Luxusyachten auf einer Bootmesse im deutschen Düsseldorf
Die Vermögensungleichheit wird seit langem angeprangert. Wissenschafter des EU Tax Observatory, das auf Steuer- und Vermögensforschung spezialisiert ist, haben nun ihren ersten umfassenden Bericht dazu erstellt.
IMAGO/Rupert Oberhäuser

"Steuerhinterziehung, verstecktes Vermögen und Gewinnverlagerungen in Steuerparadiese sind keine Naturgesetze", schreibt Gabriel Zucman, einer der bedeutendsten Forscher zur Steuerflucht und Ungleichheit. "Sie sind das Ergebnis von politischen Entscheidungen oder dem Unterlassen bestimmter Entscheidungen", so der Direktor des EU Tax Observatory.

Doch wie hat die Politik entschieden? Der erste umfassende Bericht des Forschungsinstituts der Paris School of Economics hat die Antworten darauf. Der STANDARD hat die fünf wesentlichsten herausgepickt.

0 bis 0,5 Prozent

So hoch ist die effektive Besteuerung der Milliardäre im weltweiten Schnitt. Der Prozentsatz ergibt sich aus dem jeweiligen Vermögen und den tatsächlich gezahlten Einkommens- und Vermögenssteuern.

Zur Einordung: Verfügt jemand über ein Nettovermögen in Höhe von exakt einer Milliarde Dollar, führt er bei einer effektiven Besteuerung von 0,5 Prozent jährlich 5 Millionen Dollar ab. Die absoluten Beträge sind damit enorm, gemessen am eigenen Vermögen aber schwindend gering.

Weltweit sind rund 2.500 Personen mehr als eine Milliarde Dollar reich, gemeinsam kommen sie auf ein Vermögen von 13 Billionen Dollar – mehr als doppelt so viel wie die jährliche Wirtschaftsleistung Deutschlands und Frankreichs zusammen.

Wie es zu der niedrigen Besteuerung kommen kann, zeigt ein Blick nach Frankreich. Obwohl die dort ansässigen Milliardäre reichlich Firmenanteile besitzen und Dividenden erhalten, werden diese kaum versteuert, führen die Autoren an. Denn: Die Anteile werden über eigene Holdings verwaltet.

Die Gewinne der Muttergesellschaft bleiben in der Konzerngruppe, das Geld kann praktisch steuerfrei reinvestiert werden. Die Milliardäre selbst können so ihr Vermögen weiter steigern; liquide Mittel bekommen sie nicht selten auf Kredit – dank der Holding als Sicherheit zu unschlagbaren Konditionen.

All das bezieht sich wohlgemerkt auf jene Steuern, die die Individuen selbst betreffen. Unternehmenssteuern führen sie letztlich sehr wohl ab, auch in größerem Ausmaß. Die Körperschaftssteuer sei damit praktisch die einzige Steuer, die französische Milliardäre zahlten, schlussfolgern die Autoren.

Fünfmal höher

… sind die Staatseinnahmen aus Unternehmenssteuern in Irland pro Kopf als jene der größten Volkswirtschaft der EU: Deutschland. Wie das möglich ist?

Irland ist das Paradebeispiel für den aggressiven Steuerwettbewerb der vergangenen Jahrzehnte. Lag der Steuersatz für Unternehmen 1993 noch bei 40 Prozent, wurde er schrittweise auf 12,5 Prozent reduziert. Für Irland bedeutete das aber keine steuerlichen Einbußen – im Gegenteil.

Die niedrigen Steuersätze locken seit Jahren multinationale Konzerne an, vor allem jene aus den USA. Die Einnahmen aus den Unternehmenssteuern konnten sich so – trotz sinkender Steuersätze – innerhalb von drei Jahrzehnten auf fast 23 Milliarden Euro vervielfachen. Erwähnenswert: 90 Prozent davon stammen von ausländischen Unternehmen.

12,6 Billionen Dollar

… an Finanzvermögen wurden vergangenes Jahr im Ausland geparkt. Gemeint damit sind jene Bankkonten und Wertpapieranlagen privater Haushalte, die nicht im eigenen Land gehalten werden. Das entspricht rund zwölf Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Nicht einberechnet sind reale Anlagen wie Immobilien, Kunst oder Yachten.

Der Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung ist dabei über die vergangenen zwei Jahrzehnte konstant geblieben. Was sich aber verändert: die Orte, wo das Vermögen geparkt wird. Asiatische Finanzplätze, etwa Singapur oder Hongkong, werden zusehends wichtiger und machen mittlerweile rund 30 Prozent des ausländischen Finanzvermögens weltweit aus.

Genau gegenteilig verläuft die Entwicklung in der Schweiz. Wurden 2006 noch rund die Hälfte aller weltweiten Finanzvermögen in der Schweiz geparkt, liegt der Anteil nun bei rund einem Viertel.

Und noch ein Trend: Der Anteil der unversteuerten Vermögen hat seit Einführung des verstärkten Austauschs zwischen Finanzinstituten und Steuerbehörden abgenommen. Lag er zuvor bei geschätzten 90 Prozent, dürfte der Anteil auf etwa 25 Prozent gesunken sein.

35 Prozent

So hoch ist der Anteil der Gewinne, die multinationale Unternehmen 2022 in Steueroasen verschoben haben. Das entspricht rund einer Billion Dollar und damit rund zehn Prozent dessen, was jährlich weltweit an Unternehmenssteuern eingehoben wird.

Interessant: Die größten Summen werden nicht auf exotische Inseln verschifft, sondern in die Niedrigsteuerländer Europas. Die Niederlande, Irland und die Schweiz beherbergten 2020 gemeinsam rund 400 Milliarden US-Dollar.

Auf Unternehmensseite sind es vor allem US-amerikanische Konzerne, die ihre Gewinne geschickt in Niedrigsteuerländer verschieben. Rund die Hälfte aller Gewinnverschiebungen weltweit sind auf sie zurückzuführen. Das hat etwa mit dem stark ausgeprägten Tech-Sektor zu tun, bei dem Unternehmen aufgrund von Lizenzen, Patenten und Algorithmen leichtes Spiel haben.

214 Milliarden Euro

… jährlich könnte eine Mindeststeuer für Milliardäre in Höhe von zwei Prozent einbringen. Damit ist das Potenzial fast genauso hoch wie jenes der globalen Mindeststeuer für Konzerne.

Für die Berechnung haben die Forschenden – stark vereinfacht – die einzelnen Vermögen der Milliardäre addiert, zwei Prozent davon berechnet und bereits bezahlte Steuern abgezogen. Die Daten dafür stammen vom World Inequality Report 2022, die Schätzung sei damit aufgrund der veralteten Zahlen noch als "konservativ" einzustufen.

Die Berechnung einer Vermögenssteuer für Superreiche kommt nicht von ungefähr. Immer wieder fordern Ökonomen, Politiker und Aktivisten eine solche Steuer, um die zunehmende Ungleichheit zu bekämpfen. Erst im September wurde ein offener Brief an die G20-Staaten mit knapp 300 namhaften Unterstützern publik – darunter auch Mitwirkende des Berichts um Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Gabriel Zucman. (Nicolas Dworak, 1.11.2023)