Anne Frank
Anne Frank stab 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen.
IMAGO/Heritage Images

Die Kinder in der Anne-Frank-Kita bekommen von der Unruhe vermutlich nichts mit. Sie können in ihrer Kindertagesstätte, wie der Kindergarten in Deutschland genannt wird, im "Snoezelens"-Raum Ruhe und Entspannung erleben, manchmal steht in der städtischen Einrichtung sogar die Sauna auf dem Programm.

Außerhalb der bunten Räumlichkeiten in der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt (10.600 Einwohner) aber, die rund 100 Kilometer westlich von Berlin liegt, wird über die Kita viel diskutiert. Diese nämlich will ihren Namen nicht mehr. Seit 53 Jahren ist der Kindergarten nach dem jüdischen Mädchen Anne Frank benannt, das während des Zweiten Weltkriegs im Amsterdamer Versteck sein berühmtes Tagebuch verfasst hat und 1945 als 15-Jährige im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde.

Der Name sollte weg, ein neuer war schon gefunden: "Weltentdecker". Die "Magdeburger Volksstimme" zitierte Kita-Leiterin Linda Schichor mit folgender Begründung: "Wir wollten etwas ohne politische Hintergründe." Einen Namen, der kindgerechter sei, denn die Geschichte von Anne Frank sei für kleinere Kinder schwer fassbar. Zudem könnten Eltern mit Migrationshintergrund oft nichts damit anfangen.

"Weltentdecker" soll der neue Name sein

Laut Bürgermeister Andreas Brohm (parteilos) hat der Kindergarten in den vergangenen 14 Monaten einen "Erneuerungsprozess durchlaufen". Daher sei schon Anfang 2023 die "Diskussion aufgekommen, diese grundlegende Konzeptionsänderung durch einen anderen Namen der Einrichtung auch nach außen hin sichtbar zu machen". Den Namen "Weltentdecker" wollen Eltern und Erzieherinnen dem Stadtrat vorlegen.

Doch als das Vorhaben bekannt wurde, folgte Protest. Viele wiesen darauf hin, dass den Namen Anne Frank aufzugeben angesichts eines wachsenden Antisemitismus der falsche Weg wäre. "Die CDU im Stadtrat von Tangerhütte wird einer Umbenennung der 'Anne Frank'-Kita selbstverständlich nicht zustimmen. Hoffe, alle weiteren Stadträte auch nicht. Nicht nur in der heutigen Zeit, sondern generell ist solch ein Vorschlag völlig abwegig, instinktlos und kleingeistig", schrieb Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze auf X (vormals Twitter).

Für das Internationale Auschwitz-Komitee rief Vizepräsident Christoph Heubner dazu auf, die Entscheidung zu überdenken. "Wenn man die eigene Geschichte gerade in diesen Zeiten von neuem Antisemitismus und Rechtsextremismus so leichtfertig abzuräumen bereit ist und der Name von Anne Frank im öffentlichen Raum als ungeeignet wahrgenommen wird, kann einem im Blick auf die Erinnerungskultur in unserem Lande nur angst und bange werden", heißt es in einem offenen Brief.

Plädoyer für Erinnerungskultur

Auch Max Privorozki, der Vorsitzende des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, meinte gegenüber der "Bild"-Zeitung: "Ich bin mir nicht sicher, dass gerade jetzt der passende Moment gekommen ist, um den seit mehr als 50 Jahren existierenden Namen der Kita zu ändern." Eine Namensänderung erzeuge "gerade jetzt einen unguten Beigeschmack". Die Linke-Landtagsabgeordnete Henriette Quade sagte der "Tageszeitung" ("Taz"): "Die Kita umbenennen zu wollen, halte ich angesichts des allgegenwärtigen Antisemitismus für ein falsches Signal." Ihr grüner Kollege Sebastian Striegel forderte, der Name solle bleiben: "Über die Person Anne Frank kann eine Beschäftigung mit Menschenwürde und universalen Werten auch kindgerecht vermittelt werden."

Die "Welt" berichtete am Montagnachmittag, dass sich der Stadtrat in seiner Sitzung am Mittwoch einstimmig gegen die Namensänderung positionieren werde. (Die AfD-Fraktion hat sich dort 2020 aufgelöst.) In einer Stellungnahme heißt es, die Behauptung der Kita-Leitung, der Name "Anne Frank" sei ungeeignet und Kindern schwer vermittelbar, zeuge "eher von einer Geschichtsvergessenheit der Verantwortlichen". Diese Geschichtsvergessenheit sei ein „Nährboden für Verschwörungstheorien und Demokratiefeindlichkeit bis hin zum Antisemitismus. Erinnerungskultur hat einen Sinn, denn wir sind es unseren Kindern und nachfolgenden Generationen schuldig zu erklären, was es bedeutet, in Frieden und Freiheit zu leben."

Angesichts der vielen Proteste stellte Bürgermeister Brohm am Montag klar, dass derzeit eine Entscheidung über eine Namensänderung nicht anstehe. Er betonte auch, Tangerhütte stehe "für ein weltoffenes Deutschland, das sich seiner historischen Verantwortung genauso bewusst ist wie seines Bildungsauftrags". Vor zwei Jahren wollte sich im thüringischen Elxleben ebenfalls die Anne-Frank-Kita umbenennen und fortan "Elchzwerge" heißen. Doch nach massiven Protesten wurde das Vorhaben abgeblasen. (Birgit Baumann aus Berlin, 6.11.2023)