Junge Frau von hinten vor herbstlichem Wald
Die Zeitumstellung spüren viele, Müdigkeit, Herbstblues oder sogar saisonale Depression können die Folge sein. Zu wenig Tageslicht ist verantwortlich dafür. Deshalb sollte man so oft wie möglich untertags draußen spazieren gehen, am besten in der Natur.
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Der November kann sich ganz schön aufs Gemüt schlagen. Das fehlende Tageslicht sorgt bei bis zu zwölf Prozent aller Menschen für Veränderungen bei Appetit und Schlaf – man nennt das auch den Herbstblues –, zwei bis drei Prozent leiden sogar an einer klinischen Depression. Spannend dabei: Vor allem Menschen zwischen 25 und 65 sind betroffen, berichtet Edda Winkler-Pjrek, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin und Leiterin der Ambulanz für Herbst-Winter-Depression am AKH Wien, aus ihrer Berufspraxis.

Ältere Menschen können mit dieser speziellen, saisonal bedingten Depression oft besser umgehen. "Das dürfte an den Ansprüchen liegen, die an arbeitende Menschen gestellt werden", sagt Winkler-Pjrek. Die sind nämlich ziemlich unausgewogen, sie nehmen keine Rücksicht auf Veränderungen der Jahreszeiten oder den individuellen Biorhythmus. "Viele müssen immer zur gleichen Zeit zu arbeiten beginnen und dadurch auch aufstehen, egal ob es draußen hell oder dunkel ist. Und man soll immer gleich gut funktionieren." Dazu kommen gesellschaftliche Vorstellungen, etwa dass man das ganze Jahr über gleich fit und schlank ist. "Diesen äußeren Umständen kann man nicht oder nur sehr schwer entgehen. Das kann aber Krankheiten und eben auch Depressionen triggern."

Wie relevant die äußeren Umstände sind, sehen Winkler-Pjrek und ihre Kollegen auf der AKH-Ambulanz: "Viele unserer Patientinnen und Patienten kommen jedes Jahr. Und dann auf einmal nicht mehr. Oft bekommen wir dann die Rückmeldung, dass sie jetzt in Pension sind." Dann können sie länger schlafen, untertags rausgehen und Tageslicht tanken und generell mehr auf ihren Biorhythmus Rücksicht nehmen – das Problem verschwindet von selbst.

Abrupte Verschlechterung

Tatsächlich gab es auch in Zeiten des Lockdowns weniger Betroffene – was schon fast paradox klingt angesichts der teilweise enormen psychischen Belastungen, die dadurch entstanden sind. Aber: "Viele Betroffene haben uns berichtet, dass es ihnen viel besser gegangen ist, weil sie keinen Arbeitsweg im Dunkeln hatten, sie konnten sich im Homeoffice die Arbeit besser einteilen und auch beispielsweise zu Mittag eine halbe Stunde spazieren gehen", erzählt die Psychiaterin.

Mit dem Rückgang des Homeoffice werden auch die depressiven Verstimmungen wieder mehr, vor allem mit Ende Oktober: "Nach der Zeitumstellung gibt es jedes Jahr einen regelrechten Run auf die Ambulanz. Dass der Tag so abrupt kürzer wird, ist für viele belastend." Ungefähr bis Mitte Dezember hält dieser Run üblicherweise an, "dann dürfte die Vorweihnachtszeit und die Freude auf Weihnachten die Stimmung heben. Zu Weihnachten empfinden viele die Dunkelheit als romantisch." Ein zweiter Höhepunkt kommt dann im Jänner bis etwa Mitte März. Wird es dann wieder heller, wird auch die Stimmung besser – denn der Hauptgrund für die Probleme ist ja, dass die tägliche Gesamtlichtdauer so kurz und der Melatoninspiegel dadurch zu hoch ist.

Jetzt reinhören: "Wie das Wetter unsere Stimmung beeinflusst"

Doch man muss nicht immer gleich mit Medikamenten behandeln. Über lange Zeit waren Tageslichtlampen das erste Mittel der Wahl. Immerhin die Hälfte aller Betroffenen ist mit dieser Therapie gut versorgt. Doch der Gebrauch ist zeitaufwendig, gerade am Morgen fällt es vielen Betroffenen schwer, sich diese herauszuschneiden – für sie ist es ohnehin schon schwierig, in die Gänge zu kommen.

Besserung ohne Medikamente

Mittlerweile gibt es aber weitere Behandlungsansätze ohne Medikamente. Der Hintergrund: "Depressionen oder depressive Verstimmungen haben meist mehrere Ursachen. Eine davon können sogenannte stille Entzündungen sein", erklärt Winkler-Pjrek. Reduziert man diese permanenten leichten Entzündungen, kann sich das positiv auf die Stimmung auswirken.

Ein Mittel, mit dem das sehr gut gelingt, sind Omega-3-Fettsäuren. Das weiß man schon länger, bereits eine Studie aus dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass man mit der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren bei Depressionen ähnlich gute Behandlungserfolge erzielen kann wie mit der Einnahme bestimmter Antidepressiva. "Wichtig ist, dass es die Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl oder aus Algen sind", betont Winkler-Pjrek. Die darin enthalte Unterfettsäure Eicosapentaensäure (EPA) wirkt nämlich besonders gut gegen Entzündungen. Alpha-Linolensäure (ALA), die sich vor allem in Leinöl befindet, ist weniger effizient.

Für saisonale Depressionen ist die Wirkung von Omega 3 noch nicht in Studien nachgewiesen. Winkler-Pjrek geht aber davon aus, dass "die gute Wirksamkeit der Omega-3-Fettsäuren in der Behandlung von nicht saisonal gebundenen Depressionen auf eine ähnlich gute Wirkung bei saisonal abhängiger Depression schließen lässt". Um das auch evidenzbasiert zu zeigen, wird derzeit auf der Ambulanz für Herbst-Winter-Depression eine Studie durchgeführt, es werden noch Teilnehmer gesucht (siehe Infobox).

Was sonst noch hilft

Es gibt natürlich auch andere Methoden, um die stillen Entzündungen zu reduzieren, allerdings benötigt man dafür etwas Disziplin bzw. Überwindung. Eisbaden etwa wirkt sich sehr positiv aus. Ein weiteres Mittel ist intermittierendes Fasten, also nur in einem Zeitfenster von acht oder zehn Stunden am Tag zu essen und dann eine lange Essenspause von 14 bis 16 Stunden einzuhalten. Und auch die Ketodiät, eine Ernährungsform, bei der auf Kohlenhydrate und Zucker verzichtet wird und die gleichzeitig sehr fettreich ist, bessert stille Entzündungen.

Keine antidepressive Wirksamkeit zeigt die Einnahme von Vitamin D. Trotzdem sollte man auf einen ausreichend hohen Vitamin-D-Spiegel achten, denn es kann gegen Abgeschlagenheit helfen und dürfte das Immunsystem stärken, betont Winkler-Pjrek. Das Gleiche gilt für B-Vitamine oder Folsäure, die auch oft mit Stimmungsschwankungen in Verbindung gebracht werden.

Johanniskrautkapseln haben dagegen einen nachweislich antidepressiven Effekt. Allerdings können sie mit anderen Medikamenten interagieren, und manche Menschen haben Nebenwirkungen wie Kopfweh oder Übelkeit, dessen müsse man sich bewusst sein, betont die Ärztin. Dazu kommt, dass Johanniskraut lichtempfindlicher macht. Deshalb sollte man im Freien eine Sonnenbrille tragen, wenn man solche Kapseln einnimmt. Das wäre aber bei Menschen mit saisonaler Depression genau kontraproduktiv, da diese ja möglichst viel Licht über die Augen aufnehmen sollen.

Klar ist dafür, dass Bewegung im Freien bei Tageslicht und in einer grünen bzw. natürlichen Umgebung einen positiven Effekt hat. Man sollte deshalb, wann immer es möglich ist, bei Tageslicht, am besten um die Mittagszeit, einen Spaziergang einschieben. (Pia Kruckenhauser, 9.11.2023)