Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) klassifiziert Krankheiten im ICD: Die ICD-10 ist die 10. Version der "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme". ICD kommt aus dem Englischen und heißt "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems". In der 10. Version fand sich noch in Kapitel F65 "Störungen der Sexualpräferenzen", der Eintrag F65.5 "Sadomasochismus".

Mit der ICD-11 hat Sadomasochismus grundsätzlich seine Krankheitswertigkeit verloren, so wie ihrerseits die Homosexualität. Leider gibt es die finale Version der ICD-11 noch nicht auf Deutsch, die Übergangsfristen dauern Jahre. Im ICD-11 finden wir nun "6D33 Coercive sexual sadism disorder", der entscheidende Satz dabei ist folgender: "Coercive Sexual Sadism Disorder specifically excludes consensual sexual sadism and masochism." Also, in der nicht offiziellen deutschen Version, die es ja noch nicht gibt: "Die zwanghafte sexuelle Sadismus-Störung schließt ausdrücklich einvernehmlichen sexuellen Sadismus und Masochismus aus."

Handschellen, Augebinde
Solange Konsens herrscht, istSadomasochismus nicht mehr krankheitswertig, so die englischsprachige Klassifikation der WHO.
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Konsens, also Einvernehmlichkeit, hat es in den ICD geschafft, und solange jemand nur "böse" Sachen mit anderen machen will, die das auch wollen (und ihre Zustimmung geben können), ist das nicht mehr krankheitswertig. Mir als Kink-Aware-Professional ist damit ein Stein vom Herzen gefallen! Das deckt sich mit unserer jahrelangen Kink-Aware Wahrnehmung und seit 2022 ist es zumindest im englischsprachigen Raum offiziell. Ein großer Meilenstein!

Die Arbeit als Kink-Aware-Professional

So, aber was tun wir jetzt eigentlich? Wir, das sind Kink-Aware-Professionals. Ich als Kink-Aware-Psychotherapeutin sage zum Beispiel so Sachen wie "Solche Fantasien sind sehr häufig" oder "wenn es für alle Beteiligten ind Ordnung ist, passt das". Solange es im Rahmen ist. Was der Rahmen ist? Das müssen Kink-Aware-Professionals manchmal interdisziplinär mit Kink-Aware-Professionals besprechen, die aus anderen Disziplinen stammen, etwa wenn es um einen rechtlichen Rahmen geht. Denn zu etwa der Frage, zu was jemand rechtlich gesehen überhaupt ein Einvernehmen ausdrücken kann, darüber kann ich keine Auskunft geben. Und alleine diese Information ist oft bereits eine massive Intervention. Für diesen Beitrag will ich daher gerne in der spielerischen Welt der Erlebnisaktivierung bleiben.

BDSM als Abkürzung steht für drei Spielarten: Bondage and Discipline (Fesseln und Gehorsam), Dominance and Submission (Dominanz und Unterwerfung), Sadomasochism and Masochism (Sadismus und Masochismus). Sie können auch mit dem Begriff "Kink" zusammengefasst werden. BDSM kann eine enorme Erweiterung des Erlebens-, Ausdrucks- und Handlungsspielraums sein – zumeist erotisch konnotiert. Kink-Aware-Professionals sind Fachpersonen aus diversen Bereichen wie zum Beispiel Medizin, Psychotherapie, Psychologie, Justiz, und weiteren, die sich grundsätzlich mit den Problematiken von BDSM-Klientel auseinandergesetzt haben und diesen vorurteilsfrei gegenüberstehen.

Viele von uns wollen auch den spielerischen Zugang fördern. Und vor allem wollen wir, dass unsere Patient:innen und Klient:innen sich bei uns sicher fühlen, über ihre Fantasien und Erlebnisse erzählen zu können. Viel zu oft haben wir davon gehört, dass jemand mit blauen Flecken von der letzten BDSM-Session aus Angst vor Stigmatisierung nicht die notwendige ärztliche Betreuung sucht – auch wenn es gar nicht um die blauen Flecken geht. Oder auch Personen, die denken, wenn sie eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen, bekommen sie sofort eine krankheitswertige F65-Diagnose. sobald ihre Neigung zum Thema wird. Bei einem "Nicht-Kink-Aware-Professional" kann das noch passieren – immerhin gilt bei uns noch der deutsche ICD10 –, sollte es allerdings nicht mehr. Hat man Bedenken vor einer Stigmatisierung, kann es daher hilfreich sein, gleich zu einem Kink-Aware-Professional zu gehen.

Erweiterung des Angebots

Mit ein paar Kolleg:innen haben wir begonnen, ein Kink-Aware-Netzwerk aufzubauen, und sind momentan dabei, dieses zu erweitern. Die Kink-Aware-Professionals-Association (KAPA) hat das Ziel, Kink-Aware-Professionals bei ihrer Arbeit zu unterstützen und für Kinksters – also Personen mit BDSM-Neigungen – eine Plattform zu bieten, geeignete Kink-Aware-Professionals zu finden. Interessierte Kolleg:innen mögen sich bitte melden. Für weniger Stigmatisierung und mehr Freiheit. Schließen möchte ich mit zwei Zitaten. Das erste stammt von George Bernard Shaw: "Freiheit heißt Verantwortung. Deshalb wird sie von den meisten Menschen gefürchtet." Und das zweite Zitat von Aristoteles: "Wer seine Ängste überwunden hat, wird wirklich frei sein."

PS: Liebe STANDARD-Community: Ist Konsens klar, oder soll ich dazu auch einmal einen Beitrag schreiben? Das Thema ist leider sehr viel komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. (Natascha Ditha Berger, 10.11.2023)