser sagte: 'Nun sehen Sie, was Sie ihren Kindern dort antun." Auch persönlich habe er Angst, sagte Isakow. "Ich fühle mich nicht sicher, obwohl die Synagoge bewacht ist und es Streifen gibt, aber der Vorfall mit dem örtlichen Polizisten zeigt, dass es überhaupt keine Sicherheit gibt und jederzeit mit Schlimmerem zu rechnen ist." (Jo Angerer aus Moskau, 30.10.2023)