Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat am Mittwoch auf seinen Kanälen in sozialen Netzwerken eine Rede zum zunehmenden Antisemitismus in Deutschland veröffentlicht. Die knapp zehnminütige Ansprache kann als Rede zur Lage der Nation aufgefasst werden. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister sprach über eine "aufgeheizte öffentliche Debatte" seit Beginn des Angriffs der Hamas auf Israel. Für seine Einordnung erhielt er parteiübergreifendes Lob.

Habeck führte zunächst die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel an. Die Generation seiner Großeltern, sagte der 54-Jährige, wollte jüdisches Leben in Europa einst vernichten. Deutschland sei verpflichtet, das Schutzversprechen an das jüdische Volk durch die Gründung des Staats Israel zu erfüllen.

Robert Habecks Rede im Video.

Toleranz als Kern des Zusammenlebens

In Deutschland sei die Angst unter Jüdinnen und Juden zurückgekehrt, nicht mehr frei und sicher leben zu können, führte Habeck aus. Antisemitismus zeige sich aktuell bei Demonstrationen, in öffentlichen Äußerungen und in Angriffen auf jüdische Läden. "Wir haben sicherlich viel zu oft Empörung in unserer Debattenkultur", sagte Habeck. "Aber hier können wir gar nicht empört genug sein. Antisemitismus ist in keiner Gestalt zu tolerieren – in keiner." Nach islamistischen Demonstrationen in mehreren Städten Deutschlands brauche es "eine harte politische Antwort".

Dabei nimmt Habeck muslimische Verbände in die Pflicht, von denen er eine klare Distanzierung von der Hamas fordert. "Sie müssen sich klipp und klar von Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen." Das Verbrennen einer israelischen Flagge sei eine Straftat, das Preisen der Hamas auch. "Wer Deutscher ist, wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen", sagte Habeck. "Wer kein Deutscher ist, riskiert außerdem seinen Aufenthaltsstatus. Wer noch keinen Aufenthaltstitel hat, liefert einen Grund, abgeschoben zu werden." Und weiter: "Toleranz kann keine Intoleranz vertragen. Das ist der Kern unseres Zusammenlebens."

Video: Habeck besorgt über Antisemitismus bei Teilen der Linken.
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Antisemitismus von rechts und links

Habeck beklagte neben dem islamistischen auch den in Deutschland verfestigten Antisemitismus. Die Rechtsextremen würden sich aktuell "aus taktischen Gründen" damit zurückhalten und die Chance nutzen, "um gegen Muslime hetzen zu können". Die Verharmlosung des Holocausts sei ein "Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden".

Auch in der politischen Linken ortete Habeck Antisemitismus, speziell unter jungen Leuten. "Das 'Beide Seiten'-Argument führt hier in die Irre", sagte Habeck, was als direkte Kritik an die Klimabewegung Fridays for Future und deren propalästinensischen Äußerungen in den vergangenen Wochen aufgefasst werden kann. Dass die deutsche Vertretung der Bewegung Abgrenzung zeigte, sei allerdings "mehr als respektabel".

"Das Existenzrecht Israels darf nicht relativiert werden", schloss Habeck seine Rede. "Die Sicherheit Israels ist unsere Verpflichtung. Deutschland weiß das."

Lob aus der CDU

Das Ziel seiner Rede sei laut Habeck, die öffentliche Debatte zu entwirren, da viele Themen miteinander vermischt worden seien. Für die Rede erhielt Habeck auch Lob der politischen Konkurrenz. Die CDU-Vizevorsitzende Karin Prien schrieb auf X, vormals Twitter, Habeck treffe "wie kein anderer in dieser Bundesregierung den richtigen Ton. Ein starker, notwendiger Auftritt." Der ehemalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet bezeichnete die Rede als Darstellung einer erforderlichen, stark begründeten Haltung Deutschlands, die über Parteigrenzen hinweg unterstützt werden sollte. (Lukas Zahrer, 2.11.2023)