Den Weg finden

Das hier ist große Literatur für kleine Menschen, der Idealfall von einem Kinderbuch. Ein echter Pageturner, den die altersmäßig doch deutlich außerhalb der Zielgruppe liegende Rezensentin nicht mehr weglegen konnte und in einem weggelesen hat.
Zur Handlung: Nach einem Streit werfen die Eltern den elfjährigen Mathis unweit des Ferienhauses in Norwegen aus dem Auto; er solle doch allein heimgehen. Doch es kommt zu einem Autounfall, und Mathis gibt sich die Schuld daran. Bald ist klar, dass nichts Schlimmeres passiert ist, doch der junge Protagonist, der alles beobachtet hat, bleibt von Schuldgefühlen und Wut geplagt allein im Wald. Er schlägt sich tagelang durch, trifft auf ein seltsames Mädchen, fängt Fische, baut sich Schlafplätze, macht selbst Feuer. Das Ende ist kindgerecht gut.
Wie es Cornelia Franz schafft, die widersprüchlichen Gefühle und das Innenleben des Buben in Worte zu fassen, ist ergreifend.
Entdecken und Staunen

Was ist Kunst? Na, kindgerechte Antwort parat? Dieses wunderschön gestaltete und inhaltsreiche Buch im Großformat liefert gute Antworten – und empfiehlt sich zum gemeinsamen Lesen mit Kindern. Oder wissen Sie auf die Schnelle den Namen jenes niederländischen Malers, der als Erster detailgetreu den Flügelschlag eines Schmetterlings festhielt? Und wie genau ein gotischer Flügelaltar über die Alpen kommt?
Auf 82 Seiten erfahren Kinder ab 10 Jahren, wie Kunst Menschen immer schon bewegt hat und wie die ersten Farben hergestellt wurden, sie lernen Spannendes über unterschiedliche Kunst- und Malereistile im historischen Kontext. Ein wunderbar facettenreiches Kindersachbuch mit vielen ausklappbaren Seiten, das den kindlichen Forschergeist zur Kunstvermittlung nutzt und auch Erwachsene staunen lässt. Unbedingt empfehlenswert!
Großer Almanach für kleine Menschen

Der Buchtitel ist so eine Untertreibung, als würde man einen Baum als Blume bezeichnen. Geschichte der U-Bahn, von wegen: die Geschichte des Rades, der Dampfmaschine, der Eisenbahn, der Transsibirischen Eisenbahn. Und so weiter. Bis man bei Kapitel 7 endlich in London und im Jahr 1863 landet … und bei der ersten U-Bahn.
Wie genau sie das vor 150 Jahren angegangen sind, das wissen wahrscheinlich die allerwenigsten, und deshalb ist dieses Buch (übersetzt aus dem Russischen) eine absolute Kaufempfehlung. Denn nach 1863 geht es weiter mit Fahrrad, Auto, Stadtplanung. Das ist ein ganz großer Almanach für kleine Menschen, die lange Freude damit haben werden und ganz viel erfahren. In diesem Buch steckt viel mehr, als der Titel verrät. Und wunderschön illustriert ist es obendrein.
Rettet den Garten!

Paula von Purzelhausen ist neun Jahre alt und liebt den Schrebergarten ihres Onkels Hajo über alles. So oft wie möglich verbringt die Ich-Erzählerin ihre Tage im "Schrebi", am liebsten gemeinsam mit den Wilden Rüben – ihrer fünfköpfigen Freundesbande. Es gibt allerhand zu erledigen: Teich säubern, Pflanzen säen, Boden umackern. Doch dann soll der Garten plötzlich verkauft werden. Das können die Kinder auf gar keinen Fall zulassen! Aber warum liegen eines Tages lauter tote Frösche auf dem Weg?
Die Wilden Rüben ist ein sympathisches Kinderbuch, das jungen Leserinnen und Lesern ab acht Jahren in einer flott erzählten Geschichte das Ökosystem Garten nahebringt und ihnen nebenbei Basiswissen zu Nachhaltigkeit und Naturkunde vermittelt.
Wenn die Freunde dann noch ein Rätsel lösen und eine Krise abwenden müssen, ist der Lesegenuss für junge Erstleser perfekt.
Die Sache mit den Abenteuern

Konrad Frühling ist acht, aber schon "kurz vor neun", wie er sagt. Er ist sehr klein für sein Alter, mehr ängstlich als mutig und eher sorgenvoll als leichtlebig. Konrad ist, nun ja, das Gegenteil eines Draufgängers. Den größten Gefallen tut man ihm, wenn alles so bleibt, wie es ist, und er dabei nicht weiter auffällt. Doch eines Tages betritt er "einigermaßen entschlossen" die "Agentur für Abendteuer", die an seinem Schulweg liegt. Ab da ändert sich so manches.
Ein Kinderbuch für alle ab acht Jahren über das schöne Gefühl, über sich selbst hinauszuwachsen, über das Loslassen, das Mutigsein und den lohnenden Sprung ins Ungewisse. Wunderbar erzählt mit ganz viel Sprachwitz und genialen Illustrationen von Michael Rohrer.
Hexe wider Willen

Der unabhängige Berliner Reprodukt-Verlag veröffentlicht seit 1991 Comics für alle Altersgruppen – mit Fokus auf die Perspektive der Autorinnen und Autoren. Großartig ist die Hexenkram-Reihe mit eigenwilligen Protagonistinnen.
So soll die elfjährige Grüna sein, was sie nicht sein will: eine begeisterte Hexe. In dem im französischen Original von Marie Desplechin verfassten und von Magali Le Huche hinreißend illustrierten Band steckt viel Klugheit über das Größerwerden und die eigene Identität. Was bedeutet es, wenn man sich gegen den Plan entscheidet, den die Familie für einen hat? Ein Buch über starke Frauen, Alleinerziehende, abwesende Väter und alltägliche Hexereien.
Fabelhafte Tiere
Michael Endes Tierfabeln sind eine zeitlos gültige Angelegenheit. Voller Moral, aber nicht moralisierend. Schreiben kann Michael Ende sowieso, und in Kombination mit den wunderbar sanften Illustrationen von Sebastian Meschenmoser ergeben seine Tierfabeln ein wunderschönes Buch.
Die Handlung: Drei Tiere – der weise Elefant Filemon Faltenreich, das egoistische Nashorn Norbert Nackendick und die gutmütige Schildkröte Tranquila Trampeltreu – stehen im Zentrum. Mit ihnen erfahren Kinder viel über Mut, Toleranz, Selbstwert, Freundschaft, Vertrauen und darüber, wie man über sich hinauswächst. Ewiggültige Botschaften ohne erhobenen Zeigefinger, meisterhaft erzählt.
Inspektor auf Lastenrad
Inspektor Ole Dilemma ist Kriminalpolizist im beschaulichen Inselstädtchen Sandig. Er liebt vor allem zweierlei: Zimtschnecken und Verbrechen. Natürlich nur "kindgerechte Verbrechen". Immer mit dabei ist Spürhund Komma, den Inspektor Dilemma mit dem Lastenrad zu den Einsätzen chauffiert.
Dilemmas aktueller Fall: Jemand hat den Kassaautomaten im Parkhaus gesprengt. Allerhand Zeuginnen und Zeugen müssen befragt, Indizien gesammelt, Spuren verfolgt werden. Wir treffen auf höchst unterschiedliche Charaktere in diesem spannend, witzig und sehr charmant erzählten Buch. Ein pfiffig geschriebener Kinderkrimi mit sympathischem Personal und viel Augenzwinkern. Empfehlung!
Diskriminierung
Das ist eines dieser Bücher, die man auf jeden Fall zu Ende lesen muss, die man nicht einfach abbrechen und später weiterlesen kann. Und über die man nachher mit den Kindern reden sollte.
Zwölf kleine Texte, eigentlich Gedichte, erzählen vom Mädchen von nebenan. Das ein wenig anders, fremd ist. Und mit dem deshalb niemand spielt. Das niemand beachtet, das irgendwie unsichtbar ist. Bis es eines Tages einfach weg ist, weil es weggezogen ist. Und alle wundern sich über die schönen Zeichnungen, die es dagelassen hat. Großes Staunen: Es hat nur einfach niemand hingesehen.
Dieses Buch ist eine schöne Anregung dazu, offen zu sein und anderen eine Chance zu geben.
Streiten und Vertragen
Man kennt Hasnain Kazim als Journalisten und Korrespondenten des Spiegel, der sich klar gegen Rechte und Religiöse positioniert und damit, um es freundlich zu sagen, nicht nur Zustimmung erntet. Jetzt hat der Wahl-Wiener sein erstes Kinderbuch geschrieben – passenderweise zum Thema Streit.
Darin erfahren Kinder, dass es verschiedene Arten von Streit gibt – vom harmlosen Geplänkel zwischen Freunden bis hin zur "allerschlimmsten" Form des Streits, dem Krieg.
In kleinen Texteinheiten lernt man, dass Streit auch etwas Positives sein kann: nämlich der Beginn einer gemeinsamen Lösung, die für alle besser ist. Ein lehrreiches, aber nicht belehrendes Buch über Konflikte und das Sich-Vertragen.
Hör mal, wer da hämmert
Haben Sie gewusst, dass Biber eine Viertelstunde tauchen können, ohne dabei Luft zu holen? Dass der afrikanische Siedelweber seine Nester wie eine Art Vogel-Gemeindebau anlegt – in dem dann bis zu 500 Familien leben? Dass diese Nester außerdem drei mal sechs Meter groß sein können? Und 100 Jahre alt werden? (Also wieder: wie ein Gemeindebau.)
In diesem Buch erfährt man das alles und noch mehr. Wie verschiedene Tiere ihre Nester bauen – viel Wissen, mit vielen Bildern und schön in kleinen Happen serviert. So eignet sich das Buch vor allem auch für Eltern von mehreren Kindern, weil kleiner Geschwister auch schon zuhören können. Storchennester können zwei Tonnen schwer werden, Maulwürfe fressen jeden Tag ihr halbes Körpergewicht. Und so weiter. Nerdiges Tierwissen, wie es Kinder lieben. Und manche Eltern.
Vom Zeigen und Verbergen
"Ah, ich verstehe. Es zeigt sich – indem es sich verbirgt." Eine schöne Idee, bildende Kunst in ein Kinderbuch zu packen. Was wäre eine bessere Verpackung für die Kunst von Christo und Jeanne-Claude als ein Kinderbuch? Eine Kunst, die dazu einlädt, einen Schritt zurück zu machen, die Dinge anders zu betrachten, durch Kinderaugen? Mehr als das Augenscheinliche zu sehen?
Das Buch deckt das gesamte Schaffen des Künstlerpaares ab, vom ersten Treffen der beiden über die ersten Mini-Verhüllungen bis hin zu Reichstag und den "schwimmenden Stegen". Alles ist so beschrieben, dass die Motivation der beiden, ihre Vision, klar wird. Einziger, wirklich einziger Kritikpunkt: Man hätte die Projekte einfach chronologisch anordnen können. Aber wahrscheinlich ist das so ein Einwand aus der Erwachsenenwelt, der aus Kindersicht völlig egal ist. "Nein, die Zeit ist jetzt!", sagte Jeanne-Claude.
Nachts in der Bibliothek
Hase Hoppel ist ein wahrer Bücherwurm. Zum Glück gibt es vor der Bücherei regelmäßig Märchenstunden, denen er gebannt lauscht. Als die Vorlesestunden nach drinnen verlegt werden, verzweifelt Hoppel fast daran. Also steigt er heimlich in die Bücherei ein und wähnt sich angesichts übervoller Bücherregale im siebten Himmel: "Dieser Anblick war besser als ein Feld frischer, knackiger Karotten."
Bald sind auch die anderen Tiere vom Glück des Lesens überzeugt. Als sich die büchersüchtige Truppe eines Nachts gemeinsam in die Bücherei schleicht, werden sie von der Bibliothekarin entdeckt ...
Ein hinreißend erzähltes und liebevoll illustriertes Kinderbuch über die Liebe zum Lesen. (Lisa Mayr-Sinnreich, 19.11.2023)