Frau an durchsichtigem Bildschirm
Die Technologie hinter ChatGPT wird künftig mit etablierten Rechtsdatenbanken verknüpft.
IMAGO/ZUMA Wire

Jeder, der schon einmal mit ChatGPT gearbeitet hat, weiß: Das KI-Programm spuckt erstaunlich flüssige Texte aus – auch zu juristischen Themen. Auf die Richtigkeit dieser Texte ist derzeit allerdings kein Verlass. ChatGPT macht immer wieder grobe inhaltliche Fehler, und der Datenbestand in der öffentlichen Grundversion des Programms ist veraltet. Die große KI-Revolution blieb in Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen deshalb aus – zumindest bislang.

Denn eine neue Technologie macht es nun möglich, die Funktionsweise hinter ChatGPT mit etablierten Rechtsdatenbanken zu verknüpfen. Das Programm wird dabei individualisiert und greift nicht mehr auf öffentliche Daten im Internet zurück, sondern auf einen Pool an ausgewählten, gesicherten Informationen. Fachleute erwarten sich davon nicht weniger als einen "Paradigmenwechsel" in der Art und Weise, wie Juristinnen und Juristen recherchieren.

Zwei verschiedene Wege

Für die Implementierung von Technologien wie ChatGPT gibt es zwei verschiedene Wege, erklärt Sophie Martinetz, Organisatorin der Legal-Tech-Konferenz, die am Mittwoch in Wien stattfindet. Zum eine könne man das Large Language Model (LLM) – so die Bezeichnung für Programme wie ChatGPT – mit den Daten im eigenen Haus in sogenannten Enterpriselösungen verknüpfen. Oder man nutzt Legal-Tech-Pools wie DeepJudge. Das KI-Tool könnte dann auf die eignen älteren Akten oder Verträge zugreifen, Informationen aus vergangenen Fällen zusammenfassen oder bestimmte Klauseln suchen.

Der zweite Weg ist die Nutzung eines LLM bei etablierten Rechtsdatenbanken, auf denen etwa Urteile, juristische Kommentare, Lehrbücher oder Fachartikel abrufbar sind. Auf diese Art und Weise kann man beide Welten miteinander verknüpfen – das Faktenwissen auf der einen Seite und die Sprachmodelle von generativer KI auf der anderen Seite. Juristinnen und Juristen müssen beim Recherchieren dann nicht mehr nach Schlagworten suchen und eine Fülle an Texten durchkämmen. Sie können dem Programm einfach konkrete Fragen stellen, auf die sie sofort vertrauenswürdige Antworten bekommen.

Neues Recherchetool

Am Markt sind schon jetzt eine Reihe an Start-ups aktiv, die derartige Lösungen für Kanzleien und Rechtsabteilungen anbieten, sagt Martinetz. Auch große österreichische Verlage setzen auf generative KI. Manz testet mit dem "RDB Genjus KI-Labor" gerade ein neues Recherchetool in der Betaversion. Lexisnexis arbeitet mit "Lexis+ AI" an einem ähnlichen Chatprogramm, das rechtliche Fragen schnell und einfach beantworten soll. Die große Unbekannte ist laut Martinetz Microsoft. Der Tech-Riese ist in OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, investiert. Fraglich sei, ob Microsoft eine Lösung auf den Markt bringt, die kleinere Anbieter verdrängt.

Essenziell ist für Anwältinnen und Anwälte freilich das Thema Vertraulichkeit, sagt Martinetz. Wer die öffentliche Version von ChatGPT mit Daten von Mandantinnen und Mandanten oder mit internen Dokumenten füttert, kann Probleme mit Datenschutz und Verschwiegenheitspflicht bekommen. Schließlich trainiert das Tool mit den eingespeisten Daten laufend weiter. Bei den neuen Programmen hat Datenschutz deshalb oberste Priorität.

Enorme Geschwindigkeit

Schon jetzt ist absehbar, dass sich das Recherchetempo durch die neue Technologie massiv erhöht. Gleichzeitig fallen in manchen Kanzleien und Rechtsabteilungen wohl auch Tätigkeiten weg, die derzeit vielfach von studentischen Mitarbeitern oder Berufsanfängerinnen übernommen werden, glaubt Anwältin Petra Laback, die in ihrer Kanzlei schon jetzt stark auf Digitalisierung setzt. "Das ist aber kein großes Problem, weil wir ohnehin weniger Leute am Arbeitsmarkt haben", sagt Laback. Die Technologie sei eine Chance, den Engpass an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besser bewältigen zu können.

"Mitarbeiter müssen dazu kontinuierlich geschult werden, um sich auf geänderte Abläufe einzustellen", sagt Stefan Artner, Vorstand des Legal Tech Hub Europe. "Unsere Kernexpertise in der Lösung komplexer, neuer Themen wird langfristig in den Händen von uns Anwälten bleiben. Die KI wird aber ein ständiger Teamkollege sein."

Über die Geschwindigkeit der Entwicklung ist selbst Martinetz überrascht, die sich seit Jahren mit Legal-Tech-Lösungen beschäftigt. "Früher haben wir in der Technologie von Monatszyklen geredet, jetzt geht es um Tageszyklen." (Jakob Pflügl, 7.11.2023)