Indische Schülerinnen und Schüler vor einem Modell der Chandrayaan-3-Mondfähre. Die Lehrmaterialien über die Mission sind wissenschaftlich fragwürdig und Gegenstand heftiger Kritik.
AFP/DIBYANGSHU SARKAR

Chandrayaan-3, die dritte und bislang letzte indische Monderkundungsmission, fand im Sommer dieses Jahres statt und war durchwegs erfolgreich, auch wenn der Lander und der mitgeführte Rover Anfang September wieder in den Schlafmodus versetzt wurden. Bereits sechs Wochen später hatte das indische Bildungsministerium Unterrichtsmaterialien fertiggestellt, die indische Schüler über Chandrayaan-3 informieren sollen. Wie das geschieht, hat einige Wissenschafter des Landes einigermaßen erzürnt, berichtet das Wissenschaftsmagazin "Science".

Die neuen Lehrmaterialien enthalten nämlich technische Fehler, irreführende Inhalte und pseudowissenschaftliche Behauptungen, die sich auf religiöse Texte stützen, so die Kritiker. Mehrere der insgesamt zehn Module suggerieren, dass Indien schon vor Jahrhunderten fortschrittliche Weltraumtechnologien entwickelt hat – eine pseudowissenschaftliche Idee, die in den letzten Jahren von Hindu-Nationalisten gefördert wurde.

Fliegende Streitwägen und Raumschiffe

In einem Modul wird beispielsweise behauptet, dass die Erwähnung von fliegenden Streitwägen und Palästen in alten Sanskrit-Epen zeige, „dass unsere Zivilisation das Wissen über fliegende Fahrzeuge hatte". Andere alte Texte und Mythen, so heißt es weiter, "enthalten Schätze wissenschaftlicher Kenntnisse in verschiedenen Disziplinen, darunter auch in der Luftfahrt (die die jüngere Generation stolz auf das von ihr geerbte Erbe machen und dieses Wissenssystem für neue Anwendungen weiterentwickeln können)."

In den Unterrichtsmaterialien wird auch immer wieder der indische Premierminister Narendra Modi hervorgehoben, wobei jedes Modul mindestens ein Foto von ihm enthält. Modis Führung "spielte eine entscheidende Rolle beim Erfolg von Chandrayaan-3 und brachte den Namen unseres Landes auf die Oberfläche des Mondes", heißt es in den Unterrichtsmaterialien.

"Großer Bärendienst"

Die Module enthalten auch viele wissenschaftliche Fehler, sagen Forscher. So wird behauptet, Chandrayaan-2 habe Eisschichten auf der Mondoberfläche entdeckt, obwohl die Instrumente in Wirklichkeit nur Wassermoleküle entdeckt haben, wie Aniket Sule gegenüber "Science" erzählt, ein Spezialist für wissenschaftliche Bildung am Homi Bhabha Centre for Science Education. Er befürchtet, dass viele Lehrer diese Irrtümer ihren Schülern einfach nachplappern werden, weil sie nicht wissenschaftlich ausgebildet sind.

"Damit wird der Wissenschaft und Technologie, der Bildung und dem wissenschaftlichen Geist ein großer Bärendienst erwiesen", sagt Satyajit Rath, Präsident des All India People's Science Network (AIPSN), eines Netzwerks von Wissenschaftsorganisationen, welches das indische Bildungsministerium aufgefordert hat, die Materialien zurückzuziehen – womit freilich nicht zu rechnen ist. (Eine Stellungnahme von AIPSN zu den Materialien gibt es hier.)

Evolution und Periodensystem gestrichen

Die neuen Diskussionen schließen fast nahtlos an eine größere Lehrplanänderung an, die zu Beginn des neuen Schuljahrs im Juni in Kraft trat: In Indien werden ab diesem Jahr Kinder unter 16 Jahren nicht mehr über die Evolution, das Periodensystem der Elemente oder über Energiequellen unterrichtet, wie das Fachblatt "Nature" Ende Mai berichtete. Jüngeren Schülerinnen und Schülern werden bestimmte Themen im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung und Klima vorenthalten, und für ihre älteren Kolleginnen und Kollegen gibt es Kürzungen in den Fächern Biologie, Chemie, Geografie, Mathematik und Physik.

Insgesamt betreffen die Änderungen rund 134 Millionen Elf- bis 18-Jährige in Indiens Schulen. (tasch, 12.11..2023)