Warum bei vielen Liberalen Frust herrscht, zeigt sich beim Blick auf die Umfragen. Bei nur noch zwischen fünf und sechs Prozent wird die FDP gesehen, das Institut Infratest dimap weist gar ärmliche vier Prozent aus.

Das wäre unter der Fünf-Prozent-Hürde, die über den Einzug in den Bundestag entscheidet. Von dieser war die FDP vor zwei Jahren, bei der Bundestagswahl 2021, mit 11,5 Prozent noch in sicherer Entfernung.

Dass derlei Zahlen niemandem gefallen, ist klar. Von der Bundesebene bis zum Kreisverband leiden viele und stöhnen, zumal auch einige Landtagswahlen für die FDP katastrophal ausgefallen sind, seit diese Teil der Berliner Ampel aus SPD, Grünen und Liberalen ist.

Lindner trinkt Kaffee.
Ein stärkendes Getränk kann nicht schaden. FDP-Chef Christian Lindner bläst der Wind aus den eigenen Reihen entgegen. Frustrierte Parteifreunde und -freundinnen haben ihm einen Brief geschrieben.
REUTERS/SUSANA VERA

Zuletzt, am 8. Oktober, flog die FDP in Bayern aus dem Landtag. In Hessen, am selben Tag, schaffte sie es nur mit Ach und Krach, nämlich mit fünf Prozent, wieder ins Landesparlament.

26 FDP-Politikerinnen und -Politiker aus den Ländern wollten all dies nicht mehr einfach hinnehmen. Sie haben diese Woche einen Brandbrief an den Bundesvorstand unter Führung von Christian Lindner, der auch Finanzminister ist, und an die Bundestagsfraktion geschickt.

"Quasireligiöse Ideologie"

Darin werden die Empfängerinnen und Empfänger aufgefordert, ein Ende der Ampel zu erwägen und "gegebenenfalls nach anderen Koalitionspartnern zu suchen, die für die Interessen Deutschlands und nicht für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten".

In dem Schreiben heißt es: "Die FDP wird als Partei wahrgenommen, die sich zum Komplizen einer Politik gemacht hat, die von 70 Prozent der Bevölkerung abgelehnt wird." Kritisch angeführt wird die Zustimmung der FDP zum umstrittenen Heizungsgesetz des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Dieses verbietet ab 2024 den Neueinbau reiner Öl- und Gasheizungen.

Auch dass die FDP-Spitze im vorigen Winter kein Weiterlaufen der deutschen Atomkraftwerke erreichen konnte, wird bemängelt.

Zwar wird die grüne Außenpolitikerin Annalena Baerbock nicht beim Namen genannt, aber 26 Briefeschreiber und Briefeschreiberinnen kritisieren auch "Weltrettungsfantasien" und eine "schulmeisternde Außenpolitik". Sie fordern zudem, die Partei müsse sich wieder auf ihre "Kernwerte in der Wirtschaft fokussieren", um Wahlen zu gewinnen.

Gemeinsamer Nenner

Parteichef Lindner aber will sich noch nicht so schnell aus der Ampel davonstehlen. Es sei Aufgabe der drei Parteien, immer wieder gemeinsam auf einen Nenner zu kommen, sagte er bei einer Veranstaltung in Düsseldorf. Er fügte aber auch hinzu: "Es kann der Punkt kommen, bei dem ich sage: Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Mit diesem Satz, der in die Geschichtsbücher eingegangen ist, hat Lindner im Herbst 2017 Sondierungsgespräche mit der CDU, damals noch unter Angela Merkel, und den Grünen über ein Jamaikabündnis beendet. Er hatte den Eindruck, Merkel mache den Grünen gegenüber mehr Zugeständnisse, um sie in eine Regierung zu lotsen. Jamaika kam nicht zustande, Merkel bildete mit der SPD dann eine große Koalition.

Auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki hält nichts vom Ampel-Aus. "Eine Partei, die erklärt: Wir setzen uns nicht durch, und darum gehen wir von Bord, die ist nichts wert. Das würden unsere Wähler auch nicht goutieren", betont er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

"Nicht zu Ende gedacht"

Über die Unzufriedenen sagt er: "Das sind 26 Menschen, die sich irgendwie zusammengefunden haben. Die haben einen emotionalen Antrieb, einen nachvollziehbaren Wunsch, der aber nicht zu Ende gedacht ist."

Lindner schlägt jedoch inhaltlich neue Töne an und stellt nun den Kohleausstieg bis zum Jahr 2030 infrage. "Solange nicht klar ist, dass Energie verfügbar und bezahlbar ist, sollten wir die Träume von einem Ausstieg aus dem Kohlestrom 2030 beenden", sagt er.

Für das Klima bringe dieses Datum "ohnehin nichts, da die in Deutschland eingesparten CO2-Emissionen aufgrund der europäischen Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich anfallen dürfen", so der Parteichef. Vor einem Jahr hatte die Ampel auf Drängen der Grünen beschlossen, das Ende der Kohleverstromung "idealerweise" von 2038 auf 2030 vorzuverlegen.

Und auch aus seiner Sicht zu hohe Sozialleistungen für Geflüchtete aus der Ukraine hat Lindner im Visier: "Es ist zu viel Verteilung, es ist zu viel Sozialpolitik, da müssen wir ran." Die 26 Unzufriedenen dürften es erfreut vernommen haben. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.11.2023)