Es ist ein schmaler Güterweg, der von einer Bushaltestelle zum Elternhaus von Silvia Mairböck führt. Die dichten Mühlviertler Wälder sind zwar nicht in unmittelbarer Nähe, aber zumindest in Sichtweite. Ein Weg in der kleinen Gemeinde Schönau nahe der Ortsgrenze zu Bad Zell, den die 20-jährige Studentin beinahe täglich geht – und der seit dem vergangenen Wochenende der Schauplatz einer Begegnung der ungewöhn­lichen Art ist. "Ich habe ein Geräusch gehört, und plötzlich ist in gut zehn Meter Entfernung ein Wolf vor mir gestanden", schildert Mairböck im STANDARD-Gespräch das plötzliche Treffen mit dem Raubtier.

Im ersten Moment habe sie sich noch gedacht, es sei ein Hund: "Aber ich kenne eigentlich alle Hunde aus der Umgebung. Da war schnell klar, dass es ein Wolf ist." Die Überraschung war aber offensichtlich auch auf tierischer Seite groß. "Er ist stehen geblieben und hat mich angestarrt. Mein Puls war gefühlt auf 300 oben, natürlich habe ich Angst gehabt." Die junge Frau wagte aber dann den Schritt aus der Passivität und begann laut zu schreien. Was den Wolf letztlich dazu bewegte, sich davonzuschleichen.

Abschusserlaubnis

Das Treffen bleibt aber nicht ohne Folgen – zumindest für den Wolf. Das weibliche Tier hat sich nämlich in den letzten Wochen im Bezirk Freistadt gleich dreimal Menschen genähert und wurde daher dieser Tage vonseiten der Landespolitik offiziell zum Risiko erklärt. Die zuständige Agrarlandesrätin ­Michaela Langer-Weninger (ÖVP) erteilte eine offizielle Abschuss­erlaubnis: In den nächsten vier Wochen darf der Risikowolf in einem Zehn-Kilometer-Radius ausgehend von der zeitlich letzten Vergrämung von der örtlichen Jägerschaft ins Visier genommen und getötet werden.

Die bevorzugte Nähe zum Menschen wird ein Wölfin jetzt zum Verhängnis. Sie ist zum Abschuss freigegeben
APA/dpa/Boris Roessler

Unter den 1859 Einwohnern von Schönau im Mühlkreis ist die Erleichterung entsprechend groß. Bürgermeister Herbert Haunschmied (ÖVP) hat an seinem Schreibtisch im Gemeindeamt Platz genommen und blickt nachdenklich aus dem Fenster in Richtung Wald: "Ich bin jetzt nicht der große Jogger, aber wäre ich es, dann würde ich im Moment den Wald meiden." Die erteilte Abschussgenehmigung sei eine große Erleichterung: "Die Menschen merken, dass etwas passiert. Nichts gegen den Wolf zu tun wäre sicher das Schlechteste."

Aktuell sei die Verunsicherung im Ort groß, erzählt Haunschmied: "Keine Riesenangst, aber es sind alle sehr vorsichtig. Da wird nicht mehr in den Wald gegangen, und auch die Kinder laufen derzeit nicht allein herum." Es sei ja "eh nett", wenn sich Menschen um die Wieder­ansiedlung des Wolfes bemühten. "Aber sind wir ehrlich – passieren darf nix. Wenn da einmal ein Jogger angefallen wird, na, gute Nacht."

"Den Wolf braucht keiner"

Es hat sich an diesem Vormittag im Mühlviertel so richtig eingeregnet. Und die Möglichkeiten, dem Schlechtwetter zu entkommen und dennoch im Austausch zu bleiben, sind überschaubar. Die beiden Gasthäuser im Ort haben Ruhetag – wem nach Plaudern ist, der wählt den Kommunikationsklassiker im ländlichen Raum: das Lagerhaus.

Vor dem Eingang hat man unter dem Vordach einen großen Stehtisch platziert. Nur zum Einkaufen kommt an diesem Vormittag kaum wer. Da geht sich zwischen Saatgut, Pellets, Tierfutter und Traktoröl immer ein schnelles Flascherl Bier aus. Zum aktuell wohl brennendsten Thema im Ort hat man hier im "grünen Rathaus" eine klare Meinung. "Abschießen. Den Wolf braucht keiner", erläutert ein sichtlich auf­gebrachter Pensionist. Auch auf Nachfrage, ob nicht doch ein Zusammenleben mit dem Beutegreifer möglich sei, bleibt der Mann dabei: "Abschießen. Punkt, aus."

Mensch vs. Tier

Lagerhaus-Mitarbeiter Werner Aumayr sieht die Situation ein wenig differenzierter: "Für mich macht ein Abschuss wenig Sinn. Natur ist Natur. Wenn man jetzt einen erwischt, dann kommt einfach der nächste Wolf. Ich habe jedenfalls keine Angst und gehe ganz normal Schwammerln suchen. Ich kann mich schon irgendwie wehren. Treff’ ich einen Wolf, dann brenn’ ich ihm mit einem Stecken einfach eine auf."

Die unaufgeregte Haltung bringt einen weiteren Kunden in Rage: "Geh, hör doch auf. Da wird sogar unser Steuergeld hergenommen, dass das Viech sich im Wald wohlfühlt. Weißt was, die Politiker gehören in ein Schaffell gesteckt und im Wald ausgesetzt. Und der Herr Wolfsbeauftragte gleich mit dazu."

Schwierige Bejagung

Für die politisch angeordnete ­Liquidierung sind jetzt die Damen und Herren in Lodengrün ver­antwortlich. Robert Guschlbauer, Jagdleiter im Nachbarort Weitersfelden, sieht jedenfalls im STANDARD-Gespräch ein durchaus schwieriges Unterfangen: "Es wird nicht leicht." Der Wolf sei eigentlich nicht tag­aktiv und damit oft nicht "dann draußen, wenn der Jaga draußen ist." Zudem sei der Zeitraum sehr knapp. "Es wird also eine gehörige Portion Glück brauchen, um den Auftrag zu erfüllen." (Markus Rohrhofer; 01.11.2023)