Berlin – Deutschland wird die Kontrollen an mehreren Landesgrenzen, darunter jener zu Österreich, fortführen. Auch die Grenzen zur Schweiz, Tschechien und Polen werden kontrolliert. "Diese Binnengrenzkontrollen werden aufrechterhalten", heißt es im am Dienstag veröffentlichten Beschlusspapier der Ministerpräsidentenkonferenz. "Die betroffenen deutschen Länder und die Bundespolizei arbeiten eng zusammen bei der Bekämpfung der Schleusungskriminalität und der irregulären Einwanderung."

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Nach monatelangem Streit haben sich Bund und Länder zudem auf die künftige Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt und Maßnahmen zur Verringerung der irregulären Migration nach Deutschland vereinbart. Vorgesehen sind dabei auch Leistungseinschränkungen für Asylwerber. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am frühen Dienstagmorgen nach knapp neunstündigen Beratungen mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder von einem "sehr historischen Moment".

Bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten ist eine Systemumstellung vorgesehen. Vom kommenden Jahr an zahlt der Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von 7.500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund 3,7 Milliarden Euro. Scholz sprach vom "Übergang zu einem atmenden System" und erläuterte: "Mit steigenden Zahlen gibt's mehr Geld, mit sinkenden Zahlen gibt's weniger."

Grenzkontrollen an deutscher Grenze, Polizist an Autofenster
Am Dienstag wurde ein Beschlusspapier veröffentlicht, wonnach Deutschland mehrere Landesgrenzen, darunter jene zu Österreich, zur Schweiz, Tschechien und Polen, kontrollieren wird.
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Entscheid nach sechs Monaten

Derzeit ist ein starker Anstieg der Asylanträge zu verzeichnen. Allein bis September dieses Jahres wurden nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Deutschland 233.744 Erstanträge auf Asyl gestellt – und somit deutlich mehr als im gesamten Vorjahr. Zudem hat Deutschland mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, die kein Asyl beantragen müssen. "Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen unkontrollierte Zuwanderung" seien daher nötig. So will die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind.

Weiters sollen Behörden und Gerichte Asylverfahren in Zukunft deutlich schneller abarbeiten. Die erste Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge soll demnach im Regelfall nach sechs Monaten vorliegen, ein Gerichtsverfahren in erster Instanz ebenfalls nach sechs Monaten abgeschlossen sein. Bei Bewerbern aus Staaten mit einer niedrigen Anerkennungsquote von unter fünf Prozent sollen die Verfahren noch schneller gehen: Behörden und Gerichte sollen hier nur jeweils drei Monate Zeit bekommen.

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz in Anzug
Nach neunstündigen Beratungen bei der Ministerpräsidentenkonferenz sprach Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz von einem "sehr historischen Moment".
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Wertgutscheine oder Geld statt Sachleistungen

Leistungen für Asylwerber, die länger als eineinhalb Jahre in Deutschland sind, sollen außerdem eingeschränkt werden. Wenn sich ein Asylverfahren lange hinziehe, sollten nicht 18, sondern 36 Monate lang Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden, so Scholz. "Das wird eine erhebliche Veränderung mit sich bringen."

Aktuell haben Asylwerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten steigen die Sätze ungefähr auf die Höhe der regulären Sozialhilfe. Dieser Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der staatlichen Leistungen bedeutet.

Bund und Länder beschlossen, eine Kommission zur besseren Steuerung der Migration einzusetzen. Es soll ein breites gesellschaftliches Bündnis gegründet werden, das gemeinsam Lösungen zur Steuerung der Migration und zur Verbesserung der Integration mit dem Ziel der Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens erarbeiten soll. Daran könnten zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschafter und auch Vertreter von Organisationen teilnehmen, die sich für die Belange von Asylwerbern einsetzen, hieß es. (APA, 7.11.2023)