Trotz Sicherheitsbedenken entschied sich die Stadtverwaltung von San Francisco im August dafür, den Testbetrieb selbstfahrender Autos verschiedener Anbieter im Stadtgebiet auszuweiten. Für Cruise, das dem Konzern General Motors gehört, war das eine gute Nachricht.

Doch keine zwei Monate später schickte das Unternehmen seine autonomen Pkws in die Garagen, wo sie auch heute noch stehen. Nach einem Unfall verbot die kalifornische Fahrzeugbehörde (DMV) vorläufig den Weiterbetrieb, Cruise holte aber gleich im ganzen Land seine Autos von den Straßen, während man die Causa untersucht. Insider berichten nun der "New York Times", dass der Begriff "selbstfahrend" bei Cruise offenbar unter Anführungszeichen zu setzen ist und eine problematische Firmenkultur vorherrscht.

Was war passiert? Am Abend des 2. Oktober hatte eine Passantin die Kreuzung Market Street / Fifth Street überquert, während die Ampel für Autos auf Grün schaltete. Die Frau wurde zuerst vom Auto eines menschlichen Fahrers erfasst und dabei in den Weg des Cruise-Fahrzeugs geschleudert. Dieses fuhr auf sie auf und hielt kurz an. Dann rollte es mehrere Meter nach vorn, um entlang des Gehsteigs zu halten, schleifte die Fußgängerin dabei aber mit. Gegenstand der Untersuchungen ist auch, inwieweit dieses Verhalten zu den schweren Verletzungen der Frau beitrug.

Ein autonomes Auto von Cruise fährt auf einer Straße in San Francisco.
Infolge eines schweren Unfalls wurden alle autonomen Taxis von Cruise vorläufig in ihre Garagen verbannt.
IMAGO/Achille Abboud

Geschwindigkeit vor Sicherheit

Das Fahrverbot seitens DMV wurde erlassen, nachdem die Behörde Cruise vorgeworfen hatte, bei der Übermittlung eines Videos zur Situation jenen Teil ausgelassen zu haben, in dem die Passantin vom Auto mitgeschleift wird. Die Informanten – fünf aktuelle und ehemalige Mitarbeiter sowie Geschäftspartner – kritisieren nun ihren Chef, den 38-jährige Kyle Vogt. Dieser wolle Cruise zum dominierenden Anbieter von Dienstleistungen mit selbstfahrenden Autos machen und priorisiere dafür die Geschwindigkeit der Entwicklung vor der Sicherheit.

Und das zeigte sich auch im Betrieb. Im Prinzip wurde jedes Robotaxi von 1,5 Mitarbeitern betreut. Es sei im Durchschnitt notwendig gewesen, alle vier bis zehn Fahrtkilometer aus der Ferne einzugreifen, um ein vom Auto gemeldetes Problem menschlich zu lösen. Aufgrund zahlreicher Vorfälle mit autonom fahrenden Autos – 75 der dokumentierten Zwischenfälle gehen auf das Konto von Cruise – gab es auch schon schwere Kritik seitens der Feuerwehr von San Francisco. Deren Chefin vergleicht ihren Einsatz gegenüber CNBC mit "russischem Roulette" und sieht sie im aktuellen Zustand als Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

Vogt selbst hatte immer wieder Sicherheit als Argument für selbstfahrende Autos ins Feld geführt und darauf verwiesen, dass diese nicht müde werden oder sich betrinken. Vor zwei Monate sprach er, zu Tränen gerührt, über einen Unfall, bei dem eine Vierjährige zu Tode gekommen war. Kurz vor der Entscheidung des DMV schwärmte er gegenüber Investoren noch von den "enormen Wachstumsmöglichkeiten" seines Unternehmens.

Vertrauensverlust

Nun steht er aber selbst vor einem Problem mit mangelndem Vertrauen, und demzufolge soll alles anders werden. Er ernannte die bisher stellvertretende Sicherheitschefin Louise Zhang zur interimistischen Chief Security Officer, die direkt an ihn berichten werde. Außerdem engagierte er Anwälte zur Aufarbeitung des 2. Oktober. Wann Cruise wieder den Betrieb aufnimmt, wisse er noch nicht, zitieren ihn die Insider. "Wir müssen das Vertrauen wieder aufbauen."

Dabei geht es auch um beträchtliche Geldsummen, denn GM investiert nicht wenig in seine Tochterfirma. Im vergangenen Jahr gab man im Schnitt pro Quartal 588 Millionen Dollar aus, was einer 42-prozentigen Steigerung gegenüber dem Jahr davor entspricht. Die Fahrzeuge, aufgerüstete Chevrolet Bolt, kosten pro Stück 150.000 bis 200.000 Dollar.

Rund 400 Mitarbeiter sind für Cruise tätig. Etwa die Hälfte von ihnen arbeitet für das Büro in San Francisco. Auch in Anbetracht der aktuellen Situation wird der Geldbedarf wohl weiter steigen. General Motors will bis Jahresende bekanntgeben, wie die künftige Finanzierung von Cruise aussehen soll. (gpi, 6.11.2023)