Es klang wie eine provokante Erzählung. Der Ökonom Olivier Blanchard hat 2019 eine vielbeachtete Analyse zur neuen Welt der Staatsverschuldung verfasst. Seine Kernaussage damals lautete: Industrieländer können sich alles leisten, Schulden seien kein Problem mehr.

Blanchard hatte die These inmitten einer Phase aufgestellt, in der Zinsen für staatliche Kreditnehmer bei null standen oder sogar negativ waren. In dieser Situation galt laut Blanchard folgender Leitsatz: Ganz gleich, wie sehr sich Staaten verschulden, um neue Straßen oder neue Solarparks zu bauen – solange das Wachstum höher ausfällt als die Zinsen, die für Kredite fällig werden, konnte es keine Probleme geben.

Kredite sind zuletzt nicht nur für Häuslbauer teurer geworden.
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Denn ist das Wachstum höher als die Zinsen, beginnt die Gesamtverschuldung immer automatisch zu sinken. In einer Welt ohne Zinsen war diese Hürde leicht zu nehmen. Schon ein minimales Wachstum genügt ja, um den Schuldenstand zu drücken.

Doch mit der Inflationskrise ab Frühjahr 2022 begannen auch die Zinsen zu steigen. Der frühere Chefökonom des IWF, der aktuell am Washingtoner Peterson Institute for International Economics (PIIE) forscht, hat bisher allerdings von einer vorübergehenden Entwicklung gesprochen. Wenn die aktuelle Inflation, angetrieben durch hohe Energiepreise, einmal vorüber sei, würden auch die Zinsen wieder sinken, so Blanchard. Faktoren, die für niedrige Zinsen sorgen, wie eine alternde Gesellschaft mit hohen Ersparnissen, blieben bestehen.

Kehrtwende in der Debatte

Anfang der Woche trat Blanchard nun den Rückzug an. In einer neuen Analyse sieht er sehr wohl ein Problem auf Industrieländer zukommen: An den Märkten wird nun langfristig mit höheren Zinsen gerechnet als bisher. Sollte diese Einschätzung richtig sein, verändere das die Dynamik. In naher Zukunft dürften Wachstum und Zinsen etwa gleich hoch sein. Länder müssen dann ein ausgeglichenes Budget erwirtschaften, Ausgaben also den Einnahmen entsprechen (ohne Zinsen), damit die Schulden nicht stark zu steigen beginnen.

Gestiegene Kosten bei Krediten treffen inzwischen tatsächlich alle Länder, auch Österreich. Die Republik muss für eine Anleihe mit zehnjähriger Laufzeit Investoren über drei Prozent Rendite bieten. Noch Ende 2021 war die Rendite bei den Anleihen negativ. Bedeutet das nun, auch Österreich steuert in eine problematische Finanzlage?

Schluss mit dem Schuldenmachen ohne schlechtes Gewissen?

Vorerst nein. Denn bei der Verschuldungssituation spielen viele Faktoren eine Rolle. Einer davon: Länder nehmen Kredite für viele Jahre auf. Im Fall Österreichs sind die Laufzeiten besonders lang, im Schnitt fast elf Jahre. Immer, wenn alte Darlehen auslaufen, werden sie mit neuen ersetzt. Dann steigt die Zinsbelastung. Das geschieht aber eben nur nach und nach (siehe Grafik).

Das ist laut dem Fiskalrat, der mit der Analyse des Budgets betraut ist, ein Grund, weshalb Österreich aktuell keine Schieflage drohe. Der Fiskalrat hat am Mittwoch neue Prognosezahlen auf Basis des gerade vorgelegten Budgets für 2024 präsentiert. Er erwartet ein Defizit von 2,5 Prozent im kommenden Jahr. Diese hohen Ausgaben 2024 seien allein durch die schwache Konjunktur nicht zu rechtfertigen und sorgen dafür, dass künftigen Regierungen ein Sicherheitspuffer fehle, sollte eine größere Krise kommen, so das Gremium. Großen Grund zur Sorge sieht Fiskalratschef Christoph Badelt zunächst aber nicht. Mittelfristig ändere sich das jedoch, wenn der Zinsdruck steige und die Republik zu spüren bekomme, dass Ausgaben dynamisiert, also an die Inflation angepasst, wurden, während das bei Einnahmen seit dem Wegfall der kalten Progression nicht mehr der Fall ist. (András Szigetvari, 9.11.2023)