"Wenn Italien ruft, dann sind wir da!" Das erklärte Albaniens Premierminister Edi Rama am späten Montagnachmittag in Rom im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Und diese wiederum sprach von einem "historischen, innovativen Pakt" zwischen den Ländern zu beiden Seiten der Adria. Wie historisch und vor allem wie innovativ das neue Abkommen zwischen Rom und Tirana wirklich sein wird, bleibt erst einmal abzuwarten – überraschend war die Ankündigung allemal: Der Sozialist Rama und die Postfaschistin Meloni haben die Pläne bis zuletzt geheim gehalten; weder das italienische noch das albanische Parlament, die den Pakt noch ratifizieren müssen, waren über die Pläne dieses fragwürdigen Migranten-Outsourcings informiert worden.

Edi Rama besucht Giorgia Meloni
Überraschungscoup: Edi Rama besuchte Giorgia Meloni und vereinbarte mit ihr Abschiebezentren in Albanien.
EPA/GIUSEPPE LAMI

Konkret haben Meloni und Rama vereinbart, dass Italien auf albanischem Territorium zwei große "Asylzentren" mit insgesamt 3.000 Plätzen bauen und betreiben kann. In die beiden Lager sollen ausschließlich Migranten und Migrantinnen gebracht werden, die im Mittelmeer von der italienischen Küstenwache oder von Schiffen der Finanzpolizei gerettet werden; minderjährige Asylsuchende, schwangere Frauen und verletzliche Personen sollen weiterhin nach Italien gebracht werden. Die Selektion wird bereits auf den Rettungsschiffen vorgenommen.

Die privaten Seenotretter werden die Migranten weiterhin nach Italien bringen können, wenn auch wie gehabt in Häfen, die sich möglichst weit vom zentralen Mittelmeer entfernt befinden, damit die von der italienischen Rechtsregierung nicht gerne gesehene Rettungstätigkeit der NGO-Schiffe weiterhin stark erschwert wird.

Erstaufnahmezentrum in Shengjin

Ein erstes Lager soll in der albanischen Hafenstadt Shengjin gebaut werden; es wird als Erstaufnahmezentrum dienen, in welchem die Flüchtlinge von italienischen Beamten identifiziert und registriert werden. Das zweite Lager soll in der etwa 20 Kilometer entfernten Stadt Gjader entstehen; in dieser Einrichtung sollen die Migranten ihr Asylgesuch stellen können und, im Fall einer Ablehnung, bis zur ihrer Abschiebung interniert werden. Beide Zentren sollen der italienischen Rechtsprechung unterliegen. Für die Lager ist ein extraterritorialer Status wie etwa für Auslandbotschaften vorgesehen. Bei der externen Bewachung der Lager soll Albanien beteiligt werden; die Kosten für den Betrieb werden aber vollumfänglich von Italien übernommen, versicherten sowohl Meloni als auch Rami. Die Zentren werden voraussichtlich im kommenden März ihren Betrieb aufnehmen.

Eine finanzielle Gegenleistung Roms an Albanien für die Bereitstellung seines Territoriums sei nicht vorgesehen, versicherte Premier Rami treuherzig. Albanien tue dies einzig aus Dankbarkeit und Freundschaft gegenüber Italien, das Albanien in den Neunzigerjahren, als zehntausende albanische Staatsangehörige vor der Armut in ihrem Land über die Adria nach Apulien flüchteten, ebenfalls großzügig unterstützt und Italien nie eine Gegenleistung verlangt habe. Es gehe darum, Italien "in einer schwierigen Situation etwas Atem zu verschaffen", betonte Rami in Rom und spielte damit auf die bereits 145.000 Bootsflüchtlinge an, die seit Anfang des Jahres in Italien gelandet sind.

Phantasiezahlen?

Meloni wiederum erklärte, dass man Albanien in Brüssel bei den Beitrittsverhandlungen mit der EU unterstützen werde. Sie ergänzte, dass dank des von ihrer Regierung auf 28 Tage verkürzten Asylverfahrens sehr viel mehr als 3.000 Migranten jährlich nach Albanien gebracht werden könnten: Sie geht von bis zu 39.000 Personen aus. Wie realistisch dies ist, wird sich erst noch weisen müssen. Denn selbst wenn die Asylverfahren in Albanien tatsächlich in vier Wochen erledigt wären – was bezweifelt werden darf –, wird die Abschiebung der abgelehnten Personen erfahrungsgemäß sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dies schon allein deshalb, weil Italien nur mit vier Herkunftsländern entsprechende Abkommen hat und auch diese Vereinbarungen nur eine sehr geringe Anzahl von Rückführungen ermöglichen. Insgesamt hat Italien in den vergangenen Jahren nur jeweils 3.000 bis 5.000 Abschiebungen pro Jahr durchsetzen können. Es ist nicht ersichtlich, warum dies dank des Deals mit Albanien plötzlich anders werden soll.

Obwohl der Pakt also eher wie ein Theatercoup Melonis wirkt und in Italien kaum eine echte Entlastung bei der Bewältigung des Ansturms der Migranten bringen dürfte, zeigte sich die italienische Opposition entsetzt über die Pläne. Die Mittepartei "+Europa" sprach von einem "italienischen Guantanamo", während Peppe Provenzano vom sozialdemokratischen PD erklärte, dass der Pakt im besten Fall eine juristische Pfuscherei sei und im schlechteren zu einer gravierenden Verletzung der Rechte der Geflüchteten führe.

Auch in Albanien wurde das Abkommen kritisiert – es war sogar von "Verrat an Albanien" die Rede. Ein Sprecher der EU-Kommission erklärte, dass die Kommission zwar von Italien über die Pläne informiert worden sei, aber dass Einzelheiten noch fehlten. "Es ist wichtig, dass das Abkommen das europäische und internationale Recht in vollem Umfang respektiert", mahnte der Sprecher. (Dominik Straub, 7.11.2023)